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Kohleausstieg ohne unsichtbare Hand

Klaus Eisenack, Professor an der Humboldt-Universität
Klaus Eisenack, Professor an der Humboldt-Universität

Beim Kohleausstieg sollten wir uns nicht auf die unsichtbare Hand des marktbasierten Emissionshandels verlassen: Braunkohletagebaue sollten zuerst und schnell auf ordnungspolitischem Wege stillgelegt werden. Ein Ausstiegsfahrplan kann entgegen der landläufigen Meinung zusammen mit dem Emissionshandel den C02-Ausstoß senken, schreiben Klaus Eisenack und Roman Mendelevitch von der Resource Economics Group an der Berliner Humboldt-Universität.

von Klaus Eisenack (Foto) und Roman Mendelevitch

veröffentlicht am 07.01.2019

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Deutschland hat auf der UN-Klimakonferenz in Katowice weiter an Glaubwürdigkeit verloren. Der einstige Vorreiter verfehlt die selbst gesteckten Klimaziele für 2020, obwohl ein zügiger Ausstieg aus der Kohleverstromung notwendig und möglich ist. Die Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ der Bundesregierung soll Lösungsansätze entwickeln. Es besteht die historische Chance, den überfälligen und notwendigen Strukturwandel einzuleiten.

Ohne einen ordnungsrechtlichen Schließungsfahrplan wird es jedoch nicht gelingen, Klimaziele verlässlich und kostengünstig zu erreichen, Widerstände zu überwinden und soziale Verwerfungen zu verhindern. In einem Positionspapier der Resource Economics Group an der Humboldt-Universität zu Berlin kritisieren wir die Vorschläge, den Kohleausstieg der unsichtbaren Hand marktbasierter Lösungen zu überlassen, wie etwa dem europäischen Emissionshandelssystem.

Wir befürchten, dass so ein effektiver Klimaschutz und sozialverträglicher Strukturwandel verfehlt wird. Stattdessen sollte ein schneller Fahrplan prioritär konkrete Schließungstermine für Braunkohletagebaue und -kraftwerke enthalten. Die auf dem Strommarkt verbleibenden Gewinner des Fahrplans sollten an der Finanzierung strukturpolitischer Maßnahmen beteiligt werden.

Als Argument gegen einen ordnungsrechtlichen Schließungsfahrplan wird gerne auf die ökologische Effektivität und ökonomische Effizienz marktbasierter Lösungen verwiesen, etwa im europäischen Emissionshandelssystem oder durch Zuteilung von handelbaren Emissionsbudgets. Solche Instrumente würden die Suche nach kostengünstigen Lösungen am stärksten anreizen. Würde dagegen ordnungsrechtlich entschieden, gäbe es also keine Möglichkeit über einen Markt Zertifikate oder Budgets auf andere Anlagen zu überschreiben, entstünden unnötige Kosten.

Ein Schließungsfahrplan schafft Planungssicherheit

Dies übersieht einen wesentlichen Nachteil: Marktbasierte Instrumente verursachen neue Unsicherheiten, die Privatwirtschaft und öffentliche Hand gleichermaßen beeinträchtigen. Sie zielen darauf ab, das wirtschaftliche Kalkül von Stromerzeugern besser in Einklang mit den gesellschaftlichen Klimazielen zu bringen. Das Marktgeschehen hängt jedoch maßgeblich auch von regional nicht beeinflussbaren Faktoren ab. Statt eines geordneten Strukturwandels wären unkoordinierte Kraftwerksabschaltungen mit schwer vorherzusagenden Terminen die Folge.

Zusätzlich können marktbasierte Mechanismen leicht von künftigen Regierungen entschärft werden. Es ist anzunehmen, dass diese politische Unsicherheit sowohl von Kraftwerksbetreibern als auch von anderen Akteuren, die in den Strukturwandel investieren wollen, einkalkuliert wird. Generell müssten Investoren einen unnötigen Risikoaufschlag berücksichtigen, der mit einem Schließungsfahrplan entfällt.

