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Agrar & Ernährung

Standpunkte Die neue Bundesregierung muss an der Lieferkettengesetzgebung festhalten

Franziska Humbert
Franziska Humbert, Teamleitung Gerechtes Wirtschaften bei Oxfam Foto: Oxfam

Angesichts einer unsicheren Weltlage, in der auch die Großmacht USA Werte wie Demokratie und Menschenrechte mit Füßen tritt, ist es umso wichtiger, dass die EU und Deutschland an diesen grundlegenden Werten festhalten. Darunter fällt auch, die Lieferkettengesetze zum Schutz von Menschenrechten und Umwelt nicht zu entkernen oder gar abzuschaffen, schreibt Franziska Humbert.

von Franziska Humbert

veröffentlicht am 28.03.2025

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Es wäre ein fatales Signal an die Betroffenen von Menschenrechtsverletzungen und diejenigen Unternehmen, die das deutsche Lieferkettengesetz bereits jetzt anwenden, es – wie von der Union in den Koalitionsverhandlungen gefordert – abzuschaffen. Die vorausgehenden Unternehmen beweisen, dass Wettbewerbsfähigkeit und Menschenrechtsschutz zusammen funktionieren.

In globalen Lieferketten weltweit tätiger Unternehmen kommt es regelmäßig zu Menschenrechtsverstößen. Zahlreiche Medienberichte und Studien der Zivilgesellschaft und Wissenschaft belegen immer wieder aufs Neue, dass zum Beispiel im Obst- und Gemüsesektor, beim Bergbau und im Bekleidungssektor menschenunwürdige Arbeitsbedingungen wie Hungerlöhne, Kinderarbeit, Gesundheitsschäden durch Pestizide und Unterdrückung von Gewerkschaftsrechten auf der Tagesordnung stehen.

Katastrophen wie der Einsturz der Nähfabrik Rana Plaza in Bangladesch im Jahr 2013 mit mehr als 1000 Toten oder der Staudammbruch im brasilianischen Brumadinho, wo trotz TÜV-Zertifikat ein Dorf in den Schlamm gerissen wurde, sind Beispiele dafür, welche verheerenden Auswirkungen eine rein profitorientierte Wirtschaft ohne Achtung der Menschenrechte haben kann.

Nicht zuletzt wegen dieser Katastrophen, aber auch, um völkerrechtlichen Vorgaben wie den UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte nachzukommen, hatte die Bundesregierung endlich im Jahr 2021 das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz verabschiedet. Kern des Gesetzes ist eine sogenannte Sorgfaltspflicht, nach der Unternehmen sich mit Maßnahmen wie einer Risikoanalyse und der Einrichtung eines Beschwerdemechanismus um die Einhaltung der Menschenrechte bei sich und in ihrer Lieferkette bemühen müssen.

Wohlgemerkt „bemühen müssen“, denn nicht der Erfolg ist geschuldet, sondern das Ergreifen von wirksamen Maßnahmen. Und, ganz wichtig, es ist ein risikobasiertes Vorgehen gefordert, also nur dort, wo gravierende Menschenrechtsverletzungen oder schlimme erkennbare Umweltschäden drohen, ist Handeln erforderlich. Es finden keine flächendeckenden Kontrollen Tausender Zulieferer statt, wie oft behauptet.

Anders ausgedrückt: Die geforderte Sorgfaltspflicht ist machbar und bedeutet keine unnötige Bürokratie. Im Gegenteil, zahlreiche Unternehmen wie zum Beispiel Aldi, Lidl, Vaude, BASF, Otto und Tchibo wenden das Lieferkettengesetz bereits an und beweisen so dessen Machbarkeit.

Das (deutsche) Lieferkettengesetz wirkt

Das Gesetz ist ein Erfolg. Die Menschenrechtsorganisation Oxfam hatte zusammen mit seinen Partnergewerkschaften Sitrap in Costa Rica und Astac in Ecuador im Jahr 2023 Beschwerden bei den vier großen deutschen Supermarktketten zu Arbeitsbedingungen im Bananenanbau eingereicht, die bereits jetzt eine Verbesserung der Situation der Arbeiter:innen bewirkt haben.

In zwei Fällen haben sich die betroffenen Supermarktketten sofort mit Zulieferern und Gewerkschaften zusammengesetzt, um gemeinsam nach Lösungen zu suchen. Bereits das ist ein echter Paradigmenwechsel und zeigt, dass Unternehmen bereit sind, menschenrechtlichen Herausforderungen in ihrer Lieferkette zu lösen und nicht als Bürokratie abzutun.

In den beiden anderen Fällen haben die Organisationen Beschwerde beim Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhr eingereicht und bereits einige zentrale Erfolge erzielt. So haben sich in einigen Fällen die Löhne verdoppelt, die Gewerkschaftsarbeit wird mehr respektiert und der gesundheitsschädliche Pestizideinsatz von Motorflugzeugen, die über den Köpfen von Arbeiter:innen fliegen, hat sich verringert.

Für echte Gerechtigkeit in der Lieferkette braucht es Klagemöglichkeiten

Für echte Gerechtigkeit in der Lieferkette braucht es jedoch Klagemöglichkeiten. Denn nur so kann Betroffenen von Menschenrechtsverletzungen Recht verschafft werden. Zum Beispiel müssen Angehörige der bei dem Fabrikeinsturz Rana Plaza Verstorbenen die verantwortlichen europäischen Unternehmen zur Verantwortung ziehen und Schadensersatz einklagen können.

Das sieht jedoch das deutsche Lieferkettengesetz nicht vor. Eine solche zivilrechtliche Klagemöglichkeit steht aber in der 2024 verabschiedeten EU-Richtlinie für eine unternehmerische Sorgfaltspflicht im Bereich Nachhaltigkeit (EUCSDDD). Deutschland und die EU wären also eigentlich auf der Zielgeraden für eine regelbasierte Wirtschaft, bei der Menschen im Zentrum stehen.

Koalitionsverhandlungen bedrohen erfolgreiche Lieferkettengesetze

Im Rahmen der Koalitionsverhandlungen zwischen SPD und CDU/CSU sind nun erste Vorschläge bekannt geworden, die erneut sowohl das deutsche Lieferkettengesetz als auch die EU-Richtlinie angreifen.

Eine Aussetzung des deutschen Lieferkettengesetzes wäre jedoch nicht nur ein fataler Rückschritt beim Menschenrechtsschutz und ein falsches Signal an Zulieferer und hiesige Unternehmen, sondern sowohl ein Verstoß gegen das völkerrechtliche Rückschrittsverbot als auch europarechtswidrig. Zahlreiche Unternehmen wie Tchibo und Otto, Unternehmensverbände wie der Bundesverband für Materialwirtschaft und Mittelständler sprechen sich für eine wirksame Lieferkettengesetzgebung aus. Auch prominente Stimmen aus Politik, Wissenschaft und Gesellschaft unterstützen das Gesetz.

Wer das Lieferkettengesetz als Klotz am Bein der deutschen Wirtschaft abtut, greift zu kurz – es ist eine Notwendigkeit für eine Zukunft, in der Unternehmen Verantwortung übernehmen und Menschenrechte keine Verhandlungsmasse mehr sind, sondern endlich einen rechtlichen Rahmen haben. Das sollte die neue Bundesregierung beherzigen und danach handeln.

Franziska Humbert hat sich zum Thema Welthandel und Konstitutionalismus im Völkerrecht an der juristischen Fakultät der Universität Bern habilitiert. Oxfam ist Teil des Bündnisses „Initiative Lieferkettengesetz“.

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