Auf Reisen staunen wir: über die erstklassige Fahrradinfrastruktur in den Niederlanden, die nahtlose Anbindung ländlicher Regionen in Skandinavien, den perfekt organisierten ÖPNV in Singapur – und die rasante Transformation von der Stau-Metropole Paris zur Stadt mit einer ganzheitlichen, lebendigen Mobilitätskultur.
Und zurück in Deutschland? Da begnügen wir uns mit dem Status quo – gefangen in Partikularinteressen und alten Mustern, ohne gemeinsame Vision für die Zukunft der Mobilität. Die einen schimpfen über den Radverkehr, die anderen über die Automobilindustrie, die Bahn oder die Politik. Doch so kommen wir nicht voran. Während andere Länder mit innovativen Konzepten Wirtschaftswachstum und Klimaschutz vereinen, drohen wir abgehängt zu werden.
Die Folge: überlastete Straßen, ein Flickenteppich aus Einzelmaßnahmen, eine zu eng gedachte Industriepolitik und eine Klimabilanz, die uns allen Sorgen machen sollte. Das ist fatal. Denn Mobilität ist weit mehr als nur Fortbewegung. Sie ist das Rückgrat der deutschen Wirtschafts- und Innovationskraft, Schlüssel zur Klimaneutralität und ein zentraler Bestandteil des täglichen Lebens – in der Stadt wie auf dem Land. Sie verbindet Menschen, Regionen und Branchen. Nur wenn wir Mobilität verkehrsmittel- und sektorenübergreifend denken, können wir die Herausforderungen der Zukunft meistern und neue Chancen für unser Land schaffen. Die Ideen dafür sind längst da – wir müssen sie nur konsequent und ganzheitlich umsetzen.
Der wissenschaftlich fundierte Fünf-Punkte-Plan des zehnköpfigen Autorenteams von MCube zeigt, wie Deutschland die Zukunft der Mobilität aktiv gestalten kann, statt sie mutlos geschehen zu lassen.
Die Forderungen:
1. Nachhaltige Mobilität fördern – Für ein klimafreundliches Verkehrssystem, das unsere Wirtschaft stärkt und die Lebensqualität erhöht.
Der Verkehrssektor ist einer der größten CO2-Verursacher. Ein starker öffentlicher Nahverkehr vor allem in den Städten ist essentiell für eine klimafreundliche Zukunft und eine starke Wertschöpfung. Dafür braucht es gesicherte Finanzierungen, engere Taktungen und attraktive Preise. Das Deutschlandticket darf nicht das Ende der Ambition sein – wir brauchen langfristige Lösungen, die den ÖPNV als echte Alternative etablieren.
Rad- und Fußverkehr sind die gesündesten, klimafreundlichsten und fürs Land sparsamsten Mobilitätsformen, doch vielerorts fehlen sichere Wege, Abstellmöglichkeiten und ein konsequenter Vorrang vor dem Autoverkehr. Städte müssen mutiger werden und breitere Radwege, mehr autofreie Zonen und eine konsequente Parkraumbewirtschaftung ermöglichen.
Auch auf dem Land muss sich etwas ändern. Wo der Pkw oft alternativlos ist, muss Elektromobilität gefördert werden. Der Ausbau von Ladeinfrastruktur und finanzielle Anreize für E-Fahrzeuge sind dort essenziell. Nachhaltige Mobilität darf kein Privileg für Großstädter sein – sie muss überall funktionieren.
Digitale Anreizsysteme wie Mobility-Coins könnten den Wandel ebenfalls beschleunigen: Wer nachhaltig unterwegs ist – ob zu Fuß, mit dem Rad oder im ÖPNV – sollte belohnt werden.
2. Mobilitätsinnovationen branchenübergreifend fördern – Deutschlands Mobilitätswende durch schnelleren, gebündelten Transfer vorantreiben und Zukunftstechnologien besetzen.
Deutschland hat brillante Ingenieurinnen und Ingenieure, doch wir nutzen ihr Potenzial nicht konsequent. Während andere Länder autonomes Fahren testen und Mobilitätsplattformen entwickeln, bremsen wir uns mit Regulierungen und fehlendem Willen für den großen Wurf aus.
Wir brauchen eine nationale Agentur für Innovationstransfer in der Mobilität – eine DATI Mobility –, die Forschungsergebnisse branchenübergreifend schneller und konsequenter in die Praxis bringt. Autonomes Fahren sollte gezielt gefördert werden – besonders im öffentlichen Verkehr. Selbstfahrende Busse und Shuttles sind notwendig für den Ausbau des ÖPNV in der Stadt, aber auch auf dem Land, um Mobilität für alle zu ermöglichen.
