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Digitalisierung & KI

Standpunkte Memetic Warfare – sind wir bereit für dieses Schlachtfeld?

Mateusz Łabuz, Experte für Desinformation und digitale Medien vom Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg
Mateusz Łabuz, Experte für Desinformation und digitale Medien vom Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg Foto: privat

Kamala Harris spricht auf einem kommunistischen Parteitag, Narendra Modi singt Jugendhits: Kriegspropaganda nutzt zunehmend Memes in den sozialen Medien. Memes sind zentraler, aber oft übersehener Bestandteil von Beeinflussungskampagnen, schreibt Mateusz Łabuz, Experte für Desinformation und digitale Medien von der Universität Hamburg im Standpunkt.

von Mateusz Łabuz

veröffentlicht am 29.01.2025

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In den vergangenen Jahren haben Memes – prägnante, oft humorvolle Online-Bilder oder -Videos – eine Transformation von einfachen Unterhaltungsinstrumenten zu mächtigen Überzeugungsinstrumenten durchgemacht. Der Begriff „Memes“ wurde in den 1970er Jahren vom Evolutionsbiologen Richard Dawkins geprägt, der sie als Einheiten kultureller Ideenübertragung definierte. Aber heute geht es nicht mehr nur um bloße Übertragung: Memes können dazu beitragen, die öffentliche Meinung zu formen, Gesellschaften zu polarisieren, politische Propaganda zu stärken und Wahlergebnisse zu beeinflussen: Willkommen im Zeitalter der „Memetic Warfare“.

Meme-Kriegsführung als Strategie

Memetic Warfare ist ein Element kognitiver Beeinflussungsaktivitäten beziehungsweise psychologischer Kriegsführung und bezeichnet die absichtliche Erstellung und Verbreitung von Memes, um Überzeugungen und Handlungen eines Zielpublikums zu beeinflussen. Dies ist insbesondere in Kriegen und somit etwa für die Nato relevant, weil Memes den „Wettbewerb um Erzählungen, Ideen und soziale Kontrolle auf einem Social-Media-Schlachtfeld“ ermöglichen. Sie können „unabhängig oder in Verbindung mit Cyber-, Hybriden- oder konventionellen Methoden der Kriegsführung“ verwendet werden. Memes spielen zunehmend auch in russischen Desinformationskampagnen wie der „Doppelgänger-Kampagne“ eine zentrale Rolle. Laut Microsoft Threat Intelligence verwenden aber nicht nur Russland, sondern auch China oder Iran in vielen Fällen Memes in ihren Beeinflussungskampagnen.

Memetic Warfare wirkt durch kurze Botschaften, Symbole und Assoziationen auf den Informationsraum vernetzter Gesellschaften und erzeugt dort emotionale Resonanz bei den Rezipienten. Memes wirken dabei direkter und unmittelbarer als traditionelle Propaganda, die oft auf längeren Erzählungen („Narrative“) beruht. Diese Eigenschaften von Memes passen perfekt zur rasanten Dynamik der sozialen Medien, den sich verändernden Mechanismen der Massenkommunikation vom Text zu visuellen Medien und schließlich Kurzvideos auf Tiktok und Co. sowie der immer kürzer werdenden Aufmerksamkeitsspanne der Nutzerinnen und Nutzer. Algorithmen und zuletzt generative KI heizen Memetic Warfare weiter an, sodass dieser als eine der wichtigsten Desinformationsbedrohungen angesehen werden kann.

Memes sind relevanter als Deepfakes

Eine Erkenntnis ist, dass Desinformationsoperateure dabei keine ausgeklügelten Inhalte brauchen, die besonders authentisch wirken. Oftmals reichen einfache, minderwertige Inhalte, die einen bestimmten emotionalen Eindruck bei den Empfängern verankern oder Verwirrung stiften sollen. Kurzum: Desinformationsakteure brauchen keine hyperrealistischen Deepfakes wie etwa mit KI-Generatoren gefälschte Videoansprachen von US-Präsidenten, um eine wirksame kognitive Manipulation bei den Rezipienten zu erzeugen. Einfache Memes sind weitaus ökonomischer und effizienter. Effektive Memes brauchen keine komplexe KI für ihre Erstellung. Ein lustiger Rahmen und eine witzige Beschriftung reichen oft aus.

