Grüner Wasserstoff ist im vergangenen Jahr zum Hoffnungsträger der Sektorenkopplung und einer voranschreitenden Energiewende avanciert. Die Nationale Wasserstoffstrategie der Bundesregierung, über die lange gestritten wurde, soll jetzt erforderliche Anreize und verpflichtende Kriterien für die nachhaltige Nutzung von Wasserstoff sowie den Folgeprodukten schaffen.
Im Zuge des Konjunktur- und Krisenbewältigungspakets sind nun die ersten Punkte bekannt, auf die sich die Regierungskoalition bezüglich der Nationalen Wasserstoffstrategie einigen konnte. Klar ist mittlerweile, dass die Strategie den Einsatz von Wasserstoff vorrangig auf industrielle Prozesse fokussiert und verbindliche Quoten für den Flug- und Stahlsektor vorsieht.
Weichen für nachhaltigen Luftverkehr jetzt stellen
Trotz der zunehmenden und notwendigen Umstellung auf elektrische Antriebe wird der Verkehr auch langfristig große Mengen an Kraftstoffen benötigen. Insbesondere in der Luftfahrt gibt es bislang keine Alternativen. Wie sonst sollen Airlines umgebaut werden? CO2-Emissionen können hier aktuell nur mit E-Fuels im großen Maßstab verringert werden. Anders als im Personenkraftverkehr sind Elektro- und Brennstoffzellenflieger bislang nur Prototypen, die sich, wenn überhaupt, für Kurzstreckenflüge mit geringen Transportvolumen eignen. Für diejenigen, die Skepsis gegenüber dem Einsatz von E-Fuels in Triebwerken haben: Eine Studie des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt entkräftete erst vor Kurzem diese Vorbehalte und bestätigte, dass E-Fuels gesetzliche Verbrennungseigenschaften aufweisen und gleichzeitig bis zu 100-mal weniger Rußvorläufer als herkömmliches Kerosin freisetzen. Ihr Einsatz ist also unbedenklich.
Außerdem lässt sich auch der CO2-Ausstoß der Pkw- und Lkw-Bestandsflotten mit dem Einsatz von E-Fuels spürbar reduzieren. Bis gesamte Flotten auf den Batteriebetrieb umgerüstet sind, können nachhaltig erzeugte Kraftstoffe mittels Quotenregelungen konventionellen Kraftstoffen beigemischt und kann der Transport emissionsärmer gestaltet werden. Lkw, die in den letzten 15 bis 20 Jahren zugelassen wurden, verschwinden leider nicht einfach von den Straßen und bleiben mindestens noch in den kommenden zehn Jahren fester Bestandteil des Straßenbildes. Genau für diese Fahrzeuge bedarf es einer schnellen – möglichst CO2-neutralen – Lösung, die das Erreichen der Klimaziele nicht gefährdet.
100 Prozent Elektrifizierung in weiter Ferne
Nun darf auf keinen Fall das Missverständnis entstehen, E-Fuels seien der alleinige Heilsbringer der Verkehrswende oder könnten den Innovationsstau der deutschen Automobilbranche bei der Elektromobilität kompensieren. Doch die Annahme, dass eine rasche Verkehrswende allein mittels direkter Elektrifizierung umzusetzen ist, täuscht schlichtweg über die Tatsache hinweg, dass sich große Teile des Verkehrssektors (noch) nicht vollständig elektrifizieren lassen. Die Antriebsdebatte darf sich daher nicht in einem Entweder-oder erschöpfen, sondern muss die Frage nach der effizientesten Technologiekombination beantworten. Ein vorübergehendes Nebeneinander von Stromern und konventionellen Fahrzeugen auf den deutschen Straßen bleibt vorerst Realität. Um die Klimaziele dennoch zu erreichen, ist der Einsatz von Übergangslösungen – einem Zusammenspiel von synthetischen Kraftstoffen und Batterien – unabdingbar.
