Verkehr-Smart-Mobility icon

Verkehr & Smart Mobility

Standpunkte Neuordnung auf dem Holzweg

Jürgen Hasler, Geschäftsführer und Leiter der Abteilung Politik beim Zentralverband Deutsches Kraftfahrzeuggewerbe (ZDK)
Jürgen Hasler, Geschäftsführer und Leiter der Abteilung Politik beim Zentralverband Deutsches Kraftfahrzeuggewerbe (ZDK) Foto: promo

Die StVO-Novelle hat den Anspruch, das gleichberechtigte Verkehrsgeschehen in Deutschland zu lenken. Doch die Neuordnung ist kaum mehr als eine einseitige Gängelung des motorisierten Individualverkehrs.

von Jürgen Hasler

veröffentlicht am 08.11.2023

Lernen Sie den Tagesspiegel Background kennen

Sie lesen einen kostenfreien Artikel vom Tagesspiegel Background. Testen Sie jetzt unser werktägliches Entscheider-Briefing und erhalten Sie exklusive und aktuelle Hintergrundinformationen für 30 Tage kostenfrei.

Jetzt kostenfrei testen
Sie sind bereits Background-Kunde? Hier einloggen

Persönlich würde ich mich als einen multimodalen Menschen bezeichnen, der mit dem Fahrrad in der Innenstadt Berlins unterwegs ist, weil es meist schneller geht, zur IAA Mobility nach München mit dem ICE fährt, weil ich während der Fahrt arbeiten oder auch schlafen kann, und wenn es raus aus Berlin geht, gern das Auto nimmt, weil es bequem ist und ich ins Wochenende so allerlei Kram mitnehmen kann. 

Meine verkehrspolitischen Wünsche fallen daher recht bescheiden aus: am liebsten grüne Welle, weder nervende Taxen noch Lastenräder auf Fahrradwegen und die öffentlichen Nahverkehrsmittel dürfen fast nichts kosten, dafür genügend freie Sitzplätze bieten, im Fünfminutentakt fahren und sauber wie in der Schweiz sein. 

Eine engagierte Gruppe von Superblockern – ja, die nennen sich wirklich so – möchte nun dem Automobil in Innenstädten den Garaus machen. Poller und Pflanzenkübel sind ihre Waffen, damit nur noch Mobilitätseingeschränkte und Carsharingnutzer die raren Parkräume nutzen dürfen. 

Da den Letzteren zumindest in Berlin die Park- und häufig auch alle anderen Verkehrsregeln herzlich egal zu sein scheinen, kann ich mir die geplante Verkehrsberuhigung trefflich vorstellen: Ein bisschen wie Berliner Friedrichstraße der Jahre 2020 bis 2022, mit Vollsperrung für Autos und den dann notwendigen Tempolimit-Kontrollen für Radfahrende, da die Zufußgehenden letztendlich Luft für sie sind. 

Warum also nicht Multimodalität fördern, anstatt einen Verkehrsträger wie das Automobil so vehement zu bekämpfen? Fangen wir doch mit Anreizen an und schaffen so die Infrastruktur, die allen Nutzerinnen und Nutzern die für jeden Bedarf zweckmäßige Mobilitätsform bietet: Automobil, Öffentlicher Nahverkehr und Fahrrad.

Sonderfahrstreifen auch für E-Autos und Pendler

Der aktuelle Entwurf der 56. Verordnung zur Änderung straßenrechtlicher Vorschriften, wie er dem Bundesrat zur Debatte vorliegt, geht jedoch weit an der Lebensrealität des Großteils unserer Bevölkerung vorbei und zäumt das Pferd von hinten auf.

Bevor Pendlerinnen und Pendler sowie Handwerksbetriebe und Gewerbe bedacht werden, die auf den täglichen Verkehr in unseren Städten angewiesen sind, sollen Autos aus den Ballungsräumen verdrängt werden können. Wie sonst ist dieser Entwurf zu verstehen, wenn Regulierung nicht an Bedingungen geknüpft wird, die zunächst die Kommune zu erfüllen hat, nämlich Parkraum an der Peripherie, oder wie die Superblocker es fordern, in den Kiezen zu schaffen? 

Die Freigabe von Sonderfahrstreifen im Stadtverkehr für elektrisch betriebene Fahrzeuge ist ein Schritt in die richtige Richtung – wenn auch nur ein kleiner. Hier hat der deutsche Verordnungsgeber von Norwegen gelernt: Anreize für E-Mobilität zu schaffen, die über monetäre Förderungen hinaus gehen, sind ein wichtiger Faktor beim Hochlauf der E-Mobilität. Elektrisch betrieben sind aber nicht nur vollelektrische Pkw (BEV). 

Auch Plug-in-Hybride (PHEV) sind in der Lage, in geografisch definierten Zonen automatisch auf den elektrischen Betrieb umzusteigen und den Verbrenner auszuschalten. Es ist nur konsequent, auch diesen die Nutzung der Sonderfahrsteifen zu erlauben, wenn sie elektrisch unterwegs sind.

