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Standpunkte Die neue Altfahrzeugverordnung der EU lässt den Herstellern zu viel Spielraum

Marieke Hoffmann
Marieke Hoffmann
Fynn Hauschke
Fynn Hauschke
Marieke Hoffmann, Senior Expertin für Kreislaufwirtschaf bei der Deutschen Umwelthilfe und Fynn Hauschke, Referent für Kreislaufwirtschaft und Abfall beim European Environmental Bureau Foto: DUH, EEB

Jahrelang haben Autobauer und der Herstellerverband Acea ein regelrechtes Anti-Recycling-Kartell betrieben. Es wird zu einem Zeitpunkt bekannt, zu dem in Brüssel die gesetzlichen Regelungen für Hersteller neu ausgestaltet werden. Es zeigt sich einmal mehr, dass die neue Verordnung ein robustes System der erweiterten Herstellerverantwortung und Transparenz sicherstellen muss.

von Marieke Hoffmann & Fynn Hauschke

veröffentlicht am 23.05.2025

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Im April gab die EU-Kommission bekannt, dass 15 große Autobauer und der Herstellerverband Acea mit einer Strafe von insgesamt 458 Millionen Euro belegt werden, da sie von 2002 bis 2017 ein Kartell im Zusammenhang mit dem Recycling von Altfahrzeugen bildeten. Nach Angaben der EU-Kommission vereinbarten die Hersteller beispielsweise, Demontagebetriebe für das Recycling von Altfahrzeugen nicht zu entlohnen.

Außerdem gab es eine Vereinbarung der Hersteller, die Öffentlichkeit nicht über die Recyclingfähigkeit und den Anteil an Recyclingmaterial in ihren Produkten zu informieren, damit auf dem Markt in Bezug auf diese für die Kreislaufwirtschaft relevanten Designaspekte kein Wettbewerb entsteht. Die illegalen Absprachen werfen vermutlich die Kreislaufwirtschaft im Fahrzeugbereich um viele Jahre zurück.

Brüssel verspricht Änderungen

Das Kartell wird zu einem Zeitpunkt bekannt, zu dem eben diese gesetzlichen Regelungen für Fahrzeughersteller neu ausgestaltet werden. Die EU-Kommission hat im Jahr 2023 einen Entwurf für die Verordnung über Anforderungen an die kreislauforientierte Konstruktion von Fahrzeugen und über die Entsorgung von Altfahrzeugen vorgelegt, die die bisherige Altfahrzeugrichtlinie ablösen soll. Derzeit entwickeln EU-Parlament und EU-Rat ihre Positionen, bevor voraussichtlich in der zweiten Jahreshälfte die finalen Trilogverhandlungen beginnen.

Geplant sind gesetzliche Vorgaben für den gesamten Lebensweg des Fahrzeugs: vom umweltgerechten Design bis zur Behandlung am Lebensende. Die geplante Verordnung setzt europaweit einheitlich das Prinzip der erweiterten Herstellerverantwortung um (engl. Extended Producer Responsibility, EPR). Ein umweltpolitischer Ansatz, der den Herstellern die Verantwortung für ihre Produkte während des gesamten Lebenszyklus überträgt, auch in der Phase nach der Nutzung.

Analoge gesetzliche Regelungen gibt es beispielsweise auch für Verpackungen („Grüner Punkt“), Elektrogeräte oder Batterien und bald auch für Textilien. Das aufgedeckte Recycling-Kartell und frühere Skandale wie Dieselgate zeigen, dass Hersteller nicht zögern, auf kriminelle Art und Weise ihre machtvolle Stellung auszunutzen. Es ist also entscheidend, mit der geplanten Fahrzeugverordnung ein robustes System für die Herstellerverantwortung im Bereich Fahrzeuge aufzubauen.

Kein Ausweg durch die Hintertür

Keinesfalls darf es Herstellern gelingen, sich durch unverbindliche gesetzliche Regelungen oder Schlupflöcher, weiter ihrer Verantwortung zu entziehen. So muss die Verordnung sicherstellen, dass die mittelständisch geprägte Recyclingindustrie für eine moderne Fahrzeugverwertung in Zukunft ausreichend kompensiert wird. Dies wird umso bedeutender, da die Verwertungskosten durch die Anforderungen der neuen Verordnung voraussichtlich steigen werden.

Eine effektive Umsetzung der Herstellerverantwortung sollte zudem eine Pflicht für Hersteller enthalten, sich an einem gemeinsamen Rücknahmesystem (engl. Producer Responsibility Organisation, PRO) zu beteiligen. Das erleichtert nicht nur den Vollzug, sondern ermöglicht auch, dass alle relevanten Akteure eingebunden werden – Hersteller, aber eben auch Verwerter, Demontagebetriebe und zivilgesellschaftliche Organisationen.

Eine Forderung, die auch die Recycling-Industrie teilt. Zudem ist es die Voraussetzung für wichtige umweltpolitische Instrumente, die im Kommissionsvorschlag angelegt sind: beispielsweise höhere Herstellergebühren für besonders umweltschädliche Fahrzeugmodelle bzw. geringere Gebühren für solche Fahrzeuge, die recyclingfähig und/oder schadstoffarm sind – als „Ökomodulation“ bezeichnet.

Schutz für die Öffentlichkeit

Das Kartell offenbart auch, dass Hersteller wenig Interesse daran haben, Verbraucher:innen über die Umweltperformance ihrer Produkte aufzuklären. Vor diesem Hintergrund muss die geplante Fahrzeugverordnung dringend verbindliche Regelungen für mehr Transparenz schaffen. So braucht es einen digitalen Produktpass für Fahrzeuge, in dem relevante Umweltinformationen, beispielsweise zum CO2-Fußabdruck bei der Herstellung, der Reparierbarkeit und dem Einsatz von Recyclingmaterialien für Verbraucher:innen offengelegt werden. Nur so können Verbraucher:innen diese Kriterien in ihren Kaufentscheidungen berücksichtigen.

Neben Transparenzregeln sollten zudem Mindestkriterien für das Ökodesign von Fahrzeugen, beispielsweise zur Reparierbarkeit oder dem Einsatz von Recyclingmaterialien, gelten. Sollte dies nicht geschehen, ist zu befürchten, dass Hersteller von der jahrelangen Geheimhaltung relevanter Umweltinformationen nun auch noch profitieren, indem sie geringere Ökodesignvorgaben mit der schlechten Datenlage begründen.

Dabei belegen die wissenschaftlichen Studien der EU-Kommission sehr gut den Umweltnutzen der geplanten Regelungsvorschläge, und eine ambitionierte Fahrzeugverordnung ist schon allein dadurch notwendig, um gegenüber Herstellern von Verpackungen und Batterien (beide Produktgesetzgebungen wurden kürzlich novelliert) in Europa gleiche Wettbewerbsbedingungen zu schaffen.

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