Abgesehen davon finden E-Fuels ebenfalls als effektive Langzeitspeichertechnik zunehmend Beachtung, denn für das Stromnetz kündigt sich mit dem Einsatz von E-Fuels eine erhebliche Entlastung an. Anstatt Windanlagen bei einem Energieüberschuss ausdrehen zu lassen, weil der Strom nicht bei den Verbrauchern ankommt, kann dieser an eine Power-to-Liquid-Anlage weitergeleitet und in einen Energiespeicher in Form von E-Fuels umgewandelt werden. Durch den Vorteil der Speicher- und Transportierbarkeit des gewandelten Ökostroms in E-Fuels wird die Nachfrage nach erneuerbaren Energieanlagen steigen und damit der weitere Ausbau von Photovoltaik und Wind beschleunigt.
Anlage in Norwegen im industriellen Maßstab
Bald können auch hochskalierte Industrieanlagen bis zu 60 Prozent des eingesetzten Stroms in Form von nachhaltigen Kraftstoffen speichern. Stammt die dafür verwendete Energie aus den erneuerbaren Quellen wie Sonne, Wind und Wasser, ist das Verfahren CO2-neutral und somit klimafreundlich.
Aktuell wagt die Elektrolysewirtschaft den Schritt hin zur Kommerzialisierung der Power-to-X-Technologie. In Norwegen entsteht nun die erste Anlage zur Herstellung von synthetischen Kraftstoffen im industriellen Maßstab. Ab 2023 sollen dort dann jährlich zehn Millionen Liter E-Fuels produziert werden. In den darauffolgenden Jahren ist die sukzessive Ausweitung der jährlichen Produktionskapazitäten auf 100 Millionen Liter geplant. Dieses Leuchtturmprojekt kann dann die notwendige Strahlkraft entfalten, um die gelungene Überführung der Technologie in die Marktreife darzulegen.
Die im November 2019 eröffnete erste voll-integrierte Power-to-Liquids-Versuchsanlage in Karlsruhe zeigt ebenfalls exemplarisch, wie die Sektorenkopplung bereits heute effizient und nachhaltig umgesetzt werden kann: Die Anlage nutzt das eingesetzte Kohlendioxid aus der Atmosphäre und wandelt es mit der größtmöglichen Effizienz in E-Fuels um.
Eintritt ins Wasserstoffzeitalter ist zum Greifen nahe
Diese Beispiele belegen: Schon jetzt ist die Power-to-Liquid-Technologie ausgereift und umfassend erprobt. Damit E-Fuels zeitnah und in großen Mengen – in erster Linie hierzulande – produziert werden, muss die Politik den erforderlichen regulatorischen Rahmen unter Einbezug nachhaltiger Produktionsbedingungen schaffen, um Planungs- und Investitionssicherheit zu garantieren. Geeignete Maßnahmen dafür können die Einführung einer verbindlichen Beimischquote für E-Diesel und E-Benzin im Pkw-/Lkw-Sektor durch die Umsetzung der europäischen Renewable Energy Directive II (RED II) auf nationaler Ebene sein, genauso wie eine verbindliche Beimischquote für E-Kerosin auf europäischer Ebene.
Eine weitere Möglichkeit ist die Anrechnung von nachweislich nachhaltig erzeugten E-Fuels auf die Flottenemissionswerte im Pkw-Verkehr. Über diese Maßnahme könnten Automobilhersteller Kontingente an CO2-neutralen E-Fuels erwerben, welche die Emissionen ihrer Bestandsflotte bilanziell senken. Durch Reduzierung der Emissionen der Bestandsflotte können Strafzahlungen für die Überschreitung des Grenzwertes von 95 Gramm pro Kilometer verringert und die damit freigesetzte Zahlungsbereitschaft im Automobilsektor für den Ausbau klimafreundlicher Technologien genutzt werden.
Es ist essenziell, dass Wirtschaft und Forschung die Technologie weiter vorantreiben. Zum aktuellen Zeitpunkt erscheint der Eintritt in das Wasserstoffzeitalter zum Greifen nahe. Deshalb wäre es fatal, die Gelegenheit eines tiefgreifenden Strukturwandels, der gleichwohl der Wirtschaft und dem Klimaschutz gerecht werden kann, ungenutzt verstreichen zu lassen.