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Standpunkte Die Bundestagswahl ist schlecht geschützt

Alexandra Wuttig, Professorin und Kanzlerin der IU Internationalen Hochschule
Alexandra Wuttig, Professorin und Kanzlerin der IU Internationalen Hochschule Foto: Foto: IU Internationale Hochschule

Beeinflussungen in sozialen Medien sorgten für die Annullierung der rumänischen Präsidentschaftswahl. Könnte so etwas auch bei der Bundestagswahl passieren? Die Lehren aus Rumänien zeigen, dass Deutschland nicht gerüstet ist, schreibt Professorin Alexandra Wuttig von der IU Internationalen Hochschule im Standpunkt.

von Alexandra Wuttig

veröffentlicht am 04.02.2025

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Gewählt mit Unterstützung auf Tiktok, gesponsert von Russland, gestoppt vom Verfassungsgericht: Die rumänische Präsidentschaftswahl machte Ende vergangenen Jahres internationale Schlagzeilen, die EU-Kommission hat eine Untersuchung gegen Tiktok eingeleitet. Vor dem Wahlkampf-Endspurt stellt sich die Frage: Wie wäre Deutschland gewappnet, wenn es bei der Bundestags-Neuwahl im Februar eine vergleichbare Manipulationskampagne geben sollte?

Zur Erinnerung: In Rumänien gewann mit Calin Georgescu ein rechter Kandidat, der in Umfragen weit zurücklag und behauptet, kein Geld für seinen Wahlkampf ausgegeben zu haben. Doch tausende inaktiver Tiktok-Accounts erwachten kurz vor der Wahl zum Leben und fingen an, massenhaft Georgescus Inhalte zu verbreiten – beim rechten Überraschungssieg kann nicht alles mit rechten Dingen zugegangen sein. Das rumänische Verfassungsgericht annullierte die Wahl mit Verweis auf einen „aggressiven russischen hybriden Angriff".

Nicht nur, weil das Gericht nach dem Vorbild des deutschen Bundesverfassungsgerichts aufgebaut wurde, drängt sich die Frage nach den Lehren für Deutschland auf. Sondern vor allem, weil die Defizite auch hierzulande erheblich sind.

Desinformation ist rechtlich ein Neuland-Thema

So selbstverständlich das Bestreben ist, Manipulationen von Wahlen unterbinden zu wollen, so kompliziert ist die faktische und rechtliche Grundlage, auf der dies in Rumänien geschehen ist. Die Untersuchungen der Details laufen noch immer. Sie brauchen wie jede sorgfältige Ermittlung Zeit. Zunächst hatte das rumänische Verfassungsgericht nur eine Nachzählung der Stimmen angeordnet, erst kurz vor der geplanten Stichwahl folgte die Komplett-Annullierung. Diese Entscheidung stützte das Gericht vor allem auf Geheimdienstinformationen. Das ist rechtsstaatlich heikel.

Nächstes Problem: Es gibt keine etablierten Vorschriften, ab wann eine Wahl wegen Desinformationskampagnen ungültig ist. Für die Begründung griff das Gericht auf Verstöße gegen die allgemeinen Verfassungsgrundsätze Demokratie und Souveränität zurück. Eine weitgehende Auslegung, die Befürworter mutig und Kritiker willkürlich nennen. Der rumänische Staat habe „die Demokratie mit Füßen getreten“, beklagte sogar die liberale Kandidatin Elena Lasconi, die als Zweitplatzierte der ersten Wahlrunde in der Stichwahl gegen Georgescu angetreten wäre.

Dieses Dilemma nutzt vor allem Manipulateuren. Mangel an Zeit und präzisen rechtlichen Vorschriften führen dazu, dass offensichtliche Manipulationen mit improvisierten Notwehrmaßnahmen gestoppt werden müssen. Das wiederum gibt den Profiteuren der Manipulation die Möglichkeit, die Verteidigung der Demokratie als undemokratische Willkür darzustellen, die ihrerseits manipulativ sei. Wer das verhindern will, muss schon im Vorfeld von Wahlen ein Regelwerk festlegen, das den Spagat zwischen schneller Handhabe und rechtsstaatlichen Anforderungen schafft.

Die rumänische Lücke besteht auch im deutschen Recht

Für die Wahlprüfung ist in Deutschland der Bundestag zuständig, Widersprüche verhandelt das Bundesverfassungsgericht. Was dabei geprüft werden muss, steht im Bundeswahlgesetz und der Bundeswahlordnung. Diese jedoch enthalten keinerlei Regelungen, welche Konsequenzen Desinformationskampagnen haben, und auch keinerlei Definitionen, welche Voraussetzungen überhaupt erfüllt sein müssen, damit eine Desinformationskampagne vorliegt. Wo hört Wahlwerbung auf, wo fängt Manipulation an? Das Bundeswahlgesetz legt in § 32 nur fest, dass im Wahllokal sowie dem unmittelbaren Umfeld des Gebäudes „jede Beeinflussung der Wähler durch Wort, Ton, Schrift oder Bild sowie jede Unterschriftensammlung verboten“ ist. Das ist räumlich und zeitlich auf den Wahltag und den Wahlort beschränkt – und stammt aus einer Zeit, als KI-unterstützte Social-Media-Kampagnen noch jenseits der Vorstellungskraft lagen.

