Aktuell arbeitet der Deutsche Bundestag an
einem Gesetz, dessen Bedeutung sich erst retrospektiv vollends erschließen
wird. Der „vertrauliche Arbeitsentwurf“, der den Autorinnen und Autoren vorliegt, soll weltweit
zum ersten Mal den Regelbetrieb autonomer Fahrzeuge ermöglichen. Ein Blick in diesen
Text samt Anhängen zeigt, wie lange der Weg in dieses neue Zeitalter dauern und
vor allem, wie grundlegend anders die neue Mobilität sein dürfte.
Nach den zahlreichen Tests mit automatisierten Shuttles, Lkw und Pkw, die weltweit durchgeführt wurden, benennt es die Rahmenbedingungen für den Regelbetrieb. Wesentlich für den Gesetzesentwurf ist, dass der Einsatz von „führerlosen Kraftfahrzeugen“ auf „Betriebsbereiche“ begrenzt wird. Solche Betriebsbereiche können prinzipiell alle „öffentlich zugänglichen Flächen“ des Straßenverkehrsnetzes sein. Zudem brauchen die Betreiber autonomer Fahrzeuge eine Genehmigung, die das Kraftfahrtbundesamt ausstellt. Einer ganzen Reihe von Anforderungen muss hierfür entsprochen werden.
Es ist nicht ganz auszuschließen, dass eine Privatperson all diese Hürden der Genehmigung auf sich nehmen könnte, auch weil „gängige Kraftfahrzeuge mit entsprechender Zusatzausstattung“ explizit genannt werden. Die räumliche Begrenzung auf Betriebsbereiche weist aber doch eher den Weg in Richtung einer serviceorientierten Mobilität, in der ganz unterschiedliche Mobilitätsdienstleistungen je nach Bedarf abgefragt werden können. Als mögliche Einsatzbereiche, die im Gesetz funktional definiert sind, werden der „öffentliche Personenverkehr innerhalb der Kommunen“, „Dienst- und Versorgungsfahrten im kommunalen Bereich“, die Logistik, „Betriebsshuttles, die den Mitarbeiterverkehr übernehmen“ oder „Fahrten zwischen medizinischen Versorgungszentren und Alten- bzw. Pflegeheimen“ genannt.
Der alles entscheidende Begriff des Betriebsbereichs
Auch wo Fluchtpunkte dieser Entwicklung liegen dürften, zeigt der Gesetzesentwurf. Das Gesetz richtet sich nämlich auch an Vehikel, die wir uns heute noch gar nicht vorstellen können. Vermutlich haben diese wenig mit dem aktuellen legistischen Verständnis eines „Kraftfahrzeuges“ gemein und werden deswegen als „aliud“, als andersartig, bezeichnet.
Was ein Betriebsbereich sein kann, wird
bewusst offen gehalten. Es bleibt ein „abstrakter Begriff“ – und dies ist
entscheidend. Die Alternative wäre, zum Beispiel Parkhäuser oder Autobahnen
konkret zu benennen, eine Forderung, die von Seiten der Automobilindustrie bereits
eingebracht wurde. Gefordert wird etwa, das autonome Einparken
in Parkhäusern prinzipiell, also nicht nur in ausgewählten Betriebsbereichen, zu ermöglichen.
Konkrete Begriffe wie etwa „Autobahn“ könnten die Infrastrukturbetreiber (und damit in vielen Fällen die öffentliche Hand) zur Herstellung eines bestimmten Zustandes verpflichten und damit einen in vielerlei Hinsicht falschen Fokus setzen. Der Halter eines verunfallten Fahrzeuges könnte argumentieren, dass der zum Unfallzeitpunkt vorgefundene Zustand nicht als Autobahn gelten kann, weil auf Grund von Schnee, Fahrbahnschäden oder anderen Störungen weder Seiten- noch Mittellinien sichtbar waren. Das soll vermieden werden.
Es ist aber nicht der Gesetzgeber alleine, der hier auf der Bremse steht. Die technologische Machbarkeit, und das ist auch aufseiten der Industrie hinlänglich bekannt, wird es vermutlich über Jahrzehnte nicht zulassen, im gesamten Straßennetz unter den heutigen Bedingungen führerlos fahren zu können. Der Betriebsbereich ist also nicht gesetzlich konstruiert, sondern entspricht der erwarteten Entwicklung. Wer sich nun zu einem groß angelegten Umbau der Autobahnen und Parkhäuser verpflichten würde, investiert an falscher Stelle.
Vorsprung durch Technik?
Was es aller Wahrscheinlichkeit nach braucht, sind neue Schnittstellen im Verkehrssystem, Umstiegs-, Halte- und Verladezonen, die auf lange Sicht zwischen der neuen und der alten Mobilität vermitteln und bestehende Lücken schließen. Zudem wird vor allem eine Reorganisation des innerstädtischen Straßenraums wesentlich: weg vom Auto und nicht weiter wie bisher. Der abstrakte Begriff „Betriebsbereich“ macht damit eine Neuausrichtung der Mobilität möglich und sollte in der Umsetzung von konkreten planerischen Konzepten begleitet werden.
