Wer in den vergangenen Wochen in Busse und Bahnen stieg, den begleitete die Unsicherheit, sich anzustecken. Die Pflicht, eine Maske zu tragen, wird von den Menschen mehrheitlich akzeptiert, trägt aber kaum zur Aufenthaltsqualität in Bussen und Bahnen bei. Auch wenn wir im ÖPNV wie in anderen Lebensbereichen Stück für Stück ein Mehr an Normalität erleben, werden noch längst nicht die Nutzerzahlen erreicht, die es vor der Corona-Pandemie gab.
Aus kommunaler Sicht darf sich dieser Trend nicht verfestigen. Ein Roll-Back bei der Verkehrswende ist unbedingt zu verhindern! Dem ÖPNV kommt nach wie vor hierbei die Schlüsselstellung zu. Die Klimaziele und sauberere Luft, die Bewältigung des Verkehrswachstums und eine bessere Lebensqualität in den Städten und Gemeinden sind ohne den ÖPNV nicht zu erreichen. Die Digitalisierung birgt in Zeiten von Covid-19 die Chance, ein Treiber für Verbesserungen im ÖPNV zu werden.
Digitalisierung im ÖPNV: Worüber reden wir?
Wie in anderen Bereichen geht es bei der Digitalisierung des öffentlichen Verkehrs um Plattformökonomie, Big Data und KI. Für die Kommunen und Kunden bieten sich durch die Verfügbarmachung von Daten öffentlicher wie privater Mobilitätsanbieter neue Möglichkeiten für eine bessere Verkehrs- und passgenaue Routenplanung. Daneben geht es um die digitale Vernetzung der Verkehrsträger durch anbieterübergreifende Plattformen, integrierte Auskunfts- und Buchungssysteme, Echtzeitinformationen und optimierte Betriebsabläufe bis hin zu autonomem Fahren. Die Basis eines guten ÖPNV bleibt jedoch eine gute Infrastruktur mit gutem Angebot, in der Stadt und auf dem Land.
Zur Einhaltung der Corona-Abstandsregeln braucht der ÖPNV
stärker denn je eine gleichmäßigere Auslastung. Konkret werden verlässliche
Informationen über die Fahrgastzahlen in Bussen und Bahnen benötigt, damit sich
die Nutzer wohl und sicher fühlen und besser auf die Fahrzeuge verteilen. Die Apps
der Verkehrsunternehmen sollten um entsprechende Hinweise ergänzt werden. Dies
funktioniert bereits im Fernverkehr der Bahn, wo prognostizierte Auslastungen
angezeigt und Ticketbuchungen bei Überfüllung eingestellt werden.
Informationen über die Auslastung der Fahrzeuge
Allerdings ist der Auslastungsgrad im Nahverkehr deutlich schwerer zu bewerten, da er stärkeren Schwankungen unterliegt. Etwa bei der Bustaktung im Stadtverkehr, wo es aufgrund der aktuellen Verkehrssituation zu Verzerrungen kommen kann. Zudem fehlt es in Zeiten eines dynamischen Infektionsgeschehens an verlässlichen Zähldaten, da sich die Nachfrage mit unterschiedlichen Schulöffnungen oder punktuellen Beschränkungen ständig verändern kann. Dennoch bietet es sich insbesondere im SPNV an, stark frequentierte Fahrten oder Teilabschnitte in den Fahrplanauskünften zu kennzeichnen. Dies kann derzeit nur auf Basis von Prognosen und nicht anhand der Echtzeit-Auslastung erfolgen. Hierfür bedürfte es umfassender Check-in-/Check-out-Systeme, die bislang in Deutschland nur vereinzelt verfügbar sind.
E-Ticketing und Angebote aus einer Hand
Während im Handel infolge von Corona nun vorzugsweise bargeld- und kontaktlos bezahlt wird, musste der Fahrscheinverkauf in den Bussen zunächst eingestellt werden. Mit der zunehmenden Installation von Schutzwänden wird der Verkauf durch das Fahrpersonal wieder ermöglicht. Jedoch ist Bargeld derzeit nicht das beliebteste Zahlungsmittel, und es ist sinnvoll, das Fahrpersonal von dieser Aufgabe zu entlasten, um die Einhaltung der Fahrpläne besser zu gewährleisten.