Andere Regelungen könnten bei derartigen Kampagnen zwar greifen, aber nicht die Manipulation beseitigen. So könnten verschleiert gesponserte Manipulationskampagnen Verstöße gegen das Parteienfinanzierungsgesetz darstellen. Dann müsste jedoch eine Mitwirkung der Partei, die davon profitiert, nachweisbar sein. Konsequenz wäre eine Strafzahlung an die Bundestagsverwaltung, nicht die Ungültigkeit der Wahl.

Ähnlich verhält es sich mit den europarechtlichen Vorschriften des Digital Services Acts (DSA), nach denen jetzt die EU-Kommission die Vorgänge bei der rumänischen Präsidentschaftswahl untersucht. Der DSA verpflichtet Anbieter sehr großer Online-Plattformen und -Suchmaschinen, Risikobewertungen vorzunehmen. Diese müssen „alle tatsächlichen oder absehbaren nachteiligen Auswirkungen auf die gesellschaftliche Debatte und auf Wahlprozesse und die öffentliche Sicherheit“ abdecken. Doch diese Vorschriften dienen der Einhegung der Digitalkonzerne. Bei Verstößen ist die Konsequenz, dass Konzerne Strafen zahlen müssennicht, dass manipulierte Wahlergebnisse aufgehoben werden können.

Kommt es bei Bundestagswahlen zu Manipulationen durch Desinformationskampagnen, bliebe auch dem Bundesverfassungsgericht letztlich nur, auf allgemeine Wahlgrundsätze zurückzugreifen. Das Grundgesetz legt in Artikel 38 Absatz 1 fest, dass die Abgeordneten zum Deutschen Bundestag in „allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl“ gewählt werden. Denkbar wäre beispielsweise, Manipulationskampagnen als Verstoß gegen die Freiheit der Wahl oder die Chancengleichheit einzustufen. Ebenso wie ihre rumänischen Kolleg:innen würden die Richter:innen am Bundesverfassungsgericht damit jedoch Neuland betreten.

Ein sehr ähnliches Szenario wie bei der rumänischen Präsidentschaftswahl wäre damit auch bei Bundestagswahlen möglich. Was also können wir aus dem Beispiel lernen?

Juristische Mechanismen präzisieren und stärken: Ohne präzise Vorkehrungen ist ein Rechtsstaat anfällig für Wahlmanipulationen und angreifbar, wenn er gegen sie vorgeht. Auch in Deutschland müssen wir festlegen: Welche rechtlichen Schutzmechanismen soll es geben, um Wahlmanipulationen durch Desinformation zu verhindern beziehungsweise beseitigen zu können? Wo sind die Grenzen des Erlaubten, wie können sie schnell, wirksam und rechtsstaatlich überprüft und durchgesetzt werden? Die Leerstellen können nicht bis zur vorgezogenen Neuwahl im Februar geschlossen werden, sollten aber danach unbedingt diskutiert und angegangen werden.

Resilienz braucht Medienkompetenz: Zahlreiche Menschen in Rumänien haben Inhalte aus sozialen Medien unkritisch aufgesogen. Deren Macht ist enorm: Sie bieten enorme Reichweiten, die besonders von Populisten geschickt genutzt werden, um ihre Botschaften zu verbreiten. Emotionale Sprache, einfache Feindbilder manipulative Inhalte – in großer Zahl und schneller Folge. Mit rechtlichen und technischen Maßnahmen allein lässt sich Resilienz gegen Desinformation nicht herstellen. Sie braucht ein aufgeklärtes, informiertes Publikum: Demokratie lebt von mündigen Bürgerinnen und Bürgern, die in der Lage sind, kritisch zu denken.

In einer Studie der IU nennen knapp 60 Prozent der jungen Menschen bis 25 Jahre soziale Medien als hauptsächlich genutzte Quelle für politische Informationen. Ein Drittel der „Gen Z“-Befragten gibt zudem an, schon einmal KI-Bots wie ChatGPT für politische Informationen genutzt zu haben. Das ist deutlich mehr als der Durchschnitt aller Deutschen zwischen 16 und 65 Jahren, doch auch der liegt bereits bei rund 20 Prozent. Diese Zahlen dürften ebenso rasant steigen wie die Menge KI-generierter Inhalte in sozialen Medien.

Social Media nicht den Populisten überlassen: Nicht zuletzt resultiert die Stärke populistischer Parteien in sozialen Medien auch auf der Schwäche demokratischer Kräfte. Sie müssen diese Plattformen ebenso aktiv nutzen und lernen, überzeugenden Content zu entwickeln. Gewinnende Botschaften, die informativ sind und auch emotional ansprechen.

Das Beispiel Rumänien ist ein Weckruf. Auch in Deutschland könnten wir eines Tages feststellen, dass uns die Demokratie durch die Finger gleitet – nicht durch einen Putsch, sondern durch Manipulation und Untätigkeit. Demokratie ist zerbrechlich. Nach den Erfahrungen der Weimarer Republik und des Nationalsozialismus wurde die „wehrhafte Demokratie“ zum Leitbild des Grundgesetzes. Es ist Zeit, sie auch digital wehrhaft zu machen.

Professorin Alexandra Wuttig ist Juristin und Kanzlerin der IU Internationalen Hochschule. Die gebürtige Rumänin ist Professorin für Entrepreneurship, Innovation und Recht. Vor ihrer akademischen Laufbahn arbeitete sie für führende internationale Anwaltskanzleien und Wirtschaftsberatungsgesellschaften.

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