Dies hat auch eine strategische Dimension. Memes sind grundsätzlich nicht illegal und von der freien Meinungsäußerung gedeckt. Zudem ermöglichen sie es, die auf digitalen Plattformen eingeführten Sicherheitsvorkehrungen zur oftmals text-basiertenContent Moderation“ zu umgehen. Bisherige Inhaltemoderation zielt in der Regel auf irreführende oder offenkundig unwahre Inhalte ab, die versuchen, authentisch zu wirken, in Wirklichkeit aber manipulieren. Memes bleiben da oftmals außen vor.

Die Algorithmen der Social-Media-Plattformen sind zudem darauf ausgelegt, ansprechende Inhalte mit hohem Engagement“ zu priorisieren. Memes werden viel geteilt und erreichen oft ein weitaus größeres Publikum als traditionellere text- oder videobasierte Inhalte. Sie ermöglichen eine kollektive Mobilisierung und spielen häufig mit spaltenden Themen. Indem sie bestehende Spannungen ausnutzen, zielen sie darauf ab, gesellschaftliche Spaltungen zu vertiefen und den sozialen Zusammenhalt zu untergraben.

Die Macht von Memes

Die Macht der Memes liegt in ihrer Fähigkeit, komplexe Ideen in verdauliche, teilbare Formen zu destillieren. Ein einzelnes Bild oder ein kurzes Video, gepaart mit einer eingängigen Bildunterschrift, kann Vorurteile verstärken und kritisches Denken aushebeln. Memes verankern eine bestimmte Vision der Realität im Unterbewusstsein des Betrachters. Sie kreieren Assoziationsketten, die Entscheidungsprozesse der Rezipienten beeinflussen können. Aktuelle Studien über die Auswirkungen von KI auf das Desinformationsumfeld zeigen die Relevanz und das Überzeugungspotenzial von visuellen Darstellungen.

Die Leichtigkeit, mit der die Botschaft eines Memes abgerufen werden kann, macht es wahrscheinlicher, dass sie als wahr aufgefasst wird – insbesondere angesichts ihrer repetitiven und viralen Natur. Memes nutzen häufig Humor, Parodie und Satire, was sie für potenzielle Empfänger attraktiver macht und somit die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass sie geteilt werden. Durch den Einsatz von Humor umgehen sie die kritische Wachsamkeit des Publikums.

Natürlich nutzen Politiker und Politikerinnen auch völlig legitim Memes, um ihre eigene Attraktivität zu steigern oder bestimmte Ideen zu verbreiten. Die Darstellung von Joe Biden als handlungsunfähig oder Narendra Modi als humorvoller Gitarrist zeigt, wie Memes gezielt Assoziationen in verschiedenen Kontexten schaffen sollen. Auch Anhänger populistischer Parteien verwenden häufig Meme-Kreationen und beherrschen ihre Verstärkungsmechanismen perfekt. Der Fall „Wilhelm Kachel“, bei dem völkische Assoziationen verwendet wurden, um ein bestimmtes Weltbild zu fördern und die AfD zu begünstigen, ist nur die Spitze des Eisbergs. Extremistische und terroristische Gruppen verwenden ähnliche Muster, um ein junges Publikum anzusprechen, indem sie Humor und Popkultur-Referenzen nutzen, um radikale Ideologien zu normalisieren und neue Anhänger zu gewinnen.

Meme-Propaganda und Meme-Resilienz

Der Einsatz von Memes erleichtert zwar digitale Propaganda, ermöglicht aber auch zeitgleich deren Bekämpfung. Tine Munk von der Nottingham Trent University hat gerade ein Buch mit dem Titel „Memetic War. Online Resistance in Ukraine“ veröffentlicht. Darin analysiert sie, wie die Ukraine Memes als Element kognitiver Verteidigung gegen den russischen Informationskrieg nutzt. Humor war schon immer ein Mittel des Protests gegen autoritäre Regime: „Memes demoralisieren die russischen Streitkräfte und entlarven die Mängel ihrer Propagandastrategie, während sie mit Humor, Kreativität und digitalem Aktivismus Unwahrheiten entgegentreten, die Moral stärken und Erfolge hervorheben“, konstatiert Tine Munk. Zudem kann der spielerische Umgang mit Memes demokratische Beteiligung stärken und ein zusätzliches Gefühl der Zugehörigkeit verleihen.