Die Niederlande machen es vor: Seit 2011 wird dort wird im gesamten ÖV mit der „OV-chipkaart“ bezahlt. Aus Nutzersicht ist dies ein Qualitätssprung. Hierzulande haben die Verkehrsunternehmen unter dem Dach des VDV einen deutschlandweiten Standard für das E-Ticketing entwickelt, welcher bereits von 440 Verkehrsunternehmen und Verbünden beim elektronischen Ticket-Vertrieb sowie der Fahrausweisprüfung angewendet wird. Erreicht werden mittlerweile rund 80 Prozent der Bevölkerung. Auf Basis dieses Fundaments und einer abgestimmten Vorgehensweise müssen nun unbedingt der Lückenschluss und weitere Schritte hin zur Vernetzung der Verkehrsunternehmen und modernen Tarifsystemen erfolgen. Besonders, wenn es zugleich die Integration der gesamten Reisekette vom Fernverkehr, ÖPNV, Sharing-Angeboten bis hin zu Ride-Hailing ermöglicht. Denn das Mobilitätsbedürfnis der Menschen ist unendlich und richtet sich nicht nach Gemeinde- und Landesgrenzen.
Was müssen die nächsten Schritte sein?
Die Weiterentwicklung des E-Ticketing hin zu anbieterübergreifenden Plattformen und Tarifen wird im Rahmen der Roadmap „DigitaleVernetzung im Öffentlichen Personenverkehr“ beschrieben. Hier gilt es, auch über den ÖPNV hinaus offene Standards anzustreben, um möglichst alle Mobilitätsanbieter einbinden zu können. Parallel braucht es weitere Investitionen in digitale Infrastruktur bei den Unternehmen, sei es für Echtzeitinformationen oder Buchungssysteme.
Dies wird für die kommunalen Aufgabenträger und Verkehrsunternehmen ohne erhebliche Kraftanstrengungen nicht realisierbar sein. Mithilfe der soeben verabredeten Hilfen des Bundes, die für den Ausgleich der auflaufenden Einnahmeausfälle im ÖPNV bestimmt sind, wird dies nicht gelingen. Dennoch sind die Zeiten günstig, wenn man bedenkt, welcher Verkehrsträger Unterstützung erhält und welcher nicht. Zudem ist an Schnittstellen, um gemeinsam für weitere Verbesserungen zu sorgen, derzeit wahrlich kein Mangel. Gremien wie das Bündnis für moderne Mobilität, die Nationale Plattform für die Zukunft der Mobilität (NPM) und die Initiative Digitale Vernetzung im Öffentlichen Personenverkehr bilden die Grundlage. Die sich abzeichnende Novelle des Personenbeförderungsgesetzes mit dem Ziel, Pooling-Angebote im ÖPNV und darüber hinaus auf eine neue rechtliche Grundlage zu stellen, dürfte für einen zusätzlichen Schub für ein digital verbessertes ÖPNV-Angebot sorgen.
Verbesserung beinhaltet nicht zuletzt, dass die Betreiber flexibler werden müssen und nicht nur den Status quo verwalten dürfen. Zukunftsinvestitionen, auch in Konkurrenz zu neuen aufkommenden Angeboten, müssen getätigt werden. Klar ist auch, dass die damit verbundene Umstellung eine Hürde bildet, gerade für kleinere Unternehmen. Und nicht zuletzt müssen wir uns über die Spielregeln unterhalten, nach denen im Gesamtsystem Verkehr fair, verlässlich und sicher mit Mobilitätsdaten umgegangen wird.
Timm Fuchs spricht heute neben Henry Widera, CIO bei den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG), sowie Konstantin Müller und Maximilian Richt von radforschung.org bei dem von Bündnis90/Die Grünen veranstalteten Webinar „Warum die Digitalisierung gerade in Sachen Mobilität entscheidend ist“.