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Standpunkte Ausweise versus Marktwirtschaft?

Roland Appel, Unternehmensberater
Roland Appel, Unternehmensberater

Heute wird im Bundesrat ein Gesetz beraten, das die Sicherheit von Ausweisen und Pässen erhöhen soll. Die private Biometriebranche läuft dagegen Sturm, weil es festschreibt, dass nur noch die staatliche Bundesdruckerei Fotoautomaten in den Amtsstuben aufstellen soll. Das sei ein praktisches Berufsverbot für die Privaten, kritisiert Unternehmensberater Roland Appel.

von Roland Appel

veröffentlicht am 18.09.2020

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Was hat ein Gesetz zur „Stärkung der Sicherheit im Pass-, Ausweis- und ausländerrechtlichen Dokumentenwesen“ mit Marktwirtschaft zu tun? Mit diesem Gesetz sollte eigentlich das löbliche Ziel der technischen Sicherheit vor Verfälschung biometrischer Fotos durch „Morphing“ erreicht werden. Morphing bedeutet, dass bei ähnlichen Gesichtszügen die biometrischen Merkmale der Person A dem Foto der Person B untergeschoben werden, um Ausweise zu fälschen. Der technische Aufwand ist erheblich, bedarf umfangreicher Kenntnisse und technischer Möglichkeiten.

Der sicherste Weg, dieses Risiko auszuschließen, wäre die Bildaufnahme vor Ort im Amt. So sah es der Referentenentwurf von Horst Seehofer im Dezember 2019 vor. Die Biometriebranche – eine Reihe kleiner und mittlerer technisch hoch spezialisierter Unternehmen – erfüllt diese Anforderungen seit Jahren, hat die Sicherheit seit 2007 innovativ weiterentwickelt, indem das Bild vom Aufnahmegerät vor Ort direkt auf den Server der Kommune übertragen wird. 

Biometriefotos sicher durch Digitalisierung   

Es sind jährlich etwa acht bis zehn Millionen biometrische Fotos, die bisher von Fotografen und mehreren tausend Fotoautomaten bundesweit aufgenommen und in rund zehntausend  Bürgerämtern, Führerscheinstellen und Ausländerämtern zu Ausweisen verarbeitet werden. Zwei Drittel werden von Fotografen und Fotostudios extern auf Papier gefertigt, ein Drittel wird in etwa tausend Amtsstuben durch Fotoautomaten erstellt. Diese Geräte werden von kleinen und mittleren privaten Unternehmen – den Biometriedienstleistern – zur Verfügung gestellt. Die Kommunen sind am Erlös der Fotos, die zwischen sechs und acht Euro kosten, mit bis zu 50 Prozent beteiligt. Die Fotos werden fälschungssicher und digital per Kabel auf den Server der Kommune übertragen und erfüllen schon lange die Ziele des Gesetzentwurfs. 

Das ist im Falle der externen Fotostudios und Fotografen anders. Von dort könnte, kriminelle Energie im Einzelfall vorausgesetzt, ein durch Morphing erzeugtes Biometriefoto auf den Weg in die im Gesetz vorgesehene Cloud gebracht werden, über die Fotografen künftig Biometriefotos an die Kommunen liefern sollen. Ursprünglich wollte Horst Seehofer das ausschließen. Sein Entwurf traf im Dezember 2019 auf massiven Widerstand der Fotografen. Sie wurden im aktuellen Entwurf beschwichtigt, indem ihnen eine Cloud-Lösung per zertifizierter Datenübertragung zugestanden wurde. Freilich führt diese Lösung das Sicherheitsargument ad absurdum. Denn Verfälschungen und Hackerangriffe sind bei einer datenschutzrechtlich nicht definierten Cloud niemals gänzlich auszuschließen. 

Sachfremder Wettbewerbseingriff

Gleichzeitig hat die Überarbeitung den Biometriedienstleistern eine vergiftete Überraschung bereitet: Nach Artikel 1 des Gesetzes bestimmt „der Innenminister...den Lieferanten von Geräten für die Aufnahme und elektronischen Erfassung von Lichtbildern ...“ und der heißt nun Bundesdruckerei GmbH. Per Gesetz sollen innovative Mittelständler in allen Kommunen einem Staatskonzern weichen. Damit greift der Gesetzentwurf nicht nur in das Grundrecht auf Gewerbefreiheit der Unternehmen ein, er verletzt auch verfassungsrechtlich empfindlich die Entscheidungs- und Finanzhoheit der Kommunen. Das käme zudem einer kalten, entschädigungslosen Enteignung einer ganzen Branche gleich. Kommunen verlören die Entscheidungsmöglichkeit über den Anbieter und die bisherigen Einnahmen für Fotoautomaten würden entfallen. 

Warum soll gerade die Bundesdruckerei GmbH allein das Recht erhalten, solche Fotos in den Kommunen zu fertigen? Das ist kaum verständlich, sind doch die Fotoautomaten und Terminals der privaten Biometriedienstleister weder physisch noch elektronisch angreifbar und sie bieten den Kommunen bundesweit kostenlosen Service innerhalb von 24 Stunden. Die Herstellung und Verteilung neuer Aufnahmegeräte der Bundesdruckerei dagegen soll die Steuerzahler satte 171 Millionen Euro kosten plus jährliche Wartungskosten – aus dem Bundeshaushalt. Als „besondere Kompetenz“ der Bundesdruckerei führt die Begründung des Gesetzentwurfs deren „langjährige Erfahrung“ in der Passproduktion an. Nun wurde das Unternehmen zwar am 6. Juli 1879 als „Reichsdruckerei“ gegründet, um für Kaiser Wilhelm Geld und Dokumente zu drucken, ob dies jedoch als Nachweis digitaler Kompetenz gelten kann, ist zu bezweifeln. 

Da scheint eher plausibel, dass das 1994 privatisierte und von „Heuschrecken“ um über 300 Millionen Euro erleichterte Staatsunternehmen künstlich gepäppelt werden soll. In den übrigen Staaten der EU geht der Trend genau umgekehrt: In Frankreich und Schweden stehen schon lange private Anbieter in den Bürgerämtern, die Schweiz hat schon 2010 die Passproduktion für zertifizerte, private Unternehmen ausgeschrieben. Schweizer, die in Deutschland leben, müssen alle Ausweisfotos im Konsulat oder der Botschaft machen.  

Private Anbieter technisch überlegen

Für Kenner der Branche hinkt die Bundesdruckerei GmbH technisch seit Jahren hinterher. 2006 stellte das Bonner Unternehmen Vending Concept die erste sichere elektronische Integration digitaler Fotos auf der CEBIT mit Innenminister Wolfgang Schäuble vor. Die Wettbewerber zogen nach, 2009 folgte das „Small Business“ für kleine Bürgerämter der findigen Bonner, 2011 kam die Firma Speed Biometrics aus Ratingen mit einem Multifunktionterminal auf den Markt. Die Bundesdruckerei zeigte gegenüber den innovativen Unternehmern keinerlei Interesse am Geschäft mit den Biometriefotos oder einer Kooperation. Erst 2014 schaffte es der Staatsbetrieb, sein eigenes Bildaufnahmegerät zur Marktreife zu bringen, das seitdem eher ein Nischendasein fristet. In Hamburg erlangte es im Sommer 2020 traurige Popularität, weil es damit nicht gelang, das Biometriebild einer dunkelhäutigen Frau zu erstellen – von der Presse genüsslich ausgeschlachtet als „rassistischer Fotoautomat“