Krebs ist vermeidbar. Dies gilt fast zu hundert Prozent für Gebärmutterhalskrebs, der nahezu ausschließlich durch eine Infektion mit humanen Papillomviren (HPV) verursacht wird. Denn die Impfung gegen HPV im Kindes- und Jugendalter verhindert wirksam die Infektion mit dem Virus, sodass in der Folge keine Tumoren entstehen. Die HPV-Impfung schützt außerdem wirksam vor Krebs im Mundraum und im Genitalbereich.
In Deutschland erkranken infolge einer HPV-Infektion jährlich über 7.000 Menschen an HPV-bedingtem Krebs, vor allem an Gebärmutterhalskrebs (jährlich rund 4000 Fälle), aber auch an Analkrebs (rund 1600 Fälle) oder Mund- und Rachenkrebs (etwa 1100 Fälle). Darüber hinaus ist wegen einer HPV-Infektion bei rund 60.000 jungen Frauen eine sogenannte Konisation, bei der ein Stück Gewebe am Gebärmutterhals ausgeschnitten wird, notwendig, um Krebsvorstufen zu entfernen. Eine Konisation erhöht allerdings für spätere Schwangerschaften das Risiko für Komplikationen erheblich.
Die HPV-Impfung schützt vor Krebs
Die Impfung gegen HPV-Infektionen ist in Deutschland seit über 15 Jahren verfügbar und wird von der Ständigen Impfkommission (Stiko) für Kinder und Jugendliche im Alter von 9 bis 14 Jahren empfohlen. Ihre Kosten werden von den Krankenkassen übernommen. Die HPV-Impfung ist gut verträglich. Daten aus Schweden, Dänemark und England zeigen, dass frühzeitig geimpfte Mädchen später um bis zu 90 Prozent seltener an Gebärmutterhalskrebs erkranken als ungeimpfte Mädchen. In diesen Ländern ist die Häufigkeit von Gebärmutterhalskrebs infolge der Impfung deutlich gesunken. Dies ist auf eine hohe Impfbeteiligung von über 70 Prozent im empfohlenen Impfalter zurückzuführen.
In Deutschland sind demgegenüber im Jahr 2021 nur 54 Prozent der 15-jährigen Mädchen und 27 Prozent der 15-jährigen Jungen gegen HPV geimpft. Um die Übertragung des HP-Virus in der Bevölkerung zu unterbrechen und auch diejenigen Personen zu schützen, die aus verschiedenen Gründen nicht geimpft werden können und so einen Gemeinschaftsschutz zu erreichen, ist eine Durchimpfungsrate von mindestens 70 Prozent erforderlich – davon ist Deutschland weit entfernt. Außerdem hat die WHO das Ziel formuliert, Gebärmutterhalskrebs zu eliminieren. Um dieses Ziel zu erreichen, sollen unter anderem bis zum Jahr 2030 90 Prozent der Mädchen bis zum Alter von 15 Jahren vollständig gegen HPV geimpft sein. Mit der derzeitigen Strategie zur HPV-Impfung wird Deutschland dieses Ziel verfehlen. Die niedrigen HPV-Impfquoten in Deutschland zeigen, dass die aktuelle Strategie zur HPV-Impfung nur unzureichend greift, und dass neue Strategien zur Steigerung der Impfraten erforderlich sind.
Deutschland braucht dringend neue, zusätzliche Strategien
Die HPV-Impfung wird in Deutschland in der Regel von niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten durchgeführt. Jugendliche – die zentrale Zielgruppe der HPV-Impfung – gehen allerdings nur selten zum Arzt; Artpraxen erreichen Jugendliche daher kaum für eine Impfempfehlung. Das Angebot einer freiwilligen HPV-Impfung in Schulen hingegen würde alle Kinder und Jugendlichen im Impfalter und auch deren Eltern erreichen. Ein weiterer Grund für die niedrigen Impfraten ist, dass die Bevölkerung in Deutschland nur unzureichend über HP-Viren und die Impfung dagegen informiert ist. Außerdem fehlt in Deutschland ein Einladungs- und Erinnerungssystem für Impfungen, mit dem die relevanten Personenkreise gezielt und flächendeckend über die HPV-Impfung informiert und zur Impfung eingeladen werden könnten.
Das Angebot der HPV-Impfung in Schulen ist die weltweit am weitesten verbreitete Strategie zur Durchführung der HPV-Impfung. Derzeit haben 137 Länder die HPV-Impfung in ihr Impfprogramm aufgenommen. Etwa drei Viertel (76 Prozent) dieser Länder bieten die HPV-Impfung in Schulen an. Das Angebot der HPV-Impfung in Schulen gilt als eine der wichtigsten und wirksamsten Strategien, um hohe HPV-Impfquoten zu erreichen und aufrechtzuerhalten. Etwa 90 Prozent der 20 Länder mit den höchsten jemals erreichten HPV-Impfquoten von über 75 Prozent haben landesweite HPV-Schulimpfprogramme. Zu diesen Ländern zählen beispielsweise Australien, England, Irland, Island, Kanada, Norwegen, Schweden und Spanien – einige von ihnen haben fast doppelt so hohe Impfraten wie Deutschland. Dieser beachtliche Erfolg ist auch darauf zurückzuführen, dass die Schulimpfung in diesen Ländern gesellschaftlich gut akzeptiert und unterstützt wird und die überwiegende Mehrheit der Jugendlichen im HPV-Impfalter die Schule besucht. Außerdem arbeiten Bildungs- und Gesundheitssektor im Rahmen des Programms eng zusammen.
