Die EU hat sich vorgenommen, Wahlen und freie Meinungsbildung im digitalen
Raum zu stärken. Bis 2024 die nächsten Wahlen zum EU-Parlament anstehen, plant
die Europäische Kommission unter anderem Maßnahmen für einen besseren Umgang
mit Desinformation und für Transparenz bei politischer Onlinewerbung. Bisherigen Versuchen fehlte es an Durchsetzungsmechanismen
und klaren Definitionen. Beide Schwachstellen muss
die Kommission angehen: Zum einen darf der Umgang mit Desinformation nicht
allein von den Richtlinien und freiwilligen Maßnahmen großer digitaler Plattformen
abhängig sein. Zum anderen braucht es eine klare Definition von politischer Onlinewerbung,
um diese überhaupt regulieren zu können.
Eine To-do-Liste zur Stärkung der Demokratie
Ihr Arbeitsprogramm hat die Kommission im „Aktionsplan für Demokratie“ (European Democracy Action Plan, EDAP) zusammengefasst. Er wurde in der vergangenen Woche vorgestellt und ist eher eine Art „To-do-Liste“ für die Kommission: Der EDAP ist reich an Ankündigungen für die Jahre 2021 bis 2023, kurzfristigere Vorhaben sind nicht enthalten.
Die Problemanalyse, die die Kommission ihren Ideen voranstellt, zeugt von einem tiefen Verständnis der Materie und einem ausgewogenen Blick. Digitale Technologien und Plattformen werden nicht generell verteufelt, sondern ihr Wert für pluralistische Debatten hervorgehoben. Gleichzeitig lässt die Kommission keinen Zweifel daran, dass digitale Technologien auch Risiken bergen, die noch nicht gut genug adressiert sind.
Ein neuer, alter Verhaltenskodex gegen Desinformation
Zu den Risiken gehört auch die schnelle, gezielte Verbreitung von Desinformationen: Eine Handvoll großer Konzerne hat massenhaft persönliche Verhaltensdaten zu Millionen Bürger:innen, die eine algorithmische, personalisierte Ausspielung von eben jenen Inhalten ermöglichen, die Menschen besonders reizen – das kann auch Desinformation sein. Vor der Europawahl 2019 befasste sich die EU verstärkt mit dem Thema: Sie zimmerte in kurzer Zeit mit großen Digitalplattformen wie Facebook und Google einen „Verhaltenskodex gegen Desinformation“ zusammen, um mögliche negative Auswirkungen auf die freie Meinungsbildung abzuwenden.
Dieser freiwillige Verhaltenskodex soll durch den EDAP eine Überarbeitung erhalten. Das ist auch dringend nötig, denn der Kodex hat sich bisher kaum bewährt. Der EDAP unterscheidet zwischen verschiedenen Arten von Desinformation und spricht erstmals von Sanktionen im Zusammenhang mit Desinformation. Das sind positive Entwicklungen. Allerdings beziehen sich diese Sanktionen hauptsächlich auf ausländische Verbreiter:innen von Desinformation: Sie sollen gegen Staaten verhängt werden, wenn diese Einflusskampagnen nutzen. Dass Desinformation hauptsächlich von inländischen Akteuren stammt, findet dabei zu wenig Erwähnung.
Zudem gilt es, nicht allein Urheber:innen von Desinformation zu sanktionieren, sondern auch die genutzten Verbreitungsmaschinen, also soziale Netzwerke, Apps und Suchmaschinen. Hier verweist der EDAP auf den Digital Services Act (DSA), der nächste Woche vorgestellt werden soll. Der DSA soll große Plattformen dazu verpflichten, die Risiken ihrer Systeme zu bewerten und anzugehen – beispielsweise im Kontext von Desinformation zu Gesundheitsthemen. Viel wird davon abhängen, wie gut und stringent die unabhängige Überwachung dieses Risikomanagementansatzes ist und welche Folgen Plattformen bei Nichteinhaltung drohen. Dazu gab es keine Vorgaben im Verhaltenskodex und auch der EDAP schweigt sich dazu noch aus.
EU sollte Transparenzregeln für jegliche Onlinewerbung einführen
Mit dem Ziel, die
„Integrität von Wahlen“ zu schützen, plant die EU für das kommende
Jahr auch eine Gesetzesinitiative zum Thema politische Werbung. Sie soll mehr
Transparenz für bezahlte politische Inhalte im Netz schaffen. Transparenz
ist eine wichtige Grundlage, um (partei)politische Kommunikation öffentlich
analysieren und kritisieren zu können: Wahlplakate von Parteien sind nicht nur an mich persönlich (und eine
kleine Gruppe Menschen, die ein ähnliches Onlineverhalten aufweisen wie ich)
gerichtet, sondern an alle Nachbar:innen in der Gegend. Medien können die Anzeigen kritisch beleuchten. Bei gezielter, auf homogene Gruppen
zugeschnittener politischer Werbung in sozialen Netzwerken ist das nicht
möglich.
Aber was gilt überhaupt als politische Werbung? Bislang gibt es nur völlig unklare Definitionsversuche im Verhaltenskodex, die für zukünftige Regulierung unnütz sind. Die Kommission plant daher, festzulegen, welche Akteure und Inhalte unter Transparenzregeln für politische Werbung fallen sollen. Dies dürfte in den kommenden Monaten noch zu kontroversen Debatten führen. Denn die Abgrenzung von politischer und nicht-politischer Werbung ist nicht immer eindeutig und hängt von Land, Sprache und Kontext ab. Deshalb sollte die EU grundlegende Transparenzanforderungen für jegliche Onlinewerbung, egal ob politisch oder nicht, gesetzlich verankern. Dazu gehören verpflichtende, verbesserte Werbedatenbanken, Kennzeichnungspflichten für bezahlte Inhalte und klare Verifizierungsmechanismen für Werbetreibende.
Für weiterführende Regeln, etwa zu finanziellen Rechenschaftspflichten oder möglichen Einschränkungen bezahlter Kommunikation, bietet sich ein akteursbezogener Ansatz an: Es sollte etwas einfacher sein, eine Gruppe an politischen Werbetreibenden zu definieren, als eine EU-weite Liste vermeintlich „politischer Themen“. Für Parteien und andere politische Akteure gibt es in der EU-Gesetzgebung bereits Definitionen, die angepasst werden könnten.
Julian Jaursch ist Projektleiter bei der Stiftung Neue Verantwortung und zuständig für Plattformregulierung und Umgang mit Desinformation. Kürzlich veröffentlichte er ein Papier zu den Definitionsfragen politischer Onlinewerbung. Heute Nachmittag führt er mit Heidi Tworek ein öffentliches Hintergrundgespräch zum Thema Desinformation.