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Standpunkte Der Modernisierungspakt zum ÖPNV geht uns alle an

Jörg Niemann
Jörg Niemann, Partner und Leiter des Kompetenz-Center Mobilität von Rödl & Partner Foto: promo

Der „Modernisierungspakt“ für den ÖPNV zählt zu den zentralen Aufgaben der Bundesregierung. Er wird darüber entscheiden, ob das Deutschlandticket dauerhaft durch ein freiwilliges Deutschlandangebot für den ÖPNV ergänzt wird. Die hierfür notwendige öffentliche Co-Finanzierung von Bund, Ländern und Kommunen erfordert eine Reform der bestehenden Strukturen. Nur wenn es gelingt, mehr Transparenz zu schaffen, können zusätzliche Mittel für den ÖPNV erschlossen werden.

von Jörg Niemann, Kanzlei Rödl & Partner

veröffentlicht am 03.07.2025

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Bereits die Vorgängerregierung hatte sich im Rahmen des Ausbau- und Modernisierungspaktes (AMP) an einer Reform versucht – jedoch ohne abschließenden Erfolg. Damit ein Neustart gelingt, müssen diesmal die Vorteile für die Menschen im Vordergrund stehen. Neben der Erreichung der Klima- und Umweltziele müssen die unmittelbar greifbaren Vorteile sichtbar werden. Nur so kann die für den politischen Prozess notwendige öffentliche Aufmerksamkeit erreicht werden. Eine zentrale Rolle spielt dabei das Deutschlandticket. Es sollte durch ein verkehrliches Deutschlandangebot ergänzt werden.

Der Rahmen für die Finanzierungsbedarfe ist abgesteckt

Der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) hat das neue Leistungskostengutachten für den ÖPNV 2024-2040 vorgestellt. Es zeigt – nach Szenarien differenziert – die Finanzierungsbedarfe auf. Für die Transformation im Bestand (Modernisierungsszenario) steigt der Finanzbedarf für 2040 von heute 26 auf 49 Milliarden Euro an.

Für die Transformation als echte Alternative zum MIV (Szenario Deutschlandangebot 2040) wird der Bedarf im Jahr 2040 bei rund 80 Milliarden Euro liegen. Nachdem mit den Szenarien der Rahmen für die Finanzierungsbedarfe abgesteckt ist, sollte nunmehr der Blick auf die notwendigen strukturellen Veränderungen gerichtet werden.

Fokus: Notwendige strukturelle Veränderungen

Ein Impulspapier von Rödl & Partner skizziert „Vorschläge für eine ÖPNV-Reform zur Sicherstellung eines freiwilligen Deutschlandangebots“. Das Papier ist als „Rolling Document“ konzipiert und wird im Rahmen des „Dialogforums Modernisierungspakt“ fortgeschrieben werden.

Der ÖPNV-Markt ist hochgradig administriert und reguliert. Die Staatsquote beträgt aktuell fast 70 Prozent. In einem solchen Umfeld sind grundlegende Veränderungen aus dem Markt heraus nicht zu erwarten. Veränderungen müssen zentral und abgestimmt durch die öffentliche Hand veranlasst, finanziert und gesteuert werden. Dies kann nur in einem umfassenden Gesamtkonzept erfolgen. Hierfür braucht es:

1. Abgestimmte Leistungsstandards

Die Arbeitsgruppe 1 zum AMP hatte eine Verständigung zu den Leistungsstandards erzielt. Die Ergebnisse sind dahingehend zu modifizieren, dass zum Beispiel die Vorgaben für das Deutschlandticket aufgenommen werden. Das Leistungsniveau für die Erreichung des Deutschlandangebots sollte nach Raumtypen differenziert werden. Die abgestimmten Leistungsstandards ermöglichen sodann den Menschen einen leichteren Zugang zum Gesamtsystem der öffentlichen Mobilität.

