Um Umsteiger*innen vom Auto auf den öffentlichen Verkehr (ÖV) zu gewinnen, braucht es ein attraktives, alltagstaugliches Angebot – in der Stadt und auf dem Land. So weit, so klar – und mittlerweile auch konsensfähig über die politischen Lager hinweg. Dahinter aber lohnt sich genaueres Hinsehen auf die verkehrspolitische(n) Debatte(n) in den letzten Jahren. Hier fällt auf, dass nicht wenige Debattenbeiträge unter dem Motto „schneller, öfter, billiger“ standen. Ob Nah- oder Fernverkehr: Kraft und Ressourcen investierte man vor allem, um Verbindungen zu beschleunigen, Takte zu verdichten – und in den vergangenen Jahren auch preisgünstige Tarife einzuführen.
Zwar sind schnellere und häufigere Verbindungen und niedrige Fahrpreise für den Kunden nützlich; verkannt wird aber oft, dass „schneller, öfter, billiger“ nur funktioniert, wenn hinreichend Ressourcen vorhanden sind, mit denen sich alle Aspekte dieses Dreiklangs gleichermaßen bedienen lassen. Mehr Geld für besseren Takt ergibt nur Sinn, wenn man gleichzeitig Finanzen für den Netzausbau bereitstellt, und billige Fahrpreise helfen wenig, wenn für Netz und Züge die Mittel fehlen.
Zum Glück ist es in den vergangenen Jahren gelungen, die finanziellen Ressourcen für den Verkehr in vielen Bereichen signifikant zu erhöhen, was angesichts der epochalen Bedeutung der Verkehrswende auch in Zukunft nicht infrage gestellt werden sollte. Dennoch muss man sich eingestehen, dass die Ressourcen zunehmend knapper werden. Angesichts der Lage aller staatlichen Haushalte werden Einsparungen in allen Bereichen erforderlich werden.
Selbst das Bestandsangebot kostet mehr Geld
Selbst bei aller notwendigen Priorisierung der (Zukunfts-)Investitionen in den (öffentlichen) Verkehr werden sich die Finanzmittel für den öffentlichen Verkehr nicht unbegrenzt erhöhen lassen, zumal aufgrund der sicherlich auch in Zukunft sehr dynamisch steigenden Personal- und Kraftstoffkosten allein die Aufrechterhaltung des Bestandsangebotes nur bei regelmäßiger Verbesserung der ÖPNV-Finanzierung möglich ist.
Während man aber bei den Finanzen wenigstens noch auf das Prinzip Hoffnung setzen könnte, gibt es eine andere Ressource, bei der sich keine Trendwende schaffen lässt: die angespannte Personalsituation. Bereits heute werden in nicht wenigen Verkehrsbetrieben Notfahrpläne gefahren, weil Fahr- oder Stellwerkspersonal fehlt. Und das ist erst ein Vorgeschmack; mit der Verrentung der Babyboomer wird sich das weiter zuspitzen. Es wäre illusorisch zu glauben, dass man dies mit Nachwuchsgewinnung oder Fachkräfterekrutierung aus dem Ausland stoppen könnte. Ob, wann und wie autonomes Fahren den Mangel lindert, ist noch völlig offen. Von daher wird die Personalsituation der limitierende Faktor für die (Weiter-)Entwicklung des ÖV sein.
Aber auch eine weitere Ressource ist knapp: das (Bahn-)Netz. Zwar investiert man endlich massiv in den Ausbau, aber weil sich der Personenverkehr das Netz mit dem Güterverkehr teilen muss, bei dem hoffentlich die Schiene in Zukunft einen höheren Marktanteil hat, wird die Ressource Netz vermutlich weiterhin ein knappes Gut bleiben. Es wäre verkehrspolitisch fatal, würden hier Personen- und Güterverkehr gegeneinander ausgespielt.
Es könnten schlagartig Verkehrsangebote eingeschränkt werden
Es ist also nahezu sicher, dass diese Ressourcen eher früher als später nur noch begrenzt(er) zur Verfügung stehen. Aber obwohl Praktiker bereits lange davor warnen, kommen diese Faktoren in der (verkehrs-)politischen Debatte allenfalls in homöopathischen Dosen vor. Hier muss man ehrlich sein: Fatal wäre, dies jetzt totzuschweigen, dann aber irgendwann zwangsläufig und schlagartig Verkehrsangebote einschränken und Investitionen abblasen zu müssen.
Aber was ist die Alternative? Der Blick muss wieder auf die komplette Reisekette gerichtet werden; also darauf, ob und wie man schnell und verlässlich von seiner Haustür zu seinem Ziel kommt. Der ICE, der zehn Minuten Fahrzeit spart, hilft wenig, wenn man dann doch wieder 25 Minuten auf den Anschluss wartet. Selbst der Halb-Stunden-Takt der S-Bahn bringt wenig, wenn man dann doch wieder 29 Minuten auf den nächsten Zug oder Bus(anschluss) warten muss.
Die eigentlich elementare gesamte(n) Reisekette(n) trat(en) – manchmal fast unbewusst – angesichts des „schneller, höher, weiter“ in den vergangenen Jahr(zehnt)en ein wenig in den Hintergrund: im Fernverkehr, weil man ausgesprochen unausgesprochen davon ausging, dass die letzte(n) Meile(n) de facto mit Taxi, Mietwagen oder Auto zurückgelegt werden; im ÖPNV, weil die funktionierende Vernetzung und Verknüpfung über Verkehrsträger und -unternehmen hinweg angesichts der seit der Bahnreform (erfreulicherweise) größer gewordenen Zahl an unterschiedlichen Akteuren auf Schiene und Straße komplex(er) geworden ist und oft hohem Zeitdruck zum Opfer fällt. Hier braucht es eine ganzheitliche Sicht auf die komplette(n) Reiseverbindung(en). Deswegen plädiere ich für einen Paradigmenwechsel: An die Stelle von „schneller, öfter, billiger“ muss treten: Vertaktet. Vernetzt. Verlässlich.
Nun ist es nicht so, dass es keine vernetzten Anschlüsse und integralen Fahrpläne gibt: Oft aber sind die Anschlüsse nur auf die jeweilige Hauptrichtung ausgerichtet, andere Verknüpfungen nicht mitgedacht. Im Busverkehr sind zwar Schiene und regionale Buslinien gut verknüpft, aber die lokalen – oft von der Schülerbeförderung und ihren Zeiten geprägten – Linien sind weniger vernetzt.
Erst recht hapert es am Funktionieren der Übergänge: Anschlüsse scheitern an den im Fern- wie Nahverkehr zum Teil enormen Verspätungen, das wechselseitige Abwarten von verspäteten Zügen bleibt meist ein Einzelfall. Erst recht schwierig sind Übergänge zwischen Bahn und Bus oder verschiedenen Verkehrsunternehmen. Unzureichende Vernetzung und fehlende Verlässlichkeit sind Gründe, warum selbst überzeugte Kund*innen von Schienen- und Busverkehr nicht für die ganze Reisekette den ÖV nutzen, sondern für die letzte(n) Meile(n) dann doch auf das Auto vertrauen.
Dass das so ist, hat viel mit „schneller, öfter, billiger“ zu tun: Das Paradigma „schnell“ raubte den Spielraum für das Warten auf Anschlusszüge, das „öfter“ machte das Streckennetz verspätungsanfällig, und das „billiger“ beziehungsweise der Rationalisierungsdruck der 1990er- und 2000er-Jahre führte dazu, dass Überholmöglichkeiten reduziert wurden, sodass einzelne Verspätungen schnell weitreichende Folgen haben.
Deswegen muss anstelle solch plakativer Forderungen die Kärrnerarbeit im Detail für einen vertakteten, vernetzten und verlässlichen öffentlichen Verkehr treten. Das beginnt bei der Nahverkehrsplanung, wo über Zuständigkeitsgrenzen hinweg integrale Vernetzung gestaltet werden muss. Fahrpläne müssen wieder mit Fahrzeitreserven ausgestattet werden, um Verlässlichkeit zu erhöhen. Anreizsysteme müssen Anschlüsse stärker gewichten als das bloße Einhalten von Fahrzeiten.
Digitale Systeme werden gebraucht, die das Management von Übergängen verbessern. Bisher hat man bei der Digitalisierung in der Mobilität zu sehr auf Informationssysteme für den Kunden, aber zu wenig auf die (verkehrsträgerübergreifende) Vernetzung im Hintergrund gesetzt. Es hilft eben wenig, wenn die App die Verspätung transparent macht, der Zug aber trotzdem weg ist.
Deutschland braucht den Paradigmenwechsel
Und weit über die verkehrspolitischen Herausforderungen hinaus braucht Vernetzung auch (städte-)bauliche Lösungen, um Umsteigewege zu verkürzen und Bahnhöfe und Vorplätze zu Verknüpfungspunkten von Bahn und Bus und den intermodalen Übergang zu Auto-, Rad und Fußverkehr zu machen. Das sind nur wenige Beispiele, wie moderne Verkehrspolitik trotz knapper(er) Ressourcen handlungsfähig bleiben kann.
Ein wesentlicher Baustein dabei ist die schnelle Umsetzung des Deutschlandtaktes – und es bleibt zu hoffen, dass dieser eingeschlagene Wege trotz der fatale(n) Debatten um eine (vermeintliche) Verschiebung auf 2070 bald wieder Fahrt aufnimmt. Dass so ein Konzept praxis- und wettbewerbstauglich ist, zeigt die Schweiz, die mit „Bahn2000“ bereits in den 1980er-Jahren mit dem System der Taktknoten und Anschlussspinnen und der Maxime „nicht so schnell wie möglich, sondern so schnell wie nötig“ den Grundstein für einen heute sehr erfolgreichen integralen Taktfahrplan etabliert hat, in dem selbst knappe Anschlüsse verlässlich funktionieren.
Deutschland braucht jetzt diesen Paradigmenwechsel: Vermutlich kann „Vertaktet. Vernetzt. Verlässlich“ den ÖV sogar schneller, öfter und billiger machen. Denn wenn auf der ganzen Reisekette Übergänge funktionieren, wird die (Gesamt-)Reisezeit schneller, selbst wenn einzelne Etappen länger dauern. Und bei einem vernetzten und verlässlichen System haben die Fahrgäste bei gleichem Takt öfter Reisemöglichkeiten. Sogar billiger kann es werden, weil die knappen Ressourcen effizienter genutzt werden.