Nahezu alle deutschen Großstädte stehen unter dem Druck, die Luftqualitätsziele der Europäischen Union einzuhalten. Um die Feinstaub- und NOx-Emissionen zu reduzieren und Dieselfahrverboten zu entgehen, setzen Städte und Gemeinden insbesondere auf einen (lokal) emissionsfreien Nahverkehr. Zwar trägt der öffentliche Nahverkehr nur geringfügig zur schlechten Luftqualität bei. Gleichwohl ist er ein wichtiger Baustein in den Luftreinhalteplänen. Außerdem tut die Öffentliche Hand gut daran, mit gutem Beispiel voran zu gehen.
Vielerorts werden deswegen Fahrzeuge mit innovativen Antrieben beschafft, insbesondere batteriebetriebene Busse und Züge oder Fahrzeuge mit Brennstoffzelle, die die elektrische Antriebsenergie aus Wasserstoff gewinnt. Die Anforderungen an die Beschaffung lauten dabei meist wie folgt: Schnell und flexibel soll es sein, langfristig wirtschaftlich und nicht nur günstig in der Anschaffung.
Vergabeverfahren für emissionsfreie Fahrzeuge sind für Städte und kommunale Verkehrsgesellschaften aber eine echte Herausforderung und mit dem Kauf einfacher Dieselbusse nicht zu vergleichen. Denn: Das Vorhaben kann in der Praxis nicht nur an juristischen Fragen scheitern. Ein Schulbus, der die Kinder nicht abholen kann, da der Akku leer ist, ist ein Szenario, das kein Bürgermeister erleben will.
Reichweite des Busses sinkt im an kalten Tagen
Das Zusammenspiel zwischen Fahrzeugen und ihren Emissionswerten, Ladestationen oder Wasserstofftankstellen, Verfügbarkeit, Wirtschaftlichkeit über den Lebenszyklus beziehungsweise über die Nutzungsdauer hinweg ist ferne eine betriebswirtschaftliche Frage. Das gleiche gilt für Energiekosten, Reichweite und die Einbindung und Auslastung der eigenen Werkstatt.
Allein die Wahl des richtigen Antriebs lässt sich nur nach einer Gesamtschau beurteilen: Bei einem Dieselbus spielt es keine Rolle, ob dieser bei Tag oder bei Nacht, bei Sonne oder bei Regen, im Sommer oder im Winter eingesetzt wird. Über die Lichtmaschine produziert ein Dieselmotor genug elektrische Energie, um die elektrischen Verbraucher an Bord – insbesondere Heizung und Klimaanlage – zu versorgen.
Einzige Energiequelle eines batteriebetriebenen Busses ist die Batterie. Diese muss nicht nur den Bus antreiben, sondern auch sämtliche elektrischen Verbraucher versorgen. Das Problem liegt auf der Hand: An einem kalten Tag bei Dunkelheit und Regen entziehen die Nebenverbraucher der Batterie Energie, die auch und insbesondere für den Antrieb benötigt wird. Die Folge: Die Reichweite des Busses sinkt, die Umläufe sind gefährdet. Vielerorts versucht man deswegen, die Belastung der Batterie beispielsweise durch eine fossile Heizung zu reduzieren. Andernorts werden batteriebetriebene Busse nur auf den kürzeren innerstädtischen Umläufen eingesetzt. Wiederum andernorts ist eine Zwischenladung der Batterien auf der Strecke vorgesehen.
Brennstoffzellen-Fahrzeuge sind flexibler
Flexibler sind Fahrzeuge mit Brennstoffzelle. Diese benötigen jedoch zwingend eine oder – je nach Flottengröße – mehrere Wasserstofftankstellen. Sind diese wiederum nicht an ein Leitungsnetz angebunden, sondern werden mit (Diesel-)Lastwagen beliefert, nützt das dem Klima nur wenig. Entscheidend ist ferner, wo der Wasserstoff eigentlich herkommt.
Die Öffentliche Hand muss sich deswegen fragen: Vergebe ich zu jedem und um jeden Preis? Wie teuer wird die Umstellung von Benzinern und Dieselfahrzeugen auf emissionsfreie Fahrzeuge über die Jahre wirklich? Darf ich die Ausschreibung stoppen, wenn der Kostenrahmen die Erwartungen sprengt? Komme ich aus der Ausschreibung wieder heraus, wenn ich im Laufe des Verfahrens feststelle, dass die erwarteten Fördermittel doch nicht kommen?
Sollen nur einzelne Busse beschafft werden, lassen sich diese Fragen vielleicht noch ignorieren. Will das kommunale Verkehrsunternehmen jedoch tatsächlich einen nennenswerten Beitrag leisten, bedarf es einer strukturierten Herangehensweise und einer langfristigen Strategie – auch für das Vergabeverfahren.
Vergaberecht eröffnet Spielräume
Wir favorisieren bei komplexen Beschaffungsvorhaben das Verhandlungsverfahren, da sich hier das Know-how der Bieter besonders gut einbeziehen lässt. Wer geschickt ausschreibt, überlässt einen Teil der Planung dem wettbewerblichen Verfahren und optimiert das Ergebnis fortlaufend bis zur endgültigen Vergabe – eine sportliche, aber lösbare Herausforderung für alle Teilnehmer. Auftraggeber dürfen dazu weder zu früh zu viel, noch zu spät zu wenig vorgeben.
Das Vergaberecht eröffnet hier Spielräume: Solange die vergaberechtlichen Grundsätze insbesondere der Gleichbehandlung und Transparenz beachtet werden, sind auch größere Änderungen noch während des Verfahrens zulässig. Durch eine kluge Verfahrensgestaltung kann sich der Auftraggeber anfangs beispielsweise offen halten, ob er neben den Fahrzeugen auch Ladeinfrastruktur beschafft. Auch kann er verschiedene Antriebssysteme (batterieelektrisch, Brennstoffzelle, Hybrid, mit/ohne fossile Teilsysteme) gegeneinander antreten lassen und den Energieverbrauch, den Schadstoffausstoß, aber auch den Umfang der vom Bieter übernommenen Risiken und Garantien werten.
Das Vergabeverfahren dient dazu, die beste Lösung zu finden. Die Verträge sichern diese Lösung und machen sie für den Auftraggeber einklagbar. Bei der Aufforderung zur Abgabe letztverbindlicher Angebote müssen die Vergabeunterlagen bis auf das letzte Komma feststehen. So konstruktiv das Vergabeverfahren auch war, ein Rechtsstreit entzündet sich schnell an nicht eindeutig schriftlich fixierten Details. Das Vertragswerk muss als Krönung des Vergabeverfahrens lückenlos und fehlerfrei sein.