Standpunkte Wie sich Biotech- von alteingesessenen iGW-Unternehmen unterscheiden

Biotechnologie-Unternehmen brauchen andere Rahmenbedingungen als alteingesessene Firmen der industriellen Gesundheitswirtschaft. Davon ist Oliver Schacht, der Vorstandsvorsitzende des Branchenverbands BIO Deutschland, überzeugt und nennt im Standpunkt Argumente. So müssten zum Beispiel Ausbildung und Willkommenskultur gestärkt, Gründungsprogramme ausgebaut und die Bekanntheit der Biotechnologie-Unternehmen gefördert werden.
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Jetzt kostenfrei testenWir befinden uns in einer Zeit großer Umbrüche. In einer herausfordernden wirtschaftlichen Lage setzt sich nun das Bewusstsein durch, dass die industrielle Gesundheitsindustrie (iGW) zu einer treibenden und wachsenden Schlüsselindustrie für Deutschland mit attraktiven Arbeitsplätzen heranwächst. Oft wird die Pharmabranche hervorgehoben. Doch wo stände die Pharmaindustrie heute, hier und global, ohne die Biotech-Industrie? Rund die Hälfte aller Wirkstoffe stammen ursprünglich aus der Biotech-Industrie. Ebenso liefert die Biotech-Industrie wichtige Vorstufen und Bestandteile von Wirkstoffen. Auch die Antigen- und PCR-Tests, die der Medizintechnik zugeordnet werden, basieren auf biotechnologischen Verfahren. Ganz zu schweigen von den Gen- und Zelltherapien, die gegen Krebs und Erbkrankheiten eingesetzt werden und auf Biotechnologie fußen. Biotechnologie-Unternehmen sind viel jünger als viele alteingesessene Firmen in der iGW. Sie brauchen deshalb andere Bedingungen. Deshalb plädieren wir für eine dedizierte nationale Biotech-Agenda, um das Potenzial dieser vielversprechenden Branche zu heben.
Die Pandemie hat uns allen das Potenzial von Biotech-Unternehmen vor Augen geführt. Das bis dahin außerhalb der Szene weitgehend unbekannte Biotech-Unternehmen BioNTech hat in Deutschland in Windeseile den ersten Corona-Impfstoff entwickelt. Gegründet wurde BioNTech von zwei Wissenschaftlern der Universität Mainz. Zuerst mit Bundesprogrammen gefördert, wurde es später von Family Offices und Venture Capital (VC)-Gesellschaften mit ausreichend Eigenkapital ausgestattet, um Forschung und Entwicklung weiterzuführen. Bei der Markteinführung des Impfstoffs in der Pandemie war Pfizer dann als Pharma-Partner maßgeblich beteiligt.
Das ist typisch für Biotech-Unternehmen aus der Therapieentwicklung. Die meisten sind gründergetrieben und beginnen als Start-up aus einer Universität oder Forschungseinrichtung heraus. Alle brauchen viel Kapital, besonders Eigenkapital (meist VC), um teure klinische Prüfungen zumindest beginnen zu können. Später, im Fall erfolgversprechender erster Studienergebnissen, stehen dann oft Partnerschaften mit oder Übernahmen durch die Pharmaindustrie.
Biotechnologie-Unternehmen bekannt machen
Es gibt andere Beispiele, wie das Unternehmen Plasmid Factory, das Moleküle für die Herstellung von mRNA-Impfstoffen produziert. Oder die Biospring, Start-up aus der Uni Frankfurt, heute Weltmarktführer für Bestandteile sogenannter Genscheren, die in Gen- und Zelltherapien eingesetzt werden. Oder QIAGEN, eines der ältesten deutschen Biotech-Unternehmen, das weltweit Diagnostika und vieles mehr anbietet.
Offensichtlich haben diese meist kleinen und mittleren jungen Unternehmen, ob Therapie- oder Diagnostikentwickler, Dienstleister oder Auftragsproduzent, andere Bedarfe als ein Pharmaunternehmen, das von der Forschung bis zur Marktzulassung alles in house anbieten kann und über hohe Umsätze verfügt. Für eine erfolgreiche iGW in Deutschland müssen wir deshalb die Rahmenbedingungen so gestalten, dass auch die Biotech-Branche weiterhin Erfolg haben kann.
Das Wort Biotechnologie beschreibt einen ganzen Werkzeugkasten von Methoden, die natürlich vorkommende Prozesse nutzen. Die Biotechnologie wird in zahlreichen Sektoren und Unternehmenstypen neben der Chemie- zum Beispiel in der Lebensmittel- und natürlich auch in der Pharma-Industrie eingesetzt. Biotechnologie-Unternehmen hingegen sind Unternehmen, deren Geschäftsmodell auf patentgeschützten Ergebnissen aus der akademischen Forschung basiert. Diese definierte Gruppe von Unternehmen muss bekannter werden.
Finanzierung verbessern
Wir müssen bei Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern an Unis und Forschungseinrichtungen den Wunsch stärken, Forschungsergebnisse in Innovationen zum Nutzen Gesellschaft umzuwandeln, also zu verwerten. Dafür müssen wir die Infrastruktur für den Übergang in die Anwendung verbessern. Gründungsprogramme, die besonders auf die Biotechnologie zugeschnitten sind, sollten wir weiter ausbauen. Gründen muss einfacher werden. Verhandlungen rund um das geistige Eigentum müssen vereinfacht werden.
Ohne versierte und überzeugte Investoren, die bereit sind, Unternehmensanteile über einen längeren Zeitraum zu halten, wäre eine BioNTech nicht möglich gewesen. Die Biotech-Industrie braucht große Summen VC. Im internationalen Vergleich hinken wir, was das Angebot angeht, aber leider hinterher. Daher müssen wir mehr Anreize für (Privat-)Investoren schaffen, in die Assetklasse Biotech zu investieren. Biotech-Unternehmen, die schon Produkte im Markt haben, leiden unter den vergleichsweise sehr hohen Unternehmenssteuern hierzulande. Wir müssen verhindern, dass deshalb Unternehmenswachstum zunehmend außerhalb Deutschlands verlagert wird,
Start-ups, kleine und mittlere Unternehmen leiden besonders unter überbordender Bürokratie. Sie verfügen in der Regel nicht über die personellen Ressourcen, um Auflagen rasch zu erfüllen. Egal ob bei der Gründung, Anträgen für spezielle Labor-Arbeiten, Genehmigungen von klinischen Prüfungen, Baugenehmigungen, beim Einstellen von ausländischen Mitarbeitern, der Zulassung von Produkten, der Beantragung von Fördergeldern etc.; die Prozesse sind langwierig und aufwändig und behindern den Fortschritt, ohne immer ein adäquates Plus an Sicherheit zu gewährleisten. Digitalisierung und die Beschränkung auf notwendige Vorschriften sind dringend nötig.
Ausbildung und Willkommenskultur stärken
Die Biotech-Industrie bietet hochattraktive Arbeitsplätze. Bei Standortentscheidungen ist die gute Ausbildung in Deutschland immer noch ein Plus. Aber auch hier offenbaren sich Schwächen. Wir müssen die Ausbildung von naturwissenschaftlich-technischen Fachleuten fördern. Und: Wir müssen um qualifizierte ausländische Fachkräfte werben. Dafür brauchen wir eine Willkommenskultur und beschleunigte behördliche Prozesse.
Deutschland ist Standort von rund 600 Biotech-Unternehmen aus dem medizinischen Bereich. Das Wachstumspotenzial ist groß, wenn es uns gelingt, die Rahmenbedingungen zu verbessern. Wir alle – besonders natürlich akut oder dauerhaft Erkrankte – haben etwas davon.
Die Biotechnologie-Tage 2025 finden am 9. und 10. April in Heidelberg statt.
Oliver Schacht ist Vorstandsvorsitzender von BIO Deutschland.
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