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Standpunkte Sterben im Angesicht der modernen Medizin

Max Damm, Geschäftsführer der Produktionsfirma filmkombüse
Max Damm, Geschäftsführer der Produktionsfirma filmkombüse Foto: Alex Münch

Die moderne Medizin kann das Leben, aber auch das Leiden verlängern. Und eine Patientenverfügung muss nicht immer den aktuellen Willen eines Menschen widerspiegeln. Regisseur und Autor Max Damm hat sich für einen Film mit den Themen Tod und Krankheit auseinandergesetzt und gelernt: Es gibt kein Schwarz oder Weiß.

von Max Damm

veröffentlicht am 18.09.2020

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In unserem Kulturkreis gilt der Tod als Tabu, die eigene Beschäftigung mit den Themen Krankheit und Tod fällt vielen Menschen schwer. Auch mir. Denn bisher habe ich diese beiden Themen – wenn möglich – gerne verdrängt. Um den Film „Mein Wille geschehe“ für das ZDF-Format „37 Grad“ machen zu können, musste ich mich überwinden, stieß dabei nicht selten an Grenzen und habe viel über meinen eigenen und den gesellschaftlichen Umgang mit den Themen Tod und Krankheit gelernt. 

Unbestritten leistet uns die moderne Medizin große Dienste und hilft täglich unzähligen Menschen. Gleichzeitig stellt sie uns vor eine der schwersten Fragen unseres Lebens: Wie wollen wir eigentlich sterben? Denn mit den Möglichkeiten der modernen Medizin steigt auch die Zahl derer, die ohne permanente Beatmung oder ohne aufwändige Intensivtherapie nicht überleben würden. In einigen Fällen geht die Medizin vielleicht sogar zu weit und verlängert Leiden. Für viele Patienten ist trotzdem klar: Lieber das, als sterben. Trotzdem wächst mit dem Fortschritt der modernen Medizin auch die Grauzone, in der es oft mehr Fragen als Antworten gibt – denn wenn Patienten sich selbst nicht mehr äußern können, sie künstlich am Leben gehalten werden, gibt es nie eine absolute Gewissheit, ob gerade wirklich in ihrem Sinne gehandelt wird. In der Redaktion unserer Produktionsfirma filmkombüse war von Anfang an klar: Das ist ein Thema, über das viel zu wenig gesprochen wird. 

Denn selbst, wenn eine Patientenverfügung vorliegt, muss diese nicht zwangsläufig den aktuellen Willen eines Menschen widerspiegeln – Einstellungen und Maßstäbe können sich ändern und vielleicht ist man in der akuten Situation doch bereit, mit mehr Einschränkungen zu leben, als man es sich als gesunder Mensch vorgestellt hätte. Und trotzdem: Schon recht früh in meiner Recherche bestätigte mir ein Arzt, dass der technische Fortschritt an vielen Stellen die ethische Debatte überholt habe. Das Themenfeld ist komplex und hat viele Dimensionen. Wenn die ethische Debatte sogar beim Fachpersonal nicht auf dem Stand ist, auf dem sie sein sollte, wie sollen dann Patienten, die Laien sind, eine der wichtigsten Entscheidungen ihres Lebens bewusst treffen, wenn sie sich fragen müssen: Wie will ich im Angesicht der modernen Medizin sterben? 

Polarisierende Entscheidung

Als Regisseur beschäftige ich mich regelmäßig mit Themen, die mich in andere Lebensrealitäten blicken lassen. Für diesen Film habe ich drei Menschen begleitet. Zwei davon sind Dagmar und Benedict Mülder. Benedict Mülder liegt seit bereits neun Jahren bewegungslos mit ALS im Wohnzimmer seiner Familie. Als ich zum ersten Drehtag in Berlin ankam, musste ich mich der Situation erst annähern. Anfangs wirkte es befremdlich auf mich, dass ich von Benedict Mülder keine Antworten bekam. Ich unterhielt mich mit den Pflegern und fragte, ob es wahrnehmbar ist, wenn Benedict Mülder sich beispielsweise unwohl fühlt. Denn ich habe ihn zwar gefragt, ob es in Ordnung ist, dass wir ihn filmen, bekam aber natürlich keine Antwort. Seine Frau Dagmar versicherte mir, dass es in seinem Sinne ist, dass seine Geschichte in einem Film veröffentlicht wird. Der bemerkenswerte Umgang seiner Familie half mir, mich der Situation anzunähern.  

Benedict Müldners Entscheidung, so lange mit der Krankheit weiterzuleben, polarisiert. Ob er das heute immer noch so empfindet, wissen weder seine Frau noch seine Freunde. Die modernen medizinischen Möglichkeiten eröffnen einen Bereich, in dem es oft mehr Fragen als Antworten gibt. Was klar ist: Ob das die richtige Entscheidung für ihn war, kann nur er selbst beurteilen. Die Reaktionen auf meinen Film zeigen, dass viele Menschen das anders sehen, ihre eigenen Wertvorstellungen auf andere übertragen und über deren Entscheidung urteilen. 

Es gibt kein Richtig oder Falsch

Während der Dreharbeiten fand ständig eine Auseinandersetzung in mir statt – anfangs habe ich mich bei dem Versuch erwischt, die Entscheidung Benedict Mülders zu bewerten. Mit der Zeit kam die Erkenntnis, dass nur der Betroffene selbst weiß, was für ihn richtig und was falsch ist. Selbst wenn man heute nicht weiß, ob Benedict Mülder heute immer noch so leben will. Eine Ungewissheit, die man vielleicht einfach aushalten muss. Ein Wille, der geäußert wurde und den man respektieren muss. In meiner Recherche traf ich auf Geschichten von Menschen, die sich bei voller Gesundheit gegen lebensverlängernde Maßnahmen aussprachen und dann, als sie krank wurden, für das Leben entschieden. Und das trotz großer Einschränkungen. 

Jetzt, nachdem ich diesen Film gemacht habe, weiß ich nur eines sicher: Es gibt hier kein Richtig oder Falsch, kein Schwarz und kein Weiß. Was für den einen Patienten das Richtige ist, kann für den anderen völlig falsch sein. In diesem Bereich Antworten für sich selbst zu finden, ist schwer. Ich habe sie auch nach diesem Film für mich nicht abschließend gefunden. Aber es ist wichtig, sich damit auseinanderzusetzen. Bevor ich diesen Film gemacht habe, waren der Tod und ich keine Freunde. Ob wir es heute sind, weiß ich immer noch nicht genau. Aber unser Verhältnis hat sich gebessert.

Max Damm ist 1989 in Heidelberg geboren und arbeitet als Regisseur, Autor, Produzent und Geschäftsführer der Produktionsfirma filmkombüse in Mannheim. Er ist als Autor und Produzent unter anderem regelmäßig für die ZDF-Reihe „37 Grad“ tätig.  

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