2. Klare Aufgaben- und Verantwortungsteilung

Bislang agierten Bund, Länder und Kommunen häufig auf eigener Bühne. Zukünftig sollte das verkehrliche Deutschlandangebot durch eine klare Aufgaben- und Verantwortungsteilung begleitet werden. Dies betrifft vor allem den Anteil der Co-Finanzierung, für die feste Schlüssel zwischen Bund und Ländern zu vereinbaren sind. Nach dem hier zugrunde gelegten Konzept sollten Bund und Länder die Investitionen tragen, die Kommunen übernehmen die laufenden Betriebskostendefizite und etwaige ungedeckte Investitionsanteile. Ihnen obliegt die Entscheidung, ob das Deutschlandangebot als Leistungsniveau vor Ort gelten soll (freiwilliges Deutschlandangebot).

3. Neue Finanzierungsarchitektur

In dem Modell des freiwilligen Deutschlandangebots wird das bisherige System der kaskadierenden Spaghettifinanzierung durch zentrale Bewilligungsstellen ersetzt. Sie gewähren den Aufgabenträgern „aus einer Hand“, die von Bund und Ländern bereitgestellten Mittel zu verwenden. Hierzu legt der antragstellende Aufgabenträger einen „Investitions- und Aktionsplan“ vor. Der Umfang der Finanzierung und die Finanzierungskonditionen richten sich nach dem Grad der geplanten Zielerreichung am Maßstab des Deutschlandangebots. Das bisherige System der Einzelmaßnahmenförderung wird durch eine Gesamtfinanzierung abgelöst. Zur Steuerung werden Leistungs- und Finanzierungsvereinbarungen (LuFV) zwischen den Bewilligungsstellen und Aufgabenträgern geschlossen.

4. Erschließung neuer Finanzmittel auf der Ebene von Bund und Ländern

Die vorhandenen Bundes- und Landesmittel reichen nicht aus, um die verkehrlichen und tariflichen Standards im ÖPNV dauerhaft zu sichern. Auch das Sondervermögen Infrastruktur und Klimaneutralität (SVIKG) und das europäische Emissionshandelssystem für Gebäude und Verkehr (ETS 2) werden keine nennenswerten Entlastungen bringen. Der Hochlauf der Investitionen droht an den Vorgaben der Schuldenbremse beziehungsweise den Maastrichtkriterien zu scheitern. Notwendig ist daher die Erschließung neuer Finanzmittel.

Dies kann zusätzlich zu den heutigen Haushaltsmitteln durch die Einbeziehung privaten Kapitals, etwa eines öffentlich-privaten Fonds, erfolgen. Die Fonds werden durch öffentlich getragene Verwahrgesellschaften gemanagt, die ausschließlich auf die Ziele des jeweiligen Fondsgesetzes verpflichtet sind, die ihrerseits auf die Standards des Deutschlandangebots ausgerichtet sind. Die Verwahrgesellschaften vergeben aus der jeweiligen Fondsmasse Einzeldarlehen an die Aufgabenträger. Die Refinanzierung der öffentlich-privaten Fonds erfolgt über die Haushalte im Rahmen der mittelfristigen Finanzplanung (Verpflichtungsermächtigung) und im Falle des Bundes auch über den SVIKG und den Klima- und Transformationsfond (KTF), jeweils unter Wahrung der Schuldenbremse.

5. Refinanzierung auf kommunaler Ebene

Die Kommunen sind kurzfristig in die Lage zu versetzen, eigene zusätzliche Mittel für den ÖPNV zu erschließen. Diese dienen sowohl der Refinanzierung der Darlehen, der Deckung des Betriebskostendefizits und für Investitionen von Leistungsstandards. Ein notwendiger Ansatz ist die Ermöglichung der Mitfinanzierung des ÖPNV durch Dritte (sogenannte Drittnutzerfinanzierung), was einer Änderung der kommunalen Abgabengesetze bedarf. Denkbar sind Regelungen zur verpflichtenden Abnahme des Deutschlandtickets durch Arbeitgeber. Ferner sind alle weiteren Hemmnisse abzubauen, um einen effizienten Mitteleinsatz zu ermöglichen und zusätzliche Mittel zu erschließen (zum Beispiel Sektorenkopplung).

Der „Modernisierungspakt“ für den ÖPNV ist die notwendige Voraussetzung für die inhaltliche Neuausrichtung des ÖPNV. Die sogenannten dicken Bretter müssen jetzt gebohrt werden, um die gewachsenen, intransparenten Strukturen zu überwinden, Innovationen zu ermöglichen und mehr Menschen für die öffentliche Mobilität zu begeistern.

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