„Über Bande spielen ist besonders schädlich“

Kann die Kohle-Kommission Erfolg haben? Der Politikwissenschaftler Sven T. Siefken argumentiert im Background-Interview, dass schon die Voraussetzungen denkbar schlecht waren im Vergleich zu anderen Kommissionen: Sie sollte ein umstrittenes Thema isolieren, ist zu groß und wird nun zusätzlich durch die Einmischung von außen belastet. Dennoch hat er einige Tipps, wie sich noch das Beste daraus machen lässt.

Jakob Schlandt

von Jakob Schlandt

veröffentlicht am 29.08.2018

aktualisiert am 14.11.2018

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Sven T. Siefken, Politikwissenschaftler der Universität Halle

Herr Siefken, wie bewertet man überhaupt den Erfolg oder Misserfolg einer politischen Kommission?

Die naheliegende Bewertungskategorie ist: Gibt es überhaupt ein Ergebnis, und falls ja, wird es durch Minderheitsempfehlungen abgeschwächt? Zumindest Letzteres bahnt sich bei der Kohle-Kommission an. Es ist schwer vorstellbar, dass Umweltverbände und Braunkohle-Unterstützer bei der gleichen Jahreszahl für den Kohle-Ausstieg landen. Mindestens ebenso wichtig ist aber: Folgen politische Entscheidungsträger dann der Empfehlung überhaupt? Hier ist das Gelingen sogar noch deutlich unsicherer.


Welche Kommission war nach diesen Maßstäben besonders erfolgreich?

Ich würde zum Beispiel die Hartz-Kommission zum Arbeitsmarkt nennen. Weil sie erstens eine einstimmige Empfehlung ausgesprochen hat und diese dann auch weitgehend umgesetzt wurde. Es gibt aber auch andere Kriterien: Ist gute Politik dabei herausgekommen? Da wiederum gehen die Meinungen bei der Hartz-Kommission sehr weit auseinander. Schließlich kann man noch weitere Bewertungskategorien nennen: Ist ein neuer Impuls für Veränderungen gegeben worden, kommt die Gesellschaft weiter? Und sind verschiedene Gruppen in einen Dialog eingebunden worden? Das wird man erst mit einigem Abstand beantworten können. Und zuletzt: Es gibt auch ein machtpolitisches Kriterium für den „Erfolg“ einer Kommission, der dann aber in Gänsefüßchen stehen muss: Gelingt es der Regierung damit, Zeit zu gewinnen und ein umstrittenes Thema auf die lange Bank zu schieben?


Ist das im Fall der Kohle-Kommission der wichtigste Beweggrund für die Einsetzung?

Möglicherweise. Klimapolitik und Kohle-Ausstieg waren jedenfalls sehr umstrittene Themen in den Koalitionsverhandlungen. Durch die Kommission sind sie im „Tiefkühlfach“ gelandet. Das ist besser, als die Verhandlungen an dieser Frage scheitern zu lassen. Auffällig ist, dass insgesamt 19 Kommissionen im schwarz-roten Koalitionsvertrag von 2018 erwähnt werden – so viele wie nie zuvor. Offenbar wurde die Kraft zur Konfliktbewältigung durch die Parteien während der Koalitionsverhandlungen als sehr gering eingeschätzt. Dann schiebt man die schwierigen Fragen in Kommissionen ab.


Wenn sie alles zusammenzählen: Hat die Bundesregierung die Kohle-Kommission mit einem sinnvollen Mandat ausgestattet, das zum Erfolg führen kann?

Nein, eher nicht. Das Mandat ist geradezu überbordend. Neben dem Titel „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ kommen ja noch klimapolitische Ziele und Entscheidungen über die Zukunft der Kohleverstromung obendrauf. Wie soll das Familienschicksal eines Braunkohlearbeiters verglichen oder gar gegengerechnet werden zur Bedrohung durch den weltweiten Klimawandel? Das ist überfordernd, es müssen zu viele Dinge auf einmal besprochen und in Verbindung zueinander gesetzt werden. In der Vergangenheit ist das selten gutgegangen. Zweitens ist die Besetzung zu breit.


Warum?


Mit rund 30 Teilnehmern plus Beobachtern ist nur eine sehr formalisierte Arbeitsweise möglich. So hatten die Kommissionen zwischen 1998 und 2005 im Durchschnitt 16 Mitglieder; die Hartz-Kommission war mit 15 Mitgliedern ebenfalls deutlich kleiner. In Interviews, die ich geführt habe, sagten bereits bei dieser Größe die Teilnehmer im Anschluss, dass im Gremium eher wenig erreicht wurde. Stattdessen fand viel Austausch im Umfeld der Kommission statt. Doch eine solche Formalisierung des informellen Bereiches beobachten wir in den letzten Jahren an verschiedenen Stellen – auch bei den Sondierungen 2017 und den Koalitionsverhandlungen 2018 war es ja schon so.