Transformation bedeutet aber auch, Bürgerinnen und Bürger zu beteiligen. Die Menschen im Land sind oft offener für Experimente und neue Mobilitätslösungen, als die Politik glaubt. Deshalb müssen Reallabore als Instrument viel konsequenter ausgebaut werden. In diesen realen Testumgebungen lassen sich innovative Mobilitätskonzepte erproben, bevor sie großflächig umgesetzt werden. Erfolgreiche Beispiele aus anderen Ländern zeigen, dass ein Zusammenspiel von Top-down-Strategien und Bottom-up-Initiativen entscheidend ist, um den Wandel erfolgreich anzustoßen.
3. Mehr Verantwortung und Autonomie für Kommunen in der Verkehrsplanung – individuell und im Verbund.
Jede Stadt, jede Gemeinde hat unterschiedliche Mobilitätsbedürfnisse. Warum also wird so viel zentral geregelt? Kommunen brauchen mehr Autonomie, um ihren Verkehr flexibler zu planen. Sie sollten selbst entscheiden dürfen über Tempo-30-Zonen, Parkraumbewirtschaftung und verkehrsberuhigte Schulzonen.
Verkehr endet nicht an Stadtgrenzen. Wer pendelt, braucht verlässliche Anschlüsse, einheitliche Tickets und kluge Vernetzungen. In der Schweiz funktioniert ein übergreifendes Nahverkehrssystem reibungslos – Deutschland könnte daraus lernen.
4. Mobilität und Raum bedarfsorientiert, sicher, gerecht und damit effizient und zukunftsfest miteinander verknüpfen.
Ein gut finanzierter öffentlicher Nahverkehr ist entscheidend für eine ressourcenschonende und sozial gerechte Mobilität, aber auch als Wertschöpfungsgarant für Handel, Pendelverkehr und Tourismus. Ein langfristig angelegter Infrastrukturfonds nach dem Vorbild der Schweiz oder Singapur könnte den ÖPNV-Ausbau sichern – unabhängig von politischen Zyklen. Kommunen und Verkehrsbetriebe müssen langfristig planen können.
Mobilität ist nicht nur Fortbewegung, sondern auch Lebensqualität. Bahnhöfe sollten keine unwirtlichen Orte sein, sondern moderne, multifunktionale Verkehrsknotenpunkte mit Cafés, Co-Working-Spaces und Grünflächen. Stadtviertel müssen so geplant werden, dass Wohnen, Arbeiten und Mobilität sinnvoll verknüpft sind. ÖPNV-orientierte Stadtentwicklung kann den Zwang zum Pendeln reduzieren und Städte lebenswerter machen.
5. Gesellschaftliche und politische Rahmenbedingungen für die Mobilitätswende stärken
Mobilität ist kein Luxus, sondern ein Grundrecht. Jeder Mensch sollte sich frei und bezahlbar bewegen können – unabhängig vom Einkommen. Doch warum ist Diesel steuerlich begünstigt, während Bahnfahren oft teurer ist als Fliegen? Warum gibt es kostenlose Parkplätze in Innenstädten, aber hohe Kosten für ein Monatsticket im Nahverkehr?
Wir brauchen eine gerechte Mobilitätspolitik, die nachhaltige Fortbewegung fördert und Erfolg nicht an Straßenkilometern misst, sondern an Lebensqualität. Der öffentliche Verkehr muss bezahlbar bleiben, Anreize für umweltfreundliche Mobilität – Zielgruppenspezifisch für alle Nutzer - müssen gestärkt werden. Wer Städte lebenswerter machen will, muss klimaschädliche Subventionen abbauen und nachhaltige Alternativen konsequent ausbauen.
Fazit: Der Moment für Veränderung ist jetzt
Die Mobilität der Zukunft ist keine Frage der Technologie – sie ist eine Frage der Umsetzung. Deutschland kann mit seiner exzellenten Forschung und starken Industrie der europäische Vorreiter nachhaltiger Mobilität werden – für eine lebenswerte, gerechte und klimaneutrale Zukunft. Dafür braucht es ein gesamtgesellschaftliches Wollen – langfristige, klare politische Entscheidungen, wissenschaftlich fundierte Strategien, direkte Transfermöglichkeiten von der Theorie in die breite Praxis und einen breiten gesellschaftlichen Rückhalt. Damit wir in Zukunft nicht mehr nach Paris, Singapur oder Amsterdam reisen müssen, um gute Beispiele zu sehen. Damit wir nicht stehen bleiben, während andere vorbeiziehen. Die Wahl liegt bei uns.
Autorenteam Fünf-Punkte-Plan: Klaus Bogenberger, Benedikt Boucsein, Kirstin Hegner, Markus Lienkamp, Allister Loder, Oliver May-Beckmann, Sebastian Pfotenhauer, Miranda Schreurs, Alexander Wentland, Gebhard Wulfhorst.