Sven T. Siefken,
Politikwissenschaftler der Universität Halle
Herr Siefken, wie bewertet man überhaupt den Erfolg oder Misserfolg einer politischen Kommission?
Die naheliegende Bewertungskategorie ist: Gibt es überhaupt ein
Ergebnis, und falls ja, wird es durch Minderheitsempfehlungen
abgeschwächt? Zumindest Letzteres bahnt sich bei der Kohle-Kommission
an. Es ist schwer vorstellbar, dass Umweltverbände und
Braunkohle-Unterstützer bei der gleichen Jahreszahl für den
Kohle-Ausstieg landen. Mindestens ebenso wichtig ist aber: Folgen
politische Entscheidungsträger dann der Empfehlung überhaupt? Hier ist
das Gelingen sogar noch deutlich unsicherer.
Welche Kommission war nach diesen Maßstäben besonders erfolgreich?
Ich würde zum Beispiel die Hartz-Kommission zum Arbeitsmarkt nennen.
Weil sie erstens eine einstimmige Empfehlung ausgesprochen hat und diese
dann auch weitgehend umgesetzt wurde. Es gibt aber auch andere
Kriterien: Ist gute Politik dabei herausgekommen? Da wiederum gehen die
Meinungen bei der Hartz-Kommission sehr weit auseinander. Schließlich
kann man noch weitere Bewertungskategorien nennen: Ist ein neuer Impuls
für Veränderungen gegeben worden, kommt die Gesellschaft weiter? Und
sind verschiedene Gruppen in einen Dialog eingebunden worden? Das wird
man erst mit einigem Abstand beantworten können. Und zuletzt: Es gibt
auch ein machtpolitisches Kriterium für den „Erfolg“ einer Kommission,
der dann aber in Gänsefüßchen stehen muss: Gelingt es der Regierung
damit, Zeit zu gewinnen und ein umstrittenes Thema auf die lange Bank zu
schieben?
Ist das im Fall der Kohle-Kommission der wichtigste Beweggrund für die Einsetzung?
Möglicherweise. Klimapolitik und Kohle-Ausstieg waren jedenfalls sehr
umstrittene Themen in den Koalitionsverhandlungen. Durch die Kommission
sind sie im „Tiefkühlfach“ gelandet. Das ist besser, als die
Verhandlungen an dieser Frage scheitern zu lassen. Auffällig ist, dass
insgesamt 19 Kommissionen im schwarz-roten Koalitionsvertrag von 2018
erwähnt werden – so viele wie nie zuvor. Offenbar wurde die Kraft zur
Konfliktbewältigung durch die Parteien während der
Koalitionsverhandlungen als sehr gering eingeschätzt. Dann schiebt man
die schwierigen Fragen in Kommissionen ab.
Wenn sie alles zusammenzählen: Hat die Bundesregierung die
Kohle-Kommission mit einem sinnvollen Mandat ausgestattet, das zum
Erfolg führen kann?
Nein, eher nicht. Das Mandat ist geradezu überbordend. Neben dem Titel
„Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ kommen ja noch
klimapolitische Ziele und Entscheidungen über die Zukunft der
Kohleverstromung obendrauf. Wie soll das Familienschicksal eines
Braunkohlearbeiters verglichen oder gar gegengerechnet werden zur
Bedrohung durch den weltweiten Klimawandel? Das ist überfordernd, es
müssen zu viele Dinge auf einmal besprochen und in Verbindung zueinander
gesetzt werden. In der Vergangenheit ist das selten gutgegangen.
Zweitens ist die Besetzung zu breit.
Warum?
Mit rund 30 Teilnehmern plus Beobachtern ist nur eine sehr formalisierte Arbeitsweise möglich. So hatten die Kommissionen zwischen 1998 und 2005 im Durchschnitt 16 Mitglieder; die Hartz-Kommission war mit 15 Mitgliedern ebenfalls deutlich kleiner. In Interviews, die ich geführt habe, sagten bereits bei dieser Größe die Teilnehmer im Anschluss, dass im Gremium eher wenig erreicht wurde. Stattdessen fand viel Austausch im Umfeld der Kommission statt. Doch eine solche Formalisierung des informellen Bereiches beobachten wir in den letzten Jahren an verschiedenen Stellen – auch bei den Sondierungen 2017 und den Koalitionsverhandlungen 2018 war es ja schon so.
