Wer sich in der berstend vollen Berliner Buslinie M41 ein Hohlkreuz beugt, um die Bustüren mit einem Akt verzweifelter Morgengymnastik zum Schließen zu bewegen, mag sich eine Verdoppelung der Fahrgastzahlen kaum vorstellen. Dabei ist das Ziel, das die Verkehrsministerkonferenz 2021 gesetzt hat, folgerichtig. Wenn wir das Klima nicht weiter destabilisieren und gleichzeitig mobil bleiben wollen, müssen wir den Stadt- und Verkehrsraum anders nutzen. Voraussetzung dafür ist ein flächendeckender Ausbau des ÖPNV.
Die nötigen Investitionen in klimafreundliche Antriebe, den Ausbau der Verbindungen und die Barrierefreiheit sind gewaltig. Daneben muss sich die finanzielle Bereitschaft reihen, die nötigen Arbeits- und Fachkräfte für unsere Mobilität zu sichern. Selbst wenn wir bei den aktuellen Fahrgastzahlen bleiben, wird es uns laut der von Verdi und der Klima-Allianz veröffentlichten Studie 2030 an 60.500 bis 65.500 Fahrerinnen und Fahrern fehlen, knapp 50 Prozent der aktuellen Arbeitnehmenden.
Mobilitätsabgabe für Arbeitgeber
Bei der Suche nach Finanzierungsinstrumenten lohnt ein Blick nach Frankreich. Hier hat sich aus einem Pariser Modellversuch ab Anfang der 70er-Jahre das Versement mobilité entwickelt. Es handelt sich dabei um eine Mobilitätsabgabe, die lokale Arbeitgeber direkt an die Kommunen in Frankreich zahlen. Die Einnahmen aus der Mobilitätsabgabe sind zweckgebunden.
Die Kommunen dürfen sie daher nur für Ausbau und Betrieb der Mobilität vor Ort verwenden. So können sie in das Bus-, U-Bahn- und Straßenbahnnetz investieren, aber auch in Fahrradverleihsysteme oder Carpooling. Ebenso können französische Kommunen die Einnahmen – hier winkt der Arbeits- und Fachkräftemangel – für die Finanzierung des laufenden Betriebs verwenden.
Zur Kasse gebeten werden in Frankreich alle öffentlichen und privaten Arbeitgeber mit elf oder mehr Beschäftigten. Voraussetzung ist, dass sie im Tarifgebiet eines Verkehrsbunds angesiedelt sind und die zuständige Kommune von der Mobilitätsabgabe Gebrauch macht. Die Höhe der Abgabe wird pro Unternehmen auf Grundlage der Brutto-Gesamtlöhne aller Beschäftigten berechnet. Dafür wird ein festgelegter Prozentsatz angewendet, der je nach Kommune zwischen rund 0,5 Prozent und drei Prozent variiert.
Mobilitätsabgabe spült neun Milliarden Euro in die Kassen
Arbeitgeber profitieren als Drittnutzer davon, dass ihre Beschäftigten mit dem ÖPNV zur Arbeit fahren können, Kundinnen und Kunden sie erreichen und ihre Waren über ein intaktes Straßennetz transportiert werden. Entsprechend sollen sie, so das Prinzip der Drittnutzerfinanzierung, einen Beitrag zur Mobilität vor Ort leisten. Dafür werden bei der französischen Mobilitätsabgabe die lokalen Unternehmen auch über einen Lenkungskreis an der kommunalen Verkehrsplanung beteiligt.
Die Zahlen sprechen für sich: Im Jahr 2021 machte die Mobilitätsabgabe mit rund neun Milliarden Euro fast die Hälfte des Budgets der kommunalen Verkehrsbehörden aus und ist somit ihre Haupteinnahmequelle.
Steuerrechtliche Bedenken in Deutschland
In Deutschland stößt eine mögliche Drittnutzerfinanzierung des ÖPNV auf Interesse, aber auch steuerrechtliche Bedenken. Ein Sachstandsbericht des wissenschaftlichen Diensts des Deutschen Bundestags aus dem Jahr 2020 kommt zu folgendem Schluss: Eine Mobilitätsabgabe wie das Versement mobilité könne in Deutschland nicht als Steuer eingeführt werden. Das wäre mit der Zweckbindung der Abgabe nicht vereinbar.
Für eine außersteuerliche Sonderabgabe aber bestehen in Deutschland hohe Hürden. Vereinfacht gesagt stehe insbesondere infrage, inwiefern man Arbeitgeber durch eine Abgabe alleinig und gezielt für das Mobilitätsangebot vor Ort belangen dürfe.
Das sind keine juristischen Details und wir müssen kontrovers diskutieren, wie wir gesamtgesellschaftliche Herausforderungen wie die Mobilitätswende finanziert kriegen. Klar ist, dass die auch Arbeitgeber und Beschäftigte bewegen muss. Somit müssen wir uns pragmatisch überlegen, wie diese auch Teil von der Ausgestaltung und Finanzierung vor Ort werden können.
Baden-Württemberg als deutsches Testlabor
In direkter Nachbarschaft zu Frankreich testet das Verkehrsministerium in Baden-Württemberg bereits verschiedene Modelle der Drittnutzerfinanzierung. Erste Modellberechnungen zeigen, dass für unterschiedliche kommunale Strukturen unterschiedliche Modelle am ertragreichsten sind. Für Großstädte wie Stuttgart wird die Liste angeführt von einer Straßennutzungsgebühr und einer Mobilitätsabgabe für Arbeitgeber.
Der vergleichende Blick und der Dialog mit Frankreich können Impulse auf allen Ebenen geben, auch in die Debatte zur Finanzierung des ÖPNV. Während ich in der M41 den Bauch einziehe, kann ich mich an keiner Stange, aber folgendem Beispiel festhalten: Der Gemeindeverbund Dunkerque hat über die Mobilitätsabgabe den ÖPNV nicht nur ausgebaut, sondern auch sein gesamtes Busnetz für alle Fahrgäste kostenfrei gemacht. Geht doch!