Kein Bundesland hat eine Geschichte wie das Saarland. Es ist das Resultat einer einzigartigen Entwicklung, sowohl politisch im Wechselbad der Nationen, als auch wirtschaftlich. Unser Bundesland ist geboren aus der europäischen Staaten- und Wirtschaftsgeschichte und dem steten Wandel, der die Mentalität des Landes und seiner Menschen geprägt hat.
Wir kennen Strukturwandel. Einst war die Automobilindustrie im Saarland ein wesentlicher Teil der wirtschaftlichen Stabilisierung. Heute steht die Automobilindustrie selbst mitten in einer Transformation. Zugleich ist sie nirgendwo so bedeutend: Das Saarland hat unter allen Bundesländern den höchsten Anteil von sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in der Automobilindustrie an der Gesamtwirtschaft sowie mit über 70 Prozent einen der höchsten Beschäftigungsanteile bei Zulieferern. Über 40.000 Arbeitsplätze sind direkt und indirekt in der saarländischen Automobilbranche zu finden.
Die gesamte automobile Wertschöpfungskette wird von den technologischen Megatrends Elektromobilität und Digitalisierung beeinflusst, aber auch von geopolitischen Konflikten und dem Klimaschutz. Überdies gewinnen Themen wie die notwendige Diversifizierung von globalen Lieferketten, die Sicherstellung der Versorgungssicherheit mit Energie und Rohstoffen sowie die Stärkung der Kreislaufwirtschaft an Bedeutung.
Ideologisch aufgeladener Kampf für den Verbrenner
Was tun? Mancher in Politik, Gesellschaft und Wirtschaft hat sich entschieden, einen ideologisch aufgeladenen Kampf für den Verbrenner gegen alle Fakten fortzuführen und alles andere zu verteufeln. Ich halte das für keinen guten Weg, wenn man in Verantwortung steht. Was allerdings nicht heißt, dass man Chancen des Verbrenners verschmähen oder sich einseitig auf Technologien kaprizieren muss.
Es gibt aber objektive Gründe dafür, warum sich die allermeisten Hersteller bereits auf eine batterieelektrische Zukunft, zumindest im Pkw-Individualverkehr, eingestellt haben. Die Gesamtkosten sind schlicht niedriger als bei Alternativen. Batterien sind jedoch schwer, was bedeutet, dass einige Verkehrsmittel nicht ohne Weiteres mit Batterien betrieben werden können – daher können Wasserstoff oder E-Kraftstoffe eine Lösung für Schiffe, Flugzeuge oder Schwerlastfahrzeuge wie Busse und Lkw sein.
Es hilft also nichts, den Wandel auf sich zukommen zu lassen und zu erdulden. Wir werden einiges ändern müssen, damit vieles so bleibt, wie wir es lieben. Das ist meine Formel für die notwendige Mischung aus Aufbruch und Sicherheit im Wandel. Mein oberstes Ziel lautet: Bestehende Arbeitsplätze möglichst erhalten und zugleich neue schaffen.
Investitionsschwäche überwinden
Die SPD-Landesregierung im Saarland musste die Investitionsschwäche eines seit Jahrzehnten finanzschwachen Landes überwinden. Wir haben das zumindest mit Blick auf rentierliche Investitionen in Strukturwandelprojekte getan, indem wir einen zum großen Teil schuldenfinanzierten Transformationsfonds von drei Milliarden Euro aufgelegt haben. Dieser Fonds ist der Möglich-Macher, um die größten Investitionen der saarländischen Geschichte zu hebeln, mit denen wir Arbeitsplätze und das Klima zugleich schützen. Der klimaneutrale Umbau der saarländischen Stahlindustrie etwa wäre ohne die Kofinanzierung von Bundesförderung nicht möglich.
Wir setzen auf die Diversifizierung und Modernisierung unseres industriellen Portfolios und zugleich auf Neuansiedlungen. Der Automobil-Zulieferer ZF, einer der größten Industriearbeitgeber des Saarlandes, entwickelt den Saarbrücker Standort zum Leitwerk für Elektromobilität innerhalb des Konzerns. Der US-amerikanische Chiphersteller Wolfspeed wird im Saarland ein hochmodernes Siliziumkarbid (SiC) Chip-Werk bauen.