Ist eine öffentliche Diskussion – durch Politik und Interessensgruppen – eher hilfreich oder eher schädlich?
Das ist ganz klar störend und verringert die Erfolgsaussichten für die
Kommission. Ideal ist es, wenn eine Kommission zu ihrer Einsetzung
Öffentlichkeit genießt, dann aber erstmal völlig abgeschlossen und in
Ruhe arbeiten kann und am Ende die Ergebnisse auf den Tisch legt.
Besonders schädlich ist es, wenn innere Konflikte „über Bande“ gespielt
werden, also aus der Kommission nach draußen getragen werden. Das ist
bei der Kohle-Kommission der Fall, zum Beispiel, wenn
Umweltorganisationen über Protestaktionen die Arbeit beeinflussen
wollen, obwohl sie schon mit am Tisch sitzen.
Auch sechs Kohle-Bundesländer haben sich eingemischt. Die
Wirtschaftsminister warnten vor steigenden Strompreisen. Ist das
legitim?
Ja, legitim ist das. Aber nicht förderlich. Politische Akteure, die mit
allen Wassern gewaschen sind, deuten die Kommission als zusätzliche
Arena zum Austragen der Konflikte. Und sie mischen sich ein, wenn sie
beobachten, dass es dort nicht in ihrem Sinne läuft. Das Resultat ist
dann, dass entweder die Ergebnisse tatsächlich beeinflusst werden. Oder,
Plan B, die Arbeit der Kommission wird gestört. Das ist besonders für
jene attraktiv, die mit dem Status Quo eher zufrieden sind.
Wenn die Vorsitzende der Kommission, Frau Barbara Praetorius,
Sie anrufen würde und um Rat bitten würde, was sie jetzt noch tun kann,
was würden Sie ihr antworten?
(lacht) Das ist eine gute, aber schwierige Frage. Sinnvoll ist es in
jedem Fall, die viele strittigen Punkte abzuschichten und in kleinere
Themengruppen aufzuteilen. Das passiert schon, aber so muss man weiter
entschlossen vorgehen. Es müssen kleine Problempakete geschnürt werden,
gerade weil die Gesamtaufgabe so enorm gewählt ist. Dazu gibt es keine
Alternative. Dann sollten alle Punkte, wo Einigkeit herrscht oder
zumindest eine Übereinstimmung in der Besichtigung der Fakten, auch
dokumentiert werden. So kann man nach und nach einen zumindest kleinen
Konsens etablieren. Vielleicht muss man sich aber auch damit anfreunden,
nur noch ein Minimalergebnis erzielen zu können.
Und das wäre?
Ich halte es für einen denkbaren Weg, lediglich verschiedene
Handlungspfade aufzuzeigen. Wenn man es gut meint, könnte man sagen: Das
entspricht dem von Jürgen Habermas beschriebenen dezisionistischen
Modell der Politikberatung. Das heißt, Experten sind nicht dazu da, wie
im technokratischen Modell, letztgültige „alternativlose“ Entscheidungen
eng vorzuzeichnen, sondern sie treten lediglich beratend und
vorbereitend in Erscheinung. Die eigentliche Abwägung und
verantwortungsvolle Entscheidung nehmen dann aber faktisch – und nicht
nur formal – die Mitglieder des Parlaments vor. Dafür sind sie ja auch
gewählt.
Sie haben viele Kommissionsmitglieder im Nachgang interviewt. Macht denen die Arbeit eigentlich Spaß?
Das hängt einzig und allein von den Umständen ab. Es kann als großartig
empfunden werden, wie die Arbeit in der Hartz-Kommission, oder eher als
zermürbend. Bei der Kohle-Kommission tippe ich auf Letzteres. Ich kann
mir aber kaum vorstellen, dass die Mitglieder nicht wussten, worauf sie
sich eingelassen haben. Dass es konfliktreich und mühsam wird, war klar
absehbar. Auf jeden Fall ist dieser Kommission viel Erfolg zu wünschen.
Das Gespräch führte Jakob Schlandt.
Der Politikwissenschaftler Dr. Sven T. Siefken forscht zum Thema Expertenkommissionen und ist Privatdozent an der Universität Halle. Kürzlich ist sein Buch „Parlamentarische Kontrolle im Wandel“ beim Nomos-Verlag erschienen.