Der Begriff des Betriebsbereichs folgt ganz pragmatischen Überlegungen. Der Gesetzgeber will ermöglichen und nicht verhindern, auch wenn dies nun von manchen Stellen anders dargestellt wird. Mit dem geplanten Gesetz, das die Bundesregierung bereits im Koalitionsvertrag vereinbart hatte, wird vor allem auch das Ziel verfolgt, „die führende Position der Bundesrepublik Deutschland in der Entwicklung automatisierter, autonomer und vernetzter Kraftfahrzeuge“ sicherzustellen. Neben einem volkswirtschaftlichen Interesse könnte es auch hinsichtlich des Klimaschutzes und einer nachhaltigen Raumentwicklung sinnvoll sein, diese Regelung nicht oder nur in ferner Zukunft zugunsten einer uneingeschränkten Nutzung des gesamten Straßennetzes aufzuheben.
Im Fachdiskurs gibt es stichhaltige Argumente dafür, nicht das gesamte Straßennetz – unabhängig von den technologischen Möglichkeiten – für autonome Fahrsysteme zu öffnen. Bisherige Studien weisen darauf hin, dass die Einführung automatisierter Fahrzeuge umfassende Probleme auslösen könnte: mehr Staus statt weniger, mehr Zersiedelung anstelle von kompakten Siedlungen. Aus heutiger Sicht hat es den Anschein, dass durch die räumliche Einschränkung – zumindest bis wir mehr über die tatsächlichen Eigenschaften dieser „aluid“ wissen – die größten Probleme im Bereich der Treibhausgasemissionen, der Überwachung und der Aufenthaltsqualität im Straßenraum besser kontrolliert werden können.
Die Entwicklung im Auge behalten
Man hat umsichtig gehandelt, als man festgelegt hat, dass „die Regelungen [...] nach Ablauf des Jahres 2023 evaluiert werden“. Zahlreich sind die Unsicherheiten, die bleiben. Eine der größten, kann auch dieser Gesetzesvorschlag nicht ausräumen. So wird erkannt, dass es Bereiche im Straßennetz geben wird, die längerfristig nicht automatisiert befahren werden können, „weil diese eine hohe Komplexität haben, Kommunikation oder Interaktion mit anderen Verkehrsteilnehmern voraussetzen, oder generell einer maschinellen Umsetzung nicht zugänglich sind.“
Hinter dieser Formulierung verbirgt sich die Einsicht, dass gerade Straßen mit hoher Aufenthaltsqualität, in denen sich Kinder, Schüler oder Nachtschwärmer tummeln, in denen also nicht nur gefahren, sondern auch gelebt wird, nicht von diesen autonomen Systemen befahren werden können. Die große Zahl an denkbaren Anwendungen würden nur einigen zur Verfügung stehen – mit schwer vorhersehbaren Chancen, aber auch Risiken. Was, wenn eindeutige Standortvorteile für Firmen entstehen? Was, wenn so die Mobilität nur für ganz bestimmte Teile der Gesellschaft verbessert wird?
Die Fragen, die bei der Evaluierung gestellt werden, dürfen nicht allein die technologische Entwicklung automatisierter Fahrsysteme betreffen. Der erhoffte Beitrag von autonomen Fahrzeugen im Kontext einer nachhaltigen Mobilitätswende, der in der Begründung des Gesetzesentwurfs explizit genannt wird, gilt im Fachdiskurs als keinesfalls gesichert. Mehr noch: Nach dem anfänglichen Hype mehren sich die kritischen Stimmen.
Um den sicheren Einsatz autonomer Fahrzeuge gewährleisten und später evaluieren zu können, räumen der Gesetzgeber den zuständigen Instanzen das Recht ein, Daten während des Betriebs zu erheben und auszuwerten. Weil eben nicht nur die technologische Entwicklung Gegenstand dieses wichtigen Regelwerks ist, sollte auch für eine Evaluierung der Wirkungen eine Datengrundlage geschaffen werden.
Wo entstehend neue Services und wer profitiert? Wie wirken diese Technologien im Straßenraum und im Zusammenspiel mit anderen Verkehrsteilnehmern? Nur so lassen sich die erwarteten positiven ökonomischen, ökologischen und sozialen Potenziale, die durch das geplante Gesetz explizit angestrebt werden, tatsächlich realisieren. Es geht hier nicht allein um technologische Fragen, sondern um die Mobilität der Zukunft. Und diese endet nicht am Chassis eines Fahrzeuges.
Co-Autorinnen und Autoren dieses Beitrags sind: Aggelos Soteropoulos, Emilia M. Bruck, Martin Berger, Rudolf Scheuvens und Andrea Stickler.