Es werden nicht nur zahlreiche Arbeitsplätze entstehen, sondern auch eine neue Branche im Land angesiedelt. Daneben ist auch die Ansiedlung des Batteriezellherstellers SVOLT ein wichtiger Fuß in der Tür der Elektromobilität. Und wir werden eine Nachfolgelösung aus dem industriellen Sektor für den Ford-Standort Saarlouis präsentieren können, die ebenfalls das Portfolio des Saarlandes erweitert.
Will sagen: Wir tun im Saarland viel. Dass wir auch zukünftig ein starker Industriestandort bleiben, liegt aber nicht allein in saarländischer Hand. Zu hohe Energiekosten werfen Deutschland zurück. Wer sich den Einbruch der energieintensiven Industrie in den letzten Monaten anschaut, erkennt das. Dazu kommt die Konkurrenz durch den „Inflation Reduction Act“ der USA. Neben diesem Druck von jenseits des Atlantiks stellt auch die chinesische Industriepolitik eine Herausforderung für Europa dar.
Fünf Antworten, die ich für wesentlich halte:
Erstens: Energiekosten. Die Erneuerbaren Energien werden den Strompreis langfristig senken, deshalb müssen wir sie massiv ausbauen und alle Fesseln lösen. Aber: Solange kann die Industrie nicht warten. Stahl, Chemie, Zement, aber auch große Rechenzentren brauchen sehr viel Energie und verlässliche Betriebskosten sind für sie entscheidend. Deshalb müssen wir schnell die Wettbewerbsfähigkeit dieser Industrien sichern. Die Forderung aller 16 Bundesländer ist daher ein befristeter subventionierter Industriestrompreis.
Zweitens: Wasserstoff. Die Transformation wird in vielen Bereichen von Wasserstoff und erneuerbaren Energien angetrieben. Einst entstand die Europäische Union aus einer Gemeinschaft für Kohle und Stahl. Heute müssten wir diesen Kern neu denken als europäische Gemeinschaft für Wasserstoff und Erneuerbare Energien. Entscheidend ist der schnelle Aufbau eines europäischen Netzes. Dazu braucht es sehr schnell gezielte Anreize und einen klaren Rechtsrahmen, damit Unternehmen bereit sind, die Netze eigenwirtschaftlich zu ertüchtigen beziehungsweise zu errichten.
Drittens: Fachkräfte. Wir werden die Fachkräftesicherung nicht in jedem Bundesland extra lösen, trotz aller Bemühungen. Wir brauchen ein föderales Synchronschwimmen statt ein Wettrennen der Bundesländer. Davon, dass wir einzelne Berufsgruppen Land für Land besserstellen, wird ja die Grundgesamtheit der Fachkräfte nicht größer. Wir brauchen bundesweit mehr Fachkräfte. Dazu müssen wir uns zum einen um hier lebende Menschen bemühen, sei es über Qualifizierung oder über Möglichkeiten, die Frauenerwerbsquote zu steigern oder lebenslanges Lernen. Und das wird zum anderen ohne Zuwanderung nicht zu machen sein.
Viertens: Innovation. „Made in Germany“ war und ist nicht nur ein Signet für solide Wertarbeit, sondern auch für hochinnovative Produkte. Forschung und Entwicklung helfen unserer Industrie, der Zeit gerade so weit voraus zu sein, um zukünftige Märkte in den Blick zu nehmen. Wir müssen unsere Hochschullandschaft und exzellenten Forschungsinstitute so mit der Wirtschaft verknüpfen, dass ein stärkerer Transfer von Wissen in Produkte möglich wird. Dazu bedarf es einem Höchstmaß an Technologieoffenheit in der Regulierung.
Fünftens: Deutschlandgeschwindigkeit. Viele Bundesländer machen Tempo für die Transformation, und auch der Bund unterstützt das und beschleunigt Planungen und Genehmigungen. Damit muss ein deutlicher Bürokratieabbau einhergehen. Aber auch die EU-Kommission muss ihre Arbeits- und Prüf-Geschwindigkeit dem Tempo der Transformation anpassen. Es kann nicht sein, dass Unternehmen etwa für Ansiedlungen fix und fertig in den Startlöchern stehen und nicht loslegen können, weil das grüne Licht aus Brüssel fehlt.
Damit die Transformation gelingt, gilt es also auf einer Vielzahl an Feldern aktiv zu werden. Und zwar gemeinsam: Politik, Wirtschaft und Gesellschaft.