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Agrar & Ernährung

Standpunkte Kleinbauern werden von der Bürokratie des Lieferkettengesetzes bedroht

Annemarie Leniger, Stellvertretende Vorstandsvorsitzende des Deutschen Tee & Kräutertee Verbands
Annemarie Leniger, Stellvertretende Vorstandsvorsitzende des Deutschen Tee & Kräutertee Verbands Foto: Deutscher Tee & Kräutertee Verband

Die Regulierung von Lieferketten erfüllt einen richtigen Zweck. Doch die anspruchsvolle Umsetzung der Gesetze bedroht nicht nur Kleinbauern in den Ursprungsländern, sondern auch den Wirtschaftsstandort EU, meint Annemarie Leniger, Stellvertretende Vorstandsvorsitzende des Deutschen Tee & Kräutertee Verbands. Nur mit angepassten Dokumentationspflichten, weniger Bürokratie und mehr Zusammenarbeit kann es aus Lenigers Sicht einen nachhaltigen Handel geben.

von Annemarie Leniger

veröffentlicht am 15.10.2024

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Um zu verstehen, was das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) für Kleinbauern, etwa in der Teebranche, in vielen Fällen bedeutet, muss man in einigen der rund 80 Ursprungsländer unserer Rohwaren gewesen sein. Ein anschauliches Erlebnis hatte ich auf einer Reise durch Westafrika 2023. Dort fuhr ich mit einem unserer Geschäftspartner zu den Wildsammlungen für Hibiskus, um mir ein Bild von den Anbau- und Erntebedingungen zu machen.

Unser Weg führte uns durch weites Buschland und dichte Wälder. Immer wieder kamen Männer und Frauen aus dem Gelände: Auf dem Rücken trugen sie große Körbe, gefüllt mit Hibiskusblüten. Die Arbeiterinnen und Arbeiter brachten ihre gerade gesammelten Kräuter und Früchte zur nächsten Sammelstelle, um dort von einem Zwischenhändler für die eingebrachte Erntemenge bar auf die Hand bezahlt zu werden.

Vor Ort erklärte man mir, dass die meisten hier arbeitenden Kleinbäuerinnen und Kleinbauern dem Zwischenhändler zwar bekannt sind, sie aber nicht bei ihm angestellt seien. Viele arbeiteten zudem nur tageweise. Die Teeernte und -verarbeitung helfe ihnen, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten und ihre nicht selten großen Familien zu ernähren. Oft könnten die Arbeiterinnen und Arbeiter weder lesen noch schreiben. Diese Menschen sind allesamt Teil unserer Lieferketten. Da wir nicht zuletzt dank ihrer Arbeit Geld verdienen, haben wir zweifellos eine Verantwortung für sie.

Gesetz mit richtigem Anliegen

Das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz und die inzwischen verabschiedete europäische Richtlinie tragen dieser Verantwortung Rechnung. Das ist gut so. Auch, wenn die Diskussionen in der deutschen Regierung über eine Aufhebung oder Abschwächung des deutschen Gesetzes wieder hochkochen, sind sich wohl alle über den absolut richtigen Zweck des Gesetzes einig.

Das Beispiel aus Westafrika zeigt jedoch, vor welchen Herausforderungen wir bei der Umsetzung stehen. Die deutsche Teebranche legt dabei besonders gut offen, wie schwierig der Rohstoffeinkauf abseits des Handels mit großen Teeplantagen oder vergleichbar organisierten Anbauern ist. Denn zwei Drittel der 400 verschiedenen Pflanzenteile für Kräuter- und Früchtetees werden wild gesammelt. Damit werden gut 20 Prozent der Rohstoffe aus dem Gesamtteemarkt in den beschriebenen Wildsammlungen gewonnen. Und diese basieren meist aus einem Netz aus Kleinbäuerinnen und Kleinbauern – mit losen und nicht dokumentierten Arbeitsstrukturen.

Hochkomplexe Lieferketten

Die Lieferketten, etwa für Kräuter- und Früchtetee, sind also hochkomplex: Sie erstrecken sich über den gesamten Globus bis hinein in abgeschiedene Gebiete, deren Infrastruktur mit Bedingungen bei uns nicht zu vergleichen sind; wo Menschen unter schweren Bedingungen leben und arbeiten. Die Lieferketten umfassen vor allem bei den Wildsammlungen häufig mehrere Stationen wie Zwischenhändler und verarbeitende Organisationen, bevor der Tee in Deutschland ankommt. In unserer diesjährigen Mitgliederbefragung zum Thema Nachhaltigkeit gaben die befragten Mitarbeitenden von meist kleinen und mittelständischen Unternehmen an, über 100 direkte Zulieferer zu haben.