Noch gewichtigere volkswirtschaftliche Mehrkosten entstehen durch politische Unsicherheit, wenn Kraftwerke weiter betrieben oder in eine Reserve überführt werden, um sie in Zukunft wieder nutzen zu können. Ohne einen Schließungsfahrplan könnte der erforderliche Strukturwandel daher verschleppt werden. Eine radikale Umstellung der Wirtschaftsstruktur, bei der ein bisher zentraler Wirtschaftszweig (Kohlewirtschaft) abgewickelt werden muss, berufliche Bildung angepasst, und gleichzeitig neue Wirtschaftszweige (nachhaltiger Verkehr, Tourismus, etc.) angesiedelt werden sollen, erfordert langfristige Planungs- und Investitionssicherheit. Hierzu gehört auch die Ansiedlung erneuerbarer Energien an alten Braunkohlestandorten mit günstiger Netzanbindung. Dadurch wird der Bedarf für den Netzausbau verringert. Voraussetzung ist aber die Abschaltung von Kohlekraftwerken, um Standorte frei zu machen.

Dies wirft die Frage auf, wie die erforderliche Planungssicherheit erreicht werden kann. Werden lediglich Kraftwerke abgeschaltet, entsteht die genannte politische Unsicherheit. Daher schlagen wir vor, zunächst Kohleförderstätten zu schließen. Hat die Renaturierung eines Braunkohletagebaus erst einmal begonnen, ist diese Entscheidung dauerhaft glaubwürdig. Die Braunkohlekraftwerke müssen dann zwingend folgen. Für Steinkohlekraftwerke ist eine solche Lösung nicht möglich, da diese in Deutschland ausschließlich durch Kohleimporte versorgt werden.

Ein Schließungsfahrplan führt zu mehr Klimaschutz in Europa

Der europäische Klimaschutz ist ein weiterer Grund für ordnungsrechtliche Maßnahmen. Häufig wird angeführt, dass in einem Land durch Kraftwerksschließungen vermiedene Emissionen entsprechend in einem anderen Land zusätzlich entstehen (der sogenannte „Wasserbetteffekt“). Seit der Reform des europäischen Emissionshandelssystems Anfang 2018 ist diese Kritik jedoch obsolet. Nun können Zertifikate aus den nationalen Versteigerungsmengen gelöscht werden, wenn entsprechend Kraftwerke geschlossen werden. Damit werden Emissionsreduktionen einzelner Mitgliedsstaaten europaweit wirksam. Diese Regelung greift nicht, wenn Kraftwerke aus Wirtschaftlichkeitsüberlegungen stillgelegt werden (z.B. auf Grund eines CO2-Preises).

Während ein schneller Ausstieg aus der Braunkohle Vorrang hat, müssen auch Emissionen aus anderen fossilen Energieträgern drastisch reduziert werden. Ein ansteigender CO2-Mindestpreis könnte dies sicherstellen. Da sich durch den Schließungsfahrplan das Angebot von Braunkohlestrom verringert, würden die verbleibenden Akteure auf dem Strommarkt, jedoch zunächst höhere Gewinne erzielen. Bis zu deren Abschaltung sind dies vor allem Betreiber von Steinkohlekraftwerken. Die Kosten des Braunkohleausstiegs müssen jedoch fair verteilt werden. Daher sollten weitere Instrumente eingeführt werden, die einen Teil dieser Gewinne abschöpfen und zur Finanzierung des Strukturwandels nutzen.

Wir können uns bei der gesellschaftlichen Aufgabe des Kohleausstiegs nicht allein auf die unsichtbare Hand des Marktes verlassen. Ein ordnungsrechtlicher Schließungsfahrplan für Braunkohletagebaue ist kurzfristig erforderlich, um die notwendige Planungssicherheit sicher zu stellen. Er ist auch notwendig, um die gesamteuropäischen Treibhausgasemissionen zu senken. Eine intelligente Verknüpfung mit marktbasierten Instrumenten bietet zudem die Möglichkeit, die Gewinner des Fahrplans an den Kosten des nötigen Strukturwandels zu beteiligen. So kann Deutschlands klimapolitische Glaubwürdigkeit wiederhergestellt werden.

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