Robo-Taxis und selbstfahrende Shuttles auf deutschen Straßen. Bedarfsgerechte und flexible Mobilität, jederzeit verfügbar. Was vor zehn Jahren noch wie ferne Zukunftsfantasie klang, scheint heute zum Greifen nah. Im Mai 2021 verabschieden Bundestag und Bundesrat das „Gesetz zum autonomen Fahren“. Das Bundesverkehrsministerium spricht bereits davon, Deutschland werde damit weltweit die „Nummer 1“. Derweil kündigt Volkswagen an, ab 2025 Robo-Taxis in Deutschland einzusetzen. Zwei Jahre früher will die Intel-Tochter Mobileye sein. Und eine namhafte Unternehmensberatung rechnet vor, Robo-Taxis seien künftig gut 50 Prozent günstiger als Bus- und Bahn. Rollt da eine Welle selbstfahrender Vehikel auf Deutschland zu? Was wird aus Bus-, Bahn- und Taxisfahrer:innen? Und was bedeutet das für die Zukunft des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV)? Dies haben wir im Rahmen einer kürzlich erschienenen Studie im Auftrag des sächsischen Verkehrsministeriums untersucht.
Der Weg zum autonomen Fahren ist weit
Beim autonomen Fahren scheint sich zu wiederholen, was wir bereits aus anderen Bereichen der Digitalisierung kennen: Der Diskurs ist von einer Polarisierung zwischen teils utopischen Leistungsversprechen von Technologieunternehmen einerseits und abstrakten Ängsten andererseits geprägt. Dort, wo etwa ÖPNV-Unternehmen Entwicklungs- und Erprobungsprojekte mit fahrer:innenlosen Bussen vorantreiben, fragen Beschäftigte, ob es für sie noch eine Perspektive gibt. Dabei haben utopische Leistungsversprechen und abstrakte Ängste eines gemeinsam: Sie überschätzen die technologische Leistungsfähigkeit intelligenter Fahrsysteme.
Ganz so schnell wird es mit dem Vormarsch des autonomen Fahrens nicht gehen. Mit einer flächendeckenden Durchdringung des Mobilitätssektors ist frühestens in den 2030er Jahren zu rechnen. Das ist das zentrale Ergebnis unserer Studie. Die technologische Reife entsprechender Systeme macht einen breiten Einsatz in komplexen, realen Verkehrssituationen des Mischverkehrs vor 2030 sehr unwahrscheinlich. Auf der technischen Seite liegen Herausforderungen derzeit etwa in der notwendigen Car2Car- und Car2Infrastructure-Kommunikation sowie den damit verbundenen Ansprüchen an Netzabdeckung (5G) sowie Normung- und Standardisierung.
Grünes Licht für autonome Fahrzeuge per Gesetz? Fehlanzeige!
Um einen schnelleren Transfer intelligenter Fahrsysteme aus der Forschung in die Praxis zu ermöglichen, verabschiedet der Bund das „Gesetz zum autonomen Fahren“. Doch ein genauer Blick ins Gesetz offenbart einen klassischen Fall von Etikettenschwindel. Das Gesetz ebnet nämlich lediglich vollautomatisierten (Stufe 4)und nicht autonomen Fahrsystemen (Stufe 5) den Weg auf Deutschlands Straßen (zum Stufenmodell). Was nach einem Unterschied für juristische Feinschmecker:innen klingt, ist für das konkrete Anwendungsszenario entscheidend. Während sich Fahrzeuge beim autonomen Fahren (Stufe 5) fahrerlos auch in komplexen Verkehrssituationen, zum Beispiel in Kreuzungsbereichen und an Fußgängerübergängen bewegen, ist beim vollautomatisierten Fahren (Stufe 4) die Überwachung durch einen Menschen unmittelbar im Fahrzeug beziehungsweise über Fernzugriff aus einem Leitstand notwendig.