Flächendeckendes Angebot anstelle von zeitlich befristeten, kleinräumigen Projekten
Bislang wird die HPV-Impfung in Schulen lediglich in einzelnen Bundesländern in Form von Modellprojekten oder einzelnen Schul-Impfaktionen durchgeführt. So wurde beispielsweise im hessischen Landkreis Bergstraße im Rahmen eines Modellprojekts des gemeinnützigen Vereins Gesundheitsnetz Rhein-Neckar von 2015 bis 2020 eine freiwillige HPV-Schulimpfung angeboten. In Bremen bietet das Gesundheitsamt in Kooperation mit den Schulen seit dem Schuljahr 2015/16 in der Stadtgemeinde Bremen ausgewählte Impfungen an, um Impflücken zu schließen, darunter auch die HPV-Impfung für Schülerinnen und Schüler der 8. Klassen. In Sachsen bietet seit 2019 eine Initiative von Ärzt:innen, Apothekern:innen und Gesundheitswirten:innen die HPV-Impfung in Schulen an.
Um die Impfrate zu erhöhen, muss die HPV-Impfung in Schulen nicht nur im Rahmen kleinräumiger Projekte angeboten werden, sondern muss flächendeckend und langfristig zur Verfügung stehen. Die Erfahrungen aus den verschiedenen Modellprojekten in Deutschland zeigen, dass eine HPV-Schulimpfung in Deutschland realisierbar ist. Im Rahmen eines Schulimpfprogramms kann der Impfstatus von Schülerinnen und Schülern überprüft werden, sodass fehlende Impfungen und Auffrischungsimpfungen (Diphtherie, Tetanus, Keuchhusten, Poliomyelitis) und Nachholimpfungen (Hepatitis B, Meningokokken C, Masern, Mumps, Röteln, Varizellen) empfohlen oder ergänzt werden können. Damit kann das Angebot einer freiwilligen HPV-Impfung an Schulen zusätzlich dazu beitragen, die Durchimpfungsrate bei Kindern im Schulalter zu optimieren und kann so auch die Eindämmung anderer Krankheiten unterstützen.
Um ein HPV-Schulimpfprogramm in Deutschland erfolgreich einzuführen, sind verschiedene Voraussetzungen notwendig. Manches davon ist bereits erfüllt: hohe Einschulungsraten und gesellschaftliche Akzeptanz. So besuchen in der Altersgruppe der 9- bis 14-Jährigen aufgrund der Schulpflicht annähernd 100 Prozent eine Schule. Auch die gesellschaftliche Akzeptanz ist gegeben. Andere Rahmenbedingungen müssen allerdings noch optimiert werden, beispielsweise geeignete rechtliche und finanzielle Rahmenbedingungen, die Festlegung der Organisationsform und des Programmmanagements sowie die Gestaltung der Rahmenbedingungen für eine gute Zusammenarbeit zwischen den zuständigen Einrichtungen (Ministerien, Gesundheits- und Schulamt, Verbände etc.) – hier ist die Politik gefragt!
Die Politik muss dringend handeln
Deutschland braucht eine neue Strategie zur Steigerung der HPV-Impfquote. Erste positive Signale kommen aktuell aus Mecklenburg-Vorpommern und Nordrhein-Westfalen. So stimmen fast alle Fraktionen im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern der Umsetzung einer Schwerpunktkampagne zur HPV-Impfung zur Erhöhung der HPV-Impfrate zu; die Ausgestaltung der Kampagne ist allerdings noch offen. Im Düsseldorfer Landtag wurde im Januar erstmals die Einführung eines Impfangebots an Schulen in Nordrhein-Westfalen (NRW) erörtert. Als bevölkerungsreichstes Bundesland geht NRW mit dieser Anhörung einen Schritt voran, der als wichtiger Meilenstein für eine effektive Prävention HPV-bedingter Krebserkrankungen in Deutschland angesehen werden kann. Eine konkrete Entscheidung für das Angebot der HPV-Impfung an Schulen im bevölkerungsreichsten Bundesland wäre eine Anerkennung des dringenden Handlungsbedarfs durch die Politik, ein Vorbild für andere Bundesländer und vor allem ein wichtiger Beitrag zur Krebsprävention.
Der Public Health Experte Nobila Ouédraogo arbeitet in der Stabsstelle Krebsprävention am Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg.