Standpunkte Wegen des Klimaschutzes muss der Schienenverkehr Vorfahrt bekommen

Bahnpolitik wird für die kommende Bundesregierung eine Herausforderung. Auch in Fachkreisen gehen die Meinungen auseinander. Mit Blick auf Angebotsqualität und Klimaneutralität zeichnen sich jedoch drei zentrale Stoßrichtungen ab: eine verlässliche Finanzierung für das Schienennetz, eine Eigentümerstrategie für die Deutsche Bahn AG und eine Bundesverkehrswegeplanung, die am Klimaschutz ausgerichtet ist.
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Jetzt kostenfrei testenOb die Verschlankung des Bahnkonzerns, die Trennung von Netz und Betrieb oder Sanierungskonzepte für die Infrastruktur: Bestimmte Debatten der Bahnpolitik stehen zu Beginn jeder Legislatur von Neuem auf der Agenda. Meist handelt es sich um Herausforderungen, die weder einfach noch schnell gelöst werden können. Stattdessen braucht es langfristige Zukunftsstrategien.
Die Ampel-Regierung hatte einige Reformen in Angriff genommen. Sie stockte die Mittel für den Ausbau des Schienennetzes deutlich auf, gründete die gemeinwohlorientierte Gesellschaft DB InfraGO und führte das Deutschlandticket ein. Aufgrund des vorzeitigen Endes der Legislaturperiode konnten SPD, Grüne und FDP ihre Reformen jedoch nicht vollständig umsetzen.
Mit dem Sondervermögen Infrastruktur zeichnet sich nun ein erster Schritt in Richtung einer finanziellen Lösung für den Sanierungs- und Investitionsstau ab. Allerdings sind noch viele Fragen unbeantwortet, allen voran die nach der Höhe des Anteils für die Schiene. Offen ist auch, welche Führung die Deutsche Bahn benötigt, um zielgerichtet arbeiten zu können. Agora Verkehrswende hat Fachleute aus der Branche interviewt und drei Empfehlungen herausgearbeitet, damit die Schiene den Anforderungen gerecht werden und somit auch ihren Beitrag zu einem klimaneutralen Deutschland leisten kann:
1. Finanzierung für das Schienennetz garantieren
Die jahrzehntelange Unterfinanzierung und der Sanierungsstau haben zu teils erheblichen Qualitätsverlusten in der Schieneninfrastruktur geführt. Die Finanzierung von Schieneninfrastrukturprojekten erfolgt bisher überwiegend im Rahmen jährlicher Haushaltsbeschlüsse. Das schafft Unsicherheit für langfristige Projekte. Planungs- und Baufirmen kalkulieren das Risiko ein, dass Vorhaben pausiert werden könnten, und setzen ihre Baukosten entsprechend höher an.
Die Ampel-Koalition machte zwar für Sanierung und Ausbau des Schienennetzes zuletzt deutlich mehr Mittel verfügbar. Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts im Jahr 2023 fehlten allerdings rund 12,5 Milliarden Euro aus dem Klima- und Transformationsfonds, die für das Schienennetz vorgesehen waren. Die Bundesregierung reagierte darauf mit einer Eigenkapitalerhöhung für die Deutsche Bahn. Diese Maßnahme führte jedoch zu einem Anstieg der Trassenpreise und somit zu einer erheblichen wirtschaftlichen Belastung für Bahnbetreiber im Personen- und Güterverkehr.
Um die Qualität des Schienennetzes wieder zu verbessern und die Transportkapazitäten zu erweitern, sollte der Bund eine mehr- und überjährige sowie verlässliche Finanzierung gewährleisten. Der in den Koalitionsverhandlungen diskutierte Schieneninfrastrukturfonds könnte dafür ein sinnvoller Ansatz sein. Solch ein Fonds sollte sich aber nicht allein aus Mitteln des Sondervermögens Infrastruktur speisen. Es braucht eine langfristig tragfähige Finanzierungsarchitektur, die auf das Sondervermögen, weitere Kredite auf Grundlage einer Reform der Schuldenbremse, zusätzliche Haushaltsmittel und Mauteinnahmen aufbaut.
2. Deutsche Bahn im Sinne der Klimaneutralität steuern
Die Bundesregierung muss laut Grundgesetz (Artikel 87e) gewährleisten, dass beim Ausbau und Erhalt des Schienennetzes der Eisenbahnen des Bundes sowie bei deren Verkehrsangeboten dem Wohl der Allgemeinheit Rechnung getragen wird. Diesem Auftrag wird sie nach Einschätzung vieler Beobachter:innen nicht gerecht. Ein Grund dafür ist die mangelnde Steuerung der Deutschen Bahn. Aus dem gleichen Grund ist es dem Bund bisher auch nicht möglich, die Deutsche Bahn zielgerichtet im Sinne des Klimaschutzes und der Verkehrsverlagerung auszurichten.
Für die mangelnde Steuerung werden von Fachleuten verschiedene Ursachen genannt – von unzureichender Expertise und zu wenig Personal in der Bundesregierung über eine unpassende Zusammensetzung des Aufsichtsrates bis zur ungeeigneten Rechtsform der Deutschen Bahn, die als Aktiengesellschaft vom Aufsichtsrat schlechter kontrolliert werden kann als dies bei einer GmbH der Fall wäre. Besonders schwer wiegt das Fehlen einer Langfriststrategie der Bundesregierung.
Um die Schiene besser für ein klimaneutrales Verkehrssystem aufzustellen, sollte der Bund eine Eigentümerstrategie mit einem integrierten Zielbild für die Entwicklung des Schienennetzes sowie Kriterien für die Entwicklung des Bahnkonzerns entwickeln. Das Zielbild sollte über die Instrumente Deutschlandtakt und Infraplan operationalisiert werden: Für die Umsetzung des Deutschlandtakts werden konkrete Etappen festgelegt und in einem Infraplan diejenigen Projekte davon festgeschrieben, die in den kommenden fünf Jahren vorrangig ausgebaut werden sollen.
In Kombination mit der verlässlichen Finanzierung entsteht somit ein sehr wirkungsvolles Instrumentenpaket. Außerdem sollte der Bund für die Steuerung mehr personelle Kapazitäten aufbauen und klare Kriterien dafür formulieren, wie die Struktur des Bahnkonzerns ausgestaltet werden soll und welche Ziele – zum Beispiel: Daseinsvorsorge, Verkehrsverlagerung und Klimaschutz, Wirtschaftlichkeit und Effizienz, Kompetenzzuwachs – mit Tochterunternehmen verfolgt werden sollen.
3. Projekte des Bundesverkehrswegeplans neu bewerten
Bei der Auswahl und Priorisierung von Projekten in der Bundesverkehrswegeplanung spielen finanzielle und zeitliche Aspekte eine zentrale Rolle, während sich Klima- und Umweltschutz in der Vergangenheit bestenfalls als zweitrangig erwiesen haben. Darüber hinaus werden für die Ableitung von Investitionen Verkehrsprognosen herangezogen, bei denen zu wenig strategische Rahmensetzung in Richtung Klimaschutz zu beobachten ist.
Anstatt am bestehenden Bundesverkehrswegeplan und -verfahren festzuhalten, braucht es deshalb eine Modernisierung des Systems. Die Projekte sollten stärker anhand ihres Beitrags zum Klimaschutz im Verkehr bewertet werden. Dadurch würden in Zukunft viele Schienenprojekte gegenüber dem Straßenausbau priorisiert. Mittelfristig sollten die Prozesse und die Methodik des Bundesverkehrswegeplans sowie folgende Planungsgrundsätze auch gesetzlich geregelt werden: Einhaltung der Klimaschutzziele, Substanzerhalt vor Neubau von Straßen, Berücksichtigung intermodaler Alternativen.
Die kommende Bundesregierung hat es in der Hand, die Weichen für einen zukunftsfähigen Schienenverkehr zu stellen. Dafür wird sie neue Antworten finden müssen: für die Finanzierung des Schienennetzes, die Steuerung der Deutschen Bahn und die Planung der Bundesverkehrswege. Im Mittelpunkt sollte dabei stehen, dem Wohl der Allgemeinheit gerecht zu werden – mit einem leistungsfähigen Schienenverkehr, der die Anforderungen von Gesellschaft und Wirtschaft erfüllt und zum Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen beiträgt.
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