Anwendungsszenarien für den Mobilitätssektor bis 2030
Ist damit die angekündigte technische Revolution abgesagt? Keineswegs! Das Gesetz ist ein wichtiger Meilenstein für den Praxistransfer teil- und vollautomatisierter Fahrsysteme. Doch sind die konkreten Veränderungen, mit denen sich Unternehmen und Beschäftigte in den 2020er Jahren auseinandersetzen müssen, weniger futuristisch und sehr viel konkreter als mitunter vermittelt. Grade im Bereich des ÖPNV ist bis 2030 davon auszugehen, dass sich vor allem Fahrassistenz-Systeme (autonomes Fahren der Stufen 2-3) weiter verbreiten. Wahrscheinlich ist auch, dass punktuell Services etabliert werden, die in begrenzten Anwendungskontexten mittels vollautomatisierter Kleinfahrzeuge im Bedarfsverkehr operieren. Für Beschäftigte im ÖPNV dürfte es damit bis 2030 zu einem Wandel bisheriger Berufsbilder kommen. Fahrer:innen etwa, werden Schritt für Schritt Aufgaben der Fahrzeugführung abgeben und stärker fahrüberwachend tätig sein. Für diese Beschäftigtengruppe ist das zunächst eine gute Nachricht: Sie werden weiterhin gebraucht. Die weniger gute Nachricht: In Folge der partiellen Kontrollabgabe kann es zu erhöhten psychischen Arbeitsbelastungen kommen.
Geschäftsmodelle weiterdenken, Beschäftigte zu Beteiligten machen
Für ÖPNV-Unternehmen bergen Teil- und Vollautomatisierung große Vorteile, etwa bei der Energieeffizienz, der Zuverlässigkeit und der Sicherheit im Fahrbetrieb. Dabei ist diese Entwicklung nur ein Teil des Transformationsprozesses, den der Mobilitätssektor im Zuge der Verkehrswende, der zunehmenden Relevanz privater Mobilitätsanbieter und der Integration von Verkehrsdienstleistungen über digitale Plattformen bis 2030 erleben wird. Damit es gelingt, ÖPNV-Unternehmen auf diese komplexe Transformation vorzubereiten, muss die Innovationsfähigkeit der vielfach in kommunaler Hand befindlichen Unternehmen gestärkt werden, etwa durch die strategische Kooperation mit IT-Start-ups und Forschungseinrichtungen. ÖPNV-Unternehmen müssen sich vorbereiten, vom Mobilitätsdienstleister zum Plattformbetreiber zu werden: Künftig wird es darum gehen, wer die Kund:innenschnittstelle beherrscht, über die Dienstleistungen privater wie öffentlicher Anbieter angeboten werden. Diese Veränderungen werden dabei nur gelingen, wenn Unternehmen heute bereits Strategien erproben, Innovation partizipativ und unter frühzeitiger Einbindung der Beschäftigten zu gestalten. Es gilt frühzeitig Erfahrung und gegenseitiges Vertrauen aufzubauen – etwa durch unternehmenseigene Experimentierräume wie dem der Leipziger Verkehrsbetriebe.
Gezielt fördern und Zukunftskonsens schaffen
Mit dem Gesetz zum autonomen Fahren kommen wir in Deutschland regulatorisch erstmals vor die Lage. Doch grade bezogen auf den ÖPNV reicht das nicht aus, um diesen Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge langfristig zu sichern. Bei der Entwicklung hin zum autonomen Fahren konzentrieren Fahrzeughersteller ihre Energie auf das PKW-Segment. Die Entwicklungsdynamik bei größeren Fahrzeugen (etwa bei Bussen ab zehn Metern Länge), ist aktuell zu gering. Zu unattraktiv scheint der Markt. Ein echtes Problem für ÖPNV-Unternehmen, die teil- und vollautomatisierte Großfahrzeuge einsetzen möchten. Hier müssen Bund und Länder wirksame Anreize für Hersteller setzen. Auch politische Entscheider:innen vor Ort sind gefragt: Um langfristige Planungssicherheit für Investitionen in physische und digitale Infrastruktur zu geben, bedarf es eines breiten gesellschaftlichen Konsens darüber, wie öffentliche Räume in 10 und 20 Jahren aussehen sollen. Heutige Raum- und Verkehrsplanung wird den Anforderungen an einen künftigen Mischverkehr mit autonomen Großfahrzeugen nicht gerecht.
Robert Peters leitet als Zukunftsforscher und Politikberater am Institut für Innovation und Technik (iit) Analyse- und Beratungsprojekte für Akteure aus dem öffentlichen und dem privaten Sektor. In seiner Arbeit beschäftigt er sich mit der Gestaltung des digitalen Wandels in Wirtschaft und Arbeitswelt. Gemeinsam mit einem interdisziplinären Team aus Wirtschafts- und Sozial-, Technik- und Humanwissenschaftler:innen hat er untersucht, wie sich die Einführung autonomer Fahrsysteme in Deutschland auf Unternehmen und Beschäftigte im Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) auswirkt – zur Studie.