Die Ausweisung von Sonderfahrstreifen in Innenstädten heißt aber auch die weitere Begrenzung von hart umkämpftem Parkraum. Bevor jedoch der motorisierte Individualverkehr weiter aus der Stadt gedrängt wird, muss erstens der Öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) so aufgestellt sein, dass er diese Zusatzbelastung verlässlich tragen kann. Und zweitens müssen weitere Angebote für diejenigen geschafft werden, die auf ihr Auto angewiesen sind. 

Hier lohnt es sich, noch einmal weiter zu schauen als bloß nach Norwegen. Um Emissionen zu senken und die Leichtigkeit des Verkehrs zu verbessern, macht Kalifornien es vor. Die Freigabe von Sonderfahrstreifen für Pkw mit zwei oder mehr Insassen ist ein weiteres Instrument, das den Zielen des vorliegenden Entwurfs entspricht und die angedachte Maßnahme konsequent zu Ende denkt. 

Anwohnerparkgebiete für Mittelstand und Beschäftigte 

Unter der Verknappung des innerstädtischen Parkraums leiden gerade Betriebe in Ballungsräumen. Für den Mittelstand ist es durch mehr und mehr Anwohnerparkgebiete kaum möglich, ausreichend Stellplätze für seine Beschäftigten und den gewerblichen Fuhrpark zu finden. Die Neureglung der Verordnung sieht vor, Kommunen mehr Freiheit bei der Vergabe von Anwohnerparkausweisen zu gewähren. 

Es muss dabei auch möglich sein, diese an das anliegende Gewerbe zu vergeben. Die Regelung von tageszeitabhängigen Ausweisen bietet sich als eine mögliche Lösung an, zumindest bis die kiezeigenen Tiefgaragen von Superblockern gebaut werden. Auch hier vernachlässigt der Entwurf die Bedürfnisse einer berufspendelnden Bevölkerung gegenüber einer rein städtischen Klientel. 

Die Neuregelung bezieht sich ausschließlich auf „städtische Quartiere“. Dies lässt außer Acht, dass Parkdruck auch in ländlichen Siedlungsgebieten besteht. Gerade da, wo Pendler Anschluss an den Bahnverkehr haben, zum Beispiel an Bahnhöfen. 

Der Schutz vulnerabler Gruppen ist ein integraler Bestandteil unserer Straßenverkehrsordnung und soll es auch bleiben. Tempo-30-Zonen zum Schutz von Einrichtungen wie Schulen, Senioren- und Pflegeheimen von 50 Metern vor und hinter diesen Orten ist richtig und wichtig. Der jetzige Änderungsentwurf räumt Kommunen jedoch weitreichende Kompetenzen darüber hinaus ein. 

Das Ausweisen von Tempo-30-Zonen von bis zu 500 Metern aus Gründen des Umweltschutzes kann sich nicht nur kontraproduktiv, sondern unter Umständen auch für schützenswerte Gruppen negativ auswirken. Dehnen Kommunen ihre Kompetenzen durch die übermäßige Ausweisung von Tempo-30-Zonen zu sehr aus, kann diese Gängelung schnell zu Unverständnis und Missachtung der gut gemeinten Regelung führen. 

Für ein gleichberechtigtes Miteinander im Straßenverkehr

Während die Richtung grundsätzlich stimmen mag, so greifen viele Maßnahmen in Sachen Klimaschutz doch zu kurz. Potenziale wie die Neuregelung von Sonderfahrstreifen werden nicht ausgeschöpft und die Verzahnung vom ÖPNV und dem städtischen Pkw-Verkehr wird nicht ausreichend durch Park & Ride-Systeme eingefordert. 

Eine bedarfsgerechte Infrastruktur und attraktive Angebote sind die Grundlagen für jegliche intelligente Verknüpfung des motorisierten Straßenverkehrs mit anderen Verkehrsträgern. Hier fehlt es dem Entwurf an Konzepten, die Kommunen in die Pflicht zum Ausbau dieser Infrastruktur zu nehmen, bevor Parkraum eingeschränkt und der Straßenverkehr verlangsamt wird. 

So ist die Neuordnung kaum mehr als eine einseitige Gängelung des motorisierten Individualverkehrs; weit entfernt vom Anspruch der StVO-Novelle, das gleichberechtigte Verkehrsgeschehen in Deutschland zu lenken.

Lernen Sie den Tagesspiegel Background kennen

Sie lesen einen kostenfreien Artikel vom Tagesspiegel Background. Testen Sie jetzt unser werktägliches Entscheider-Briefing und erhalten Sie exklusive und aktuelle Hintergrundinformationen für 30 Tage kostenfrei.

Jetzt kostenfrei testen
Sie sind bereits Background-Kunde? Hier einloggen