Ist eine öffentliche Diskussion – durch Politik und Interessensgruppen – eher hilfreich oder eher schädlich?

Das ist ganz klar störend und verringert die Erfolgsaussichten für die Kommission. Ideal ist es, wenn eine Kommission zu ihrer Einsetzung Öffentlichkeit genießt, dann aber erstmal völlig abgeschlossen und in Ruhe arbeiten kann und am Ende die Ergebnisse auf den Tisch legt. Besonders schädlich ist es, wenn innere Konflikte „über Bande“ gespielt werden, also aus der Kommission nach draußen getragen werden. Das ist bei der Kohle-Kommission der Fall, zum Beispiel, wenn Umweltorganisationen über Protestaktionen die Arbeit beeinflussen wollen, obwohl sie schon mit am Tisch sitzen.


Auch sechs Kohle-Bundesländer haben sich eingemischt. Die Wirtschaftsminister warnten vor steigenden Strompreisen. Ist das legitim?

Ja, legitim ist das. Aber nicht förderlich. Politische Akteure, die mit allen Wassern gewaschen sind, deuten die Kommission als zusätzliche Arena zum Austragen der Konflikte. Und sie mischen sich ein, wenn sie beobachten, dass es dort nicht in ihrem Sinne läuft. Das Resultat ist dann, dass entweder die Ergebnisse tatsächlich beeinflusst werden. Oder, Plan B, die Arbeit der Kommission wird gestört. Das ist besonders für jene attraktiv, die mit dem Status Quo eher zufrieden sind.


Wenn die Vorsitzende der Kommission, Frau Barbara Praetorius, Sie anrufen würde und um Rat bitten würde, was sie jetzt noch tun kann, was würden Sie ihr antworten?

(lacht) Das ist eine gute, aber schwierige Frage. Sinnvoll ist es in jedem Fall, die viele strittigen Punkte abzuschichten und in kleinere Themengruppen aufzuteilen. Das passiert schon, aber so muss man weiter entschlossen vorgehen. Es müssen kleine Problempakete geschnürt werden, gerade weil die Gesamtaufgabe so enorm gewählt ist. Dazu gibt es keine Alternative. Dann sollten alle Punkte, wo Einigkeit herrscht oder zumindest eine Übereinstimmung in der Besichtigung der Fakten, auch dokumentiert werden. So kann man nach und nach einen zumindest kleinen Konsens etablieren. Vielleicht muss man sich aber auch damit anfreunden, nur noch ein Minimalergebnis erzielen zu können.


Und das wäre?

Ich halte es für einen denkbaren Weg, lediglich verschiedene Handlungspfade aufzuzeigen. Wenn man es gut meint, könnte man sagen: Das entspricht dem von Jürgen Habermas beschriebenen dezisionistischen Modell der Politikberatung. Das heißt, Experten sind nicht dazu da, wie im technokratischen Modell, letztgültige „alternativlose“ Entscheidungen eng vorzuzeichnen, sondern sie treten lediglich beratend und vorbereitend in Erscheinung. Die eigentliche Abwägung und verantwortungsvolle Entscheidung nehmen dann aber faktisch – und nicht nur formal – die Mitglieder des Parlaments vor. Dafür sind sie ja auch gewählt.


Sie haben viele Kommissionsmitglieder im Nachgang interviewt. Macht denen die Arbeit eigentlich Spaß?

Das hängt einzig und allein von den Umständen ab. Es kann als großartig empfunden werden, wie die Arbeit in der Hartz-Kommission, oder eher als zermürbend. Bei der Kohle-Kommission tippe ich auf Letzteres. Ich kann mir aber kaum vorstellen, dass die Mitglieder nicht wussten, worauf sie sich eingelassen haben. Dass es konfliktreich und mühsam wird, war klar absehbar. Auf jeden Fall ist dieser Kommission viel Erfolg zu wünschen.


Das Gespräch führte Jakob Schlandt.


Der Politikwissenschaftler Dr. Sven T. Siefken forscht zum Thema Expertenkommissionen und ist Privatdozent an der Universität Halle. Kürzlich ist sein Buch „Parlamentarische Kontrolle im Wandel“ beim Nomos-Verlag erschienen.


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