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Standpunkte Tag eins der Ausgangssperre in Frankreich

Foto: privat

Die Physikerin Mandy Bethkenhagen lebt und arbeitet im französischen Lyon und berichtet von dem, was auch Deutschland bald ereilen könnte – die Ausgangssperre. Alltag sind nun Zwei-Meter-Abstandsgrenzen beim Bäcker und Einkäufe in kleinen Gruppen.

von Mandy Bethkenhagen

veröffentlicht am 18.03.2020

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Seit Anfang des Jahres lebe und arbeite ich in Lyon. Die alte Innenstadt mit ihren antiken und mittelalterlichen Sehenswürdigkeiten ist Teil des UNESCO-Weltkulturerbes und überall gibt es nette, kleine Cafés und Restaurants, wegen denen Frankreich nicht nur bei uns Deutschen so beliebt ist. Auch ich nehme dieses Angebot gerne in Anspruch und treffe mich häufig mit Freunden und Kollegen zum Abendessen oder After-Work-Drink. Allerdings werde ich darauf leider eine ganze Weile verzichten müssen. Am Montagabend hat Präsident Macron eine Ausgangssperre für mindestens zwei Wochen verhängt.

Sicherlich, sie kam nicht überraschend. Zuvor wurde bereits das Institut École Normale Supérieure de Lyon, an dem ich arbeite, geschlossen, die Studenten ins Selbststudium entlassen und meine Kollegen und ich ins Homeoffice verbannt. Meine halbe Arbeitsgruppe sitzt mittlerweile kränklich mit grippeartigen Symptomen zu Hause. Getestet wurde bislang niemand – auch mein Chef nicht, der seit letzten Donnerstag versucht, Klarheit zu bekommen. Nur wer deutliche Corona-Symptome hat und nachweislich in Kontakt mit einem Infizierten war, wird auf das neuartige Virus untersucht. Fraglich bleibt bei diesem Vorgehen, wie man die tatsächliche Zahl an Infizierten ermitteln will?  

Ausgangssperre mit Ausnahmen

Seit gestern Mittag um 12 Uhr darf niemand mehr vor die Tür. Die einzigen Ausnahmen: Man braucht etwas Lebenswichtiges zu essen, muss den Arzt aufsuchen oder dringend ein wenig Sport machen – natürlich alleine. Für all diese Dinge gilt es jetzt jedes Mal ein Formular auszufüllen. Man soll es immer bei sich tragen, wenn man vor die Tür geht. Derzeit ist es ausschließlich auf Französisch erhältlich und soll ausgedruckt vorliegen. Problematisch wird das, wenn man wie ich keinen Drucker besitzt. Eine Freundin erklärte mir daraufhin, dass es wohl auch in Ordnung wäre, es per Hand abzuschreiben – immerhin eine gute Gelegenheit, an meinem Französisch zu arbeiten und keine Langeweile aufkommen zu lassen.

Zu meiner Verwunderung gibt es offenbar recht viele Leute, die dringende Sachen zu erledigen haben, denn noch erscheinen die Straßen nicht wirklich leer. Beim Blick aus dem Fenster sehe ich Menschen mit großen Einkaufstaschen, eine alte Dame mit ihrem Hund und eine kleine Schlange vor der Bäckerei an der Ecke. Auch das ein oder andere Auto fährt noch vorbei. Eigentlich sollte die Polizei die Ausgangssperren durchsetzen, doch von der ist noch nichts zu sehen.

Pflichtbewusst, wie ich als Deutsche bin, habe ich noch schnell am Morgen einige Einkäufe erledigt. Beim Bäcker gab es auf den Boden gezeichnete Zwei-Meter-Abstandsmarkierungen und auch in den Supermarkt durfte nur eine bestimmte Anzahl von Leuten gleichzeitig. Alles lief sehr geordnet ohne Panik oder gar riesiger Menschentraube. Eine gefühlte Armee von Supermarkt-Mitarbeitern war hastig beschäftigt, die Regale aufzufüllen. Zu meiner Überraschung gab es Nudeln in verschiedenen Sorten und zwar nicht nur Penne, die laut meiner italienischen Kollegin aus Mailand nicht mal im Apokalypse-Fall zum Verzehr geeignet wären.

Volksfeststimmung vor der Ausgangssperre

Generell erscheinen die Leute hier weiterhin gelassen. Bereits in den vergangenen Wochen konnten die schlechten Nachrichten den Franzosen kaum etwas anhaben. Alles schien ruhig und nur sporadisch fiel beim Einkaufen auf, dass Klopapier und Seife knapp waren. Als vergangenen Sonntag beschlossen wurde, alle nicht lebensnotwendigen Geschäfte zu schließen, haben sich die Menschen an den Ufern der beiden Flüsse getroffen, die durch die Stadt fließen. Es kam fast schon ein wenig Volksfeststimmung auf. 

Auch meine Mitbewohnerin und ihre Erasmus-Kommilitonen waren unter diesen Leuten, denn für sie war es ein Wochenende des Abschieds. Da alle Schulen und Universitäten in Frankreich geschlossen sind, wurden nach und nach all ihre internationalen Freunde von ihren Heimatuniversitäten nach Hause bestellt. Sie selbst hat sich lange gegen die Stimmen um sie herum gewehrt, die sie zur Abreise drängten. Nachdem aber am Sonntag bekannt geworden war, dass Deutschland seine Grenze zu Frankreich schließt, wurden die Bitten ihrer Eltern doch nach Hause zu kommen, immer nachdrücklicher. Am Montagfrüh ist sie mit dem Zug gen Deutschland gereist und schaffte es noch über die Grenze.

Nun bin ich ganz alleine Zuhause für die nächsten Wochen. Allerdings gibt es bereits zahlreiche Ideen, wie man die Isolation bekämpfen kann. Zusammen mit Freunden und Kollegen werden die ersten Kaffeerunden, Kochabende oder After-Work-Drinks via Skype, Zoom und Slack organisiert. Die Stimmung ist bisher noch recht ausgelassen und alle versuchen mit kreativen Ideen, die Zeit zu überbrücken. Ich habe mir zum Beispiel vorgenommen, endlich ein paar alte Schreibprojekte für die Arbeit abzuschließen und mein Französisch aufzubessern. 

Den Vor-Ort-Bericht schrieb Mandy Bethkenhagen, die am Institut École Normale Supérieure de Lyon zu Materialeigenschaften im Inneren von großen Eisplaneten forscht. Sie ist die Schwester von Tagesspiegel-Background-Redakteurin Dana Bethkenhagen.

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