Anbau und Lieferwege sind zudem stark beeinflusst vom Klima, von Naturkatastrophen, Wirtschaftskrisen und Konflikten in den Ursprungsländern. Dies und die oben beschriebenen, oft kaum nachvollziehbaren Strukturen müssen gemäß LkSG dokumentiert und auf ihr Risiko von Menschenrechtsverletzungen und umweltschädlichen Praktiken geprüft werden – auch wenn viele Unternehmen mitunter selbst formal gar nicht unter das Gesetz fallen, aber von ihren Handelspartnern, die vom Gesetz direkt betroffen sind, dazu verpflichtet werden.

Dies ist eine immense und nahezu unlösbare Herausforderung für die meist mittelständischen Unternehmen in der Teebranche.

Zertifikate helfen – aber nicht überall

Oft bauen die Unternehmen seit vielen Jahren auf die weit verbreiteten Zertifizierungen durch unabhängige Nachhaltigkeitssiegel wie der Rainforest Alliance, Fairtrade oder We Care. Diese prüfen die ökologischen und sozialen Bedingungen vor Ort – eine große Hilfe, ohne die der Teehandel heute nicht mehr möglich wäre. Dennoch bleiben viele Zulieferer, die nicht geprüft werden, da auch die Zertifizierer nicht alle Länder in Augenschein nehmen.

Die Mitglieder des Deutschen Tee & Kräutertee Verbands pflegen in allen Ursprungsländern seit Jahrzehnten bereits aus eigenem Engagement enge Partnerschaften und stehen im regelmäßigen Austausch mit den Unternehmen vor Ort. Das gaben gut drei Viertel der Befragten in unserer Mitgliederumfrage an. 53 Prozent sind sogar vor Ort, um selbst zu kontrollieren, zu schulen und zu beraten oder auch konkrete Hilfen in Notlagen zu leisten.

Lebensunterhalt von Kleinbauern bedroht

Der bürokratische Aufwand, der für die Unternehmen jedoch aus der Nachhaltigkeitsgesetzgebung mittelbar oder unmittelbar folgt, bedeutet Investitionen und Ressourcenverbrauch, ohne wirklich dort zu helfen, wo das Gesetz eigentlich wirken soll. Denn insbesondere die Kleinbäuerinnen und Arbeiter, die dringend auf die Einnahmen aus dem Anbau der Rohstoffe angewiesen sind, werden über das Gesetz aus den Lieferketten indirekt ausgeschlossen.

Trotz aller Bemühungen ist es mitunter nahezu unmöglich, die geforderten Nachweise über diese Strukturen zu erbringen. Denn selbst wenn es gelingt, ihre Tätigkeit trotz der herausfordernden Bedingungen vor Ort zu dokumentieren, ist die Gefahr, dass Zulieferer nicht mehr an deutsche und europäische Unternehmen liefern, sehr groß. Zu hoch ist der bürokratische Aufwand und die Vorgaben an ihre Anbau- und Produktionsabläufe. Das bekommen auch unsere Mitgliedsunternehmen in Lieferantengesprächen seit einiger Zeit klar vor Augen geführt: Mit jeder neuen Anforderung, egal aus welchem Bereich, verliert der Wirtschaftsstandort EU als Handelspartner an Attraktivität.

Flexible Lösungen und weniger Bürokratie für Zulieferer

Wir beobachten: Das LkSG führt vielleicht langfristig zu einem Umdenken, aber aktuell bewirkt es an vielen Stellen leider das Gegenteil. Sinnvoll wäre etwa, wenn Unternehmen ihre komplexen Lieferketten nur bis zu einem bestimmten, vertretbaren Grad dokumentieren müssten und diese unter Auflagen aufrechterhalten könnten. Der Maßstab könnte auch hier die Unternehmensgröße sein – also ähnlich zum Geltungsbereich der Nachhaltigkeitsgesetze. Auflagen könnten beispielsweise regelmäßige Besuche vor Ort sein.

Entscheidend bei der noch laufenden politischen Debatte wird sein, dass das LkSG künftig so umgesetzt werden darf, dass es auch Bedingungen, wie sie in unserer Branche vorherrschen, berücksichtigt und den nachhaltigen Handel mit Tee (und anderen Gütern aus fernen Ländern) fördert und nicht behindert. Dafür sind flexible Lösungen und eine enge Zusammenarbeit bei deren Ausarbeitung zwischen allen Akteuren notwendig. Nur so kann es auch künftig weiter qualitativ hochwertigen Tee und gleichzeitig bessere soziale und ökologische Standards in den Ursprungsländern geben.

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