Ukrainische Memes werden auch vom internationalen Umfeld aufgegriffen und stärken somit ukrainische Positionen, was wiederum mehr internationale Unterstützung generiert. Der Satz „Russian Warship, go f*ck yourself!“ wurde zu einem Symbol des Widerstands und wurde später vielfach abgewandelt, um den Kampfgeist der ukrainischen Gesellschaft auszudrücken. Bezogen auf die Ukraine stärken Memes die gesellschaftliche Widerstandsfähigkeit oder ihre soziale Resilienz.

Künftig mehr gezielter Einsatz von Memes?

Sollen Demokratien nun am „memetischen Wettrüsten“ teilnehmen und sie als aktive Maßnahmen einsetzen – nicht nur zur Selbstverteidigung, sondern auch zum Gegenangriff? Memetische Kriegsführung ist nicht trivial: Sie erfordert soziale Widerstandsfähigkeit und eine proaktive Gestaltung des Informationsraums. Das ukrainische Modell basiert auf einem „whole-of-a-society approach”. Sein Erfolg beruht auf langjähriger Erfahrung und der Umsetzung „einer Strategie, die Grassroots-Bewegungen, digitalen Aktivismus und innovative Methoden wie die erweiterte Nutzung von Online-Kommunikation und Memes integriert“, erläutert Tine Munk. Für starre Bürokratien ist das Modell nicht ohne weiteres rezipierbar.

Andere Nationen haben ebenfalls innovative Ansätze zur Bekämpfung von Memetic Warfare entwickelt. So nutzt beispielsweise Taiwan eine Strategie des „Humor over Rumour“ also Satire und Witze, um chinesische Desinformation zu bekämpfen. Indem sie auf Unwahrheiten mit humorvollen und teilbaren Inhalten reagieren, können die taiwanesischen Behörden Spannungen abbauen und die Viralität irreführender, chinesischer Narrative verringern.

Länder wie Deutschland, mit Aufholbedarf im Bereich strategischer Kommunikation, können von solchen Erfahrungen profitieren. Aus strategischer Sicht ähneln die Gegenstrategien den Prinzipien des „Guerilla Marketing“. Das erfordert jedoch Sinn für Humor und ein großes Gespür für aktuelle Trends – nicht gerade das Markenzeichen von ministeriellen Kommunikationsstabsstellen. Die grundsätzliche Idee ist, dass durch eine auferlegte spezifische Erzählung den Gegnern die Argumente aus der Hand genommen werden. Damit kann man ins Handeln kommen und Diskurse selbst setzen, statt wie bisher nur auf externe Desinformationsnarrative zu reagieren.

Memes nicht unterschätzen

Es ist wichtig, die wachsenden Herausforderungen anzuerkennen. Da die Tech-Giganten gerade ihre Regeln für Inhaltemoderation lockern – Metas jüngste Schritte sind in diesem Zusammenhang sehr beunruhigend – könnte es noch einfacher werden, Desinformation via Memes zu verbreiten. Ein übermäßiger Fokus auf hyperrealistische Inhalte wie Deepfakes könnte dazu führen, dass wir uns auf das falsche Problem konzentrieren.

Kognitive Manipulation findet auf vielen Ebenen statt. Wichtig ist, dass strategische Gegenkommunikation zur Bekämpfung von Desinformation proaktiv wird, also selbst Akzente setzt, etwa durch Memes. Vielleicht stellt sich heraus, dass es gar nicht so schlecht ist, „ein Meme zu werden“. Die Kandidatinnen und Kandidaten bei der kommenden Bundestagswahl sollten sich bereits jetzt ihre Meme-Nischen suchen, bevor externe Akteure dies tun. Doch die Grenzen zwischen Realität und Fälschung werden immer stärker verschwimmen, und das Betrachten dieser neuen Realität wird immer mehr kognitive Energie von uns verlangen.

Mateusz Łabuz ist Experte für Desinformation und digitale Medien vom Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg. Zuvor war er als Berufsdiplomat im polnischen Außenministerium und als Dozent für Cybersicherheit an der Universität der Nationalen Bildungskommission in Krakau tätig.

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