Eigentlich war alles auf einem guten Weg, auf der richtigen Straße und der richtigen Schiene. Die deutsche Automobilindustrie setzt zunehmend auf alternative Antriebe und forscht an der Automatisierung. Die Bahnbetreiber melden Fahrgastrekorde und die Bahnindustrie konsolidiert sich. Der ÖPNV modernisiert sich mit On-Demand Angeboten und digitalem Vertrieb. Die Politik erkennt die Notwendigkeit, Milliarden in die Infrastruktur zu investieren. Sie definiert verlässliche Mobilität in den Städten und den unterschiedlichen Formen der ländlichen Räume sowie zwischen den Städten durch den „Deutschlandtakt“. Die Bundesregierung ermöglicht mit Programmen wie „Saubere Luft“ die Anfänge einer Transformation in den Städten, und so weiter.
Eigentlich sollte auch in dieser Woche wie in den Jahren zuvor in Berlin die Zukunft der Mobilität auf Einladung des Tagesspiegel umfassend diskutiert werden. Beim Fastenfischessen des bdo wäre vermutlich über das schwierige Marktumfeld gesprochen worden und bei der Mobilty Lounge des VDV wäre die notwendige Reform des Personenbeförderungsrechts für flexible Angebote andiskutiert worden.
Stattdessen: Pandemiepläne, stillgelegte Werke, Notfahrpläne und die Frage, ob es gelingt, fehlende Erlöse durch kurzfristig reduzierbare Kosten wenigstens im Ansatz auszugleichen. Auch deshalb ruhen jetzt die Angebote der Mikromobilität und die Fernbusse stehen weitestgehend still. Gleichzeitig stehen Staatshilfen für Unternehmen – egal ob öffentlich oder privat – bereit. Und die EU setzt wiederum ihre strengen Auslegungen der Beihilfe-Regelungen außer Kraft. Die Erklärung der Bundeskanzlerin am vergangenen Mittwoch hat gezeigt, dass wir in zwei Dimensionen denken müssen.
Wie lange dauert die Krise, und wie dynamisch entwickelt sie sich weiter? Wegen dieser Ungewissheit müssen die Unternehmen und Institutionen in Szenarien denken und die Folgen definieren: Was geschieht im Bereich Mobilität – und allen anderen Branchen – in den Szenarien schnelle Erholung, verzögerte Heilung und tiefgreifende Rezession? Momentan trifft es besonders Industrien, deren Wachstum bereits vor 2020 schleppend war, wie die Automobilbranche. Dazu kommen Unternehmen deren finanzielle Stärke durch Faktoren wie niedriger Cashflow-Marge oder hoher Nettofinanzschulden im Verhältnis zum Eigenkapital schon abgeschwächt war.
Die Kernfragen der Strategie müssen beantwortet werden
Natürlich kann in der Krise keine endgültige Bewertung der Folgen für die Unternehmen der Mobilität vollzogen werden. Gleichzeitig ist es allerdings notwendig das Zukunftsbild im Blick zu behalten, wenn die operativen Zwänge jetzt angegangen werden. Dafür müssen bestimmte Kernfragen in der Strategie beantwortet werden: Wie müssen sich mit der Erfahrung der Krise Strategien der Unternehmen anpassen? Mit welcher Denkweise arbeiten Teams in den Unternehmen künftig an der Lösung sich evolutionär permanent verändernder Herausforderungen? In welchem gesellschaftlichem Umfeld bewegen sich die Unternehmen künftig? Auch wenn die Covid19-Pandemie kurzfristig dazu führt, dass weniger CO2 ausgestoßen wird, verliert die notwendige Verkehrswende nicht an Bedeutung. Im Gegenteil: Die Krise skizziert bereits jetzt Herausforderungen für die Zeit danach.
Es gibt weniger Geld für die Transformation der Mobilität
Jede staatliche Ebene investiert aktuell erhebliche Mittel in Stützungsmaßnahmen der Wirtschaft. Die finanziellen Konsequenzen durch die zu erwartende hohe Neuverschuldung sind dabei noch nicht absehbar. Gleichzeitig werden eingeplante Steuereinnahmen fehlen. Beides zusammengenommen führt dazu, dass weniger Geld für die Transformation der Mobilität zur Verfügung stehen wird. So werden bisher eingeplante Projekte, Piloten und Subventionen mindestens auf den Prüfstand gestellt, verschoben oder abmoderiert.
Herausarbeiten, was wirklich notwendig ist
Diese Herausforderung kann auch eine Chance sein. Die Chance herauszuarbeiten, was wirklich zur Durchsetzung einer nachhaltigen Verkehrswende notwendig ist. So hat sich das Bundesumweltministerium bereits vor der Krise die Frage nach den Ergebnissen und Erfolgen der umfangreichen Förderung für Busse mit Elektroantrieb gestellt und will diese nun evaluieren. Vielleicht ergeben sich aus den knapperen Finanzmitteln für Investitionen auch wieder Chancen offener zu denken, zum Beispiel bei den alternativen Antrieben wie e-Fuels. Auch andere Themen laden zu einer Neujustierung ein. Zum Beispiel sollten On-Demand-Angebote keine reinen Imageträger sein. Sie könnten vielmehr eine wirtschaftlich sinnvolle Ergänzung und Ersetzung des klassischen ÖPNV-Linienverkehrs sein.
Es fehlt insgesamt an Steuerung
Die einzelnen Verkehrsunternehmen haben schnell reagiert. Sie haben zum Beispiel den Vordereinstieg im Bus oder den Bordverkauf von Tickets untersagt und mehr desinfiziert. Allerdings fehlt es insgesamt an Steuerung, nicht bei den Verkehrsunternehmen, sondern bei den Genehmigungsbehörden, Aufgabenträgern und Verbünden. Vertreter der Unternehmen formulieren das – der Krise angemessen – zurückhaltend.
Konkret ist allerdings einiges im Argen: Gilt nun ein Fahrplan des ÖPNV? Ist es ein Notfahrplan oder doch der für Sonn- und Feiertage, beziehungsweise der Ferienfahrplan im ländlichen Raum? Welche Erstattungsansprüche gelten wo? Was meint die Bundeskanzlerin in ihrer Erklärung vom 16.3., als sie die Vereinbarung des Bundes mit den Ländern zitiert, wonach „Reisebusreisen zu verbieten sind“: Ist die klassische Busreise gemeint oder der Linienverkehr der Fernbusanbieter? Carsharer bieten ihre Fahrzeuge zwar teilweise noch an, E-Tretroller und Leihfahrräder sind hingegen aus dem Stadtbild verschwunden. Wie reagieren auf diese Erfahrung nach der Krise die bisherigen und die potentiellen Neu-Kunden?
Gefahr, dass Sharing weniger attraktiv wirkt im Vergleich zum eigenen Pkw
Die Gefahr ist groß, dass die Möglichkeit des Sharing durch die Erfahrung der plötzlichen Nicht-Verfügbarkeit nicht mehr als wirkliche Alternative zum Besitz wahrgenommen wird. Dasselbe gilt für die öffentliche Mobilität im Wettbewerb zum Pkw. Beispiel Reisen: Wenn die Sommerferien 2020 für Urlaube genutzt werden können, ist aus diversen Gründen die Reise mit dem Pkw in näherliegende Destinationen wahrscheinlicher als alles andere.
Dieselbe Gefahr bei der Mobilität insgesamt: Bei Nicht-Nutzern des ÖPNV haben Umfragen immer wieder gezeigt, dass insbesondere Verlässlichkeit und Komfort Gründe für deren Verhalten sind. Durch die Covid19-Pandemie kommt ein weiterer dazu. Allein unterwegs im privaten Pkw ist ein mögliches Infektionsrisiko geringer als bei der Nutzung des öffentlichen Verkehrs. Und in puncto Verlässlichkeit kann der ÖPNV nur konkurrieren, wenn sich der Nutzer auf eine durch einen Fahrplan garantierte Verfügbarkeit verlassen kann. Die Gefahr für die Verkehrswende könnte daraus folgend sein: Der Pkw mag 23 von 24 Stunden am Tag herumstehen, aber der Besitzer kann 24 Stunden seine Mobilität garantieren.
Wie kann die Krise zur Chance für die Verkehrswende werden?
So ist die Sorge begründet, dass die begonnene Verkehrswende einen Dämpfer erlebt, bei Bürgern und bei Unternehmen, obwohl wir den richtigen Weg eigentlich schon eingeschlagen haben. Der Optimist definiert den Begriff der „Krise“ jedoch als Wendepunkt, von dem aus zentrale Fragen neu gestellt zu neuen Lösungen führen können. Für die Verkehrswende kann das heißen, inne zu halten, beantwortet geglaubte Fragen neu zu stellen, pragmatische Lösungen zu finden und gemeinsam umzusetzen. Für das Klima, die Menschen und eine robuste Marktwirtschaft.
Alexander Möller ist Senior Partner bei der Unternehmensberatung Roland Berger.