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Standpunkte Warum „BOSlin“ ein Traum bleibt

Foto: Promo

Ein Vergleich Berlins mit der Biotech-Metropole Bosten lohnt nicht, meint Ingmar Hoerr von der Biotechnologie-Firma Curevac und reagiert damit auf ein Background-Interview mit dem Charité-Chef Heyo Kroemer und Thomas Sommer vom MDC.

von Ingmar Hoerr

veröffentlicht am 03.03.2020

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Berlin soll für den Bereich Life-Sciences Boston mindestens ebenbürtig werden. Eine steile These, die da aus Berlin kommt. Natürlich ist es wünschenswert, Boston nachzueifern, keine Frage. Und doch hat der Satz leider doch eher den Charakter einer Berliner Luftblase im Stil der Werbung der BVG. Nicht falsch verstehen: Ich bin ein großer Verfechter der deutschen Biotechnologie seit über 20 Jahren. Aber gerade aus dieser Erfahrung heraus werde ich jetzt Klartext sprechen. Solange die Stellschrauben sich nicht grundlegend (mit grundlegend meine ich wirklich grundlegend) verändern, hat sich der Traum von „BOSlin“ doch sehr schnell ausgeträumt.

Bevor man sich mit Boston vergleicht, sollte man sich einfach einmal bewusst machen, wie es Boston überhaupt geschafft hat, zum Mekka der Biotechnologie zu werden. Schon 2008 kündigte der damalige Gouverneur von Massachusetts, Deval Patrick, auf der weltweit größten Biotechnologie Messe, der Bio Convention in San Diego, einen zehnjährigen Investmentplan in Höhe von einer Milliarde US-Dollar für Biotechnologie an. In diesen Betrag sind die Förderungen, die direkt von Bostoner Institutionen kommen, noch gar nicht enthalten. Deutsche Politiker waren damals auf dieser Konferenz nicht sichtbar.

Ebenfalls nicht zu unterschätzende Faktoren sind die Elite-Institutionen in Boston und Cambridge wie MIT und Harvard, die schon seit vielen Jahren ebenfalls Milliardenbeträge in angewandte Forschung investieren. Diese Institutionen haben ein ganz anderes Verständnis für akademische Forschung als ihre deutschen universitären Pendants. Grundlagenforschung ist wichtig, aber es gibt dort immer kluge Köpfe, die mit Ergebnissen aus der Grundlagenforschung sofort einen Weg in die Anwendung suchen. Patente und Lizenzeinnahmen spielen eine große Rolle für die Reputation und die Finanzierung dieser Institutionen.

Ein Vergleich mit Boston lohnt nicht

Universitätsnahe Startups und Professoren, die eigenes Geld in Gründungen investieren, sind in den USA die absolute Regel. Dieses vibrierende Umfeld hat die weltweit relevantesten und größten Risikokapitalgeber, große Biotechnologieunternehmen und Pharma-Unternehmen angezogen. In diesem Ökosystem kommen die besten Köpfe der ganzen Welt zusammen, um ihren Traum von der Wissenschaft und den wissenschaftlichen Anwendungen zu verwirklichen. Da kann man jetzt einmal innehalten und fragen: quo vadis, Berlin? 

Trotz dieser für Berlin offensichtlichen entmutigenden Situation, habe ich die Hoffnung, dass sich die Dinge für die Biotechnologie in Deutschland zum Besseren wenden. Aber es ist komplett kontraproduktiv, sich im gegenwärtigen Zustand mit Boston vergleichen zu wollen.

Natürlich hat unsere Branche mehr zu bieten als Batteriewerke. Und ja, es stimmt: Deutschland war einmal die Apotheke der Welt. Aber es hat über Jahrzehnte der politische Wille gefehlt, auf dieser Exzellenz weiter aufzubauen. In deutscher Mentalität wurden Risiken immer über Chancen gestellt. Es war der erklärte politische Wille, dass alle erdenklichen Behörden gemeinsam die Ärmel hochkrempeln, um eine regelrechte Regulierungswut an den Biotechnologieunternehmen auszutoben. 

Hoch innovative biotechnologische Produktionsprozesse, wie zum Beispiel die Insulinproduktion, sind aus Deutschland vor Jahrzehnten abgewandert. Ein Blockbuster-Medikament wie zum Beispiel Humira (das für seinen amerikanischen Käufer einen jährlichen Umsatz um die 20 Milliarden US-Dollar einbrachte), wurde von einem deutschen Pharma-Unternehmen zu einem Spottpreis verhökert. Diese Nachwirkungen spüren wir heute noch. Solange kein grundlegendes Umdenken stattfindet, sollten wir den Namen Boston nicht in den Mund nehmen.

Scheitern gehört zum nachhaltigen Erfolg

Covid-19 zeigt uns derzeit, wie wichtig biotechnologische Innovationen sind: Nicht nur zur Bekämpfung von Epidemien, sondern auch für unheilbare Krankheiten wie Krebs, für den Gesunderhalt einer immer älter werdenden Bevölkerung, für die Ernährung der Welt und gegen den Klimawandel durch CO2-Fixierung und Nutzung neuartiger biologischer Energiequellen. Das sind die Zukunftsthemen, für die wir in Europa eine Lösung bieten müssen.

Erste Initiativen gehen in die richtige Richtung, wie zum Beispiel der European Innovation Council (EIC) oder die deutsche Agentur für Sprunginnovationen (SprinD), die versuchen, eine höhere finanzielle Förderung in die Hochtechnologie zu pumpen. Aber die ebenfalls versuchen, noch weitaus wichtiger, einen Paradigmenwechsel einzuleiten. Zum ersten Mal wird das Wort „Scheitern“ offensiv in den Mund genommen: Scheitern gehört zum nachhaltigen Erfolg dazu. Ohne ein erstmaliges Scheitern ist eine disruptive Technologie, eine „Sprunginnovation“ nicht bereit für den Markt.

Die Bereitschaft zur Übernahme eines gewissen Risikos muss in der breiten Bevölkerung ankommen. Stellen wir uns einmal vor, dass die deutschen Versicherungen und Pensionsfonds ein Prozent ihres Vermögens in Biotechnologie investieren. Es stünden jährlich fünf Milliarden Euro für unsere Innovationskraft zur Verfügung. Und das Risiko, einen von 100 Euro der persönlichen Rentenvorsorge in Biotechnologie zu investieren, sollte auch für die Privathaushalte überschaubar sein. Wenn das passiert, wäre ich tatsächlich bereit, in dem Begriff „BOSlin“ mehr als nur heiße Luft zu sehen.

Ingmar Hoerr ist Mitgründer und Vorstandsvorsitzender der Tübinger Biotechnologie-Firma Curevac. Mit seinem Standpunkt reagiert er auf ein Tagesspiegel Background-Interview mit Charité-Chef Heyo Kroemer und dem Wissenschaftlichen Vorstand des Max-Delbrück-Centrums (MDC) für Molekulare Medizin, Thomas Sommer, die erklärten, dass Berlin beste Voraussetzungen habe, zum Mekka der Wissenschaft zu werden.

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