Die künftige Mobilität in der Stadt und auf dem Land hat vier Buchstaben: ÖPNV. Denn Pooling und Sharing sind schon immer Kernkompetenz und DNA des öffentlichen Verkehrs. Deutschlands Verkehrsunternehmen haben in den letzten Jahren eine Vielzahl von passfähigen, innovativen Mobilitätsangeboten auf den Weg gebracht, die vor allem deswegen nicht flächendeckend eingeführt worden sind, weil sie nicht überall finanziert werden konnten.
Es ist wichtig zu verstehen, dass es auf und zwischen den Dörfern kein neues Geschäftsmodell gibt, das öffentliche Mobilität ohne staatliche Zuschüsse ermöglicht. Hier wurde in den vergangenen Jahren von neuen Anbietern wie Uber viel versprochen, aber wenig umgesetzt. Die Formel, die ich häufiger gehört habe, ist: innovativer, „neuer“ Dienstleister plus Digitalisierung plus Deregulierung ist gleich gute Mobilität. Aber diese Gleichung geht nicht auf!
Neue Technologieanbieter überzeugen zwar durch gutes Marketing und angebliche Tech-Lösungen. Dafür soll das Personenbeförderungsgesetz liberalisiert werden. Auch sind die Entwicklungen im Verkehrssektor dynamisch, vieles ist heute möglich, was vor Jahren noch utopisch schien. Aber am Ende dürfen wir trotz aller Digitalisierungstrends das Wesentliche nicht aus den Augen verlieren: Die qualitativ gute und verlässliche Erbringung einer Verkehrsleistung muss im Zentrum stehen und finanzierbar sein.
Erprobt und verfügbar: Innovationen deutscher Verkehrsunternehmen
Nicht einmal in urbanen Zentren tragen die Geschäftsmodelle der
privatwirtschaftlichen Sharing-Economy im Verkehrsbereich. Vielmehr wird hier
Venture-Kapital verbrannt – in der Hoffnung auf hohe Monopolrenditen. Erfordernisse
der Daseinsvorsorge werden dabei ausgeblendet. Keiner dieser neuen Anbieter ist
bereit, eine Betriebs- oder Beförderungspflicht auf sich zu nehmen oder zu
sozialverträglichen Tarifen zu fahren. Alles Aspekte, die im ländlichen Raum
von besonderer Bedeutung sind. In den verkehrswissenschaftlichen Studiengängen lernen
die Studierenden gleich zu Beginn, dass die Zahl der potenziellen Fahrgäste vor
Ort mit Blick auf die zu bedienende Fläche zu klein ist, um mit öffentlicher Mobilität
Gewinne zu erzielen. Digitale Effektivitätsgewinne können das nicht aufwiegen. Denn
das Auto, die digitale Infrastruktur, der Fahrer und der Betrieb müssen bezahlt
werden.
Der Erfolg der Verkehrswende wird auch auf dem Land entschieden. Nur, legen wir dort heute die nötige Kraft und Aufmerksamkeit hinein? Es gerät aus dem Blick, dass die deutschen Verkehrsunternehmer die Antworten bereits konzipiert haben. Schon seit mehr als vier Jahrzehnten sind „flexible Bedienformen“ als Ergänzung der Linienbusse im Einsatz. Zugegeben, deren Werbeslogans heißen nicht „We ignite opportunity by setting the world in motion“, aber die Konzepte sind erprobt und einsetzbar. Die Modelle der Mobilität außerhalb der Zentren – neben dem Linienbus – heißen: PlusBus, MultiBus, RufBus, KombiBus und Anrufsammeltaxi. All diese Angebote gibt es in Deutschland. Dass sie nicht alle regionalen Verkehrsmärkte erschlossen haben, liegt vor allem daran, dass die Finanzierung ein Kraftakt für die jeweiligen Kommunen darstellt. In einer solchen Angebotsoffensive im ländlichen Raum liegt der Schlüssel.
Wie wir künftig den öffentlichen Verkehr organisieren müssen
Öffentliche Mobilität sollte, in aller Kürze, so gestaltet sein: Die Metropolen werden durch den Fernverkehr verknüpft und bieten vor Ort einen attraktiven ÖPNV, die Regionen sind über Regionalzüge angebunden: Ihr Netz bilden das Rückgrat für die erste und letzte Meile, die dann flexibel und mit entsprechenden Sharing-Angeboten bedient wird. Entscheidend ist das Gesamtsystem, das nachfragegerechte Angebote verknüpft.
Wo Schienen fehlen, aber Nachfrage herrscht, wird der „PlusBus“ eingesetzt. Er steht für hochwertigen ÖPNV und bringt die Vorteile der Schiene auf die Straße: Stundentakt an Schul- und Feiertagen, Angebote am Wochenende, kurze Übergangszeiten zur Bahn und PlusBus-Linien, direkte Linienführungen. Die steigenden Fahrgastzahlen geben dem Angebot recht: Dieses Jahr wird es 100 solcher Linien geben – jeder Landkreis in Sachsen wird bis Jahresende mit mindestens einer PlusBus-Linie ausgestattet. Der Freistaat ist Vorreiter und finanziert diese Entwicklung. Die Feinbedienung in das ruhiger gelegene Dorf übernehmen Linienbusse, RufBusse oder Anrufsammeltaxis: Bedarfsorientierte Angebote dienen als Ergänzung und Verdichtung der bestehenden ÖPNV-Angebote – und nicht als Konkurrenz.
Der Zusammenhang zwischen öffentlichem Verkehrsangebot und wirtschaftlicher
Entwicklung sowie Tourismus vor Ort ist belegt. Wenn man nicht wegkommt, kommt
auch keiner hin. Nahverkehrsfinanzierung ist volkswirtschaftlich sinnvoll und
nähert uns an „gleichwertige Lebensverhältnisse“ an. Um dieses Angebot an die
bestehende Nachfrage anzupassen, brauchen wir vor Ort Investitionen und
Angebotsausweitungen. Doch die Kommunen können die Verkehrswende nicht aus
eigener Finanzkraft stemmen.
Wer die Personenbeförderung liberalisiert, bringt keine Mobilität auf die Dörfer
Innovative Angebote im ÖPNV sind vorhanden, die Finanzierungsinstrumente ebenso. Woran liegt es, dass wir auf dem Land nicht schon weiter sind? Oftmals wird das Personenbeförderungsgesetz als Innovationsbremse bemüht. Wir brauchen eine maßvolle Weiterentwicklung, die ÖPNV-integrierte Innovationen ermöglicht. Was wir indes nicht brauchen, ist eine aus verkehrlicher Sicht wirkungslose Liberalisierung der Personenbeförderung zu Lasten des ÖPNV und zu Gunsten Einzelner ohne Gemeinwohlorientierung.
Jan Schilling nimmt heute Abend an dem Max-Planck-Forum „Auto adé? Digitale Lösungen für den ÖPNV von morgen“ teil. Weitere Redner sind Stephan Herminghaus, Direktor am Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation, und Ingo Kollosche, Forschungsleiter Mobilität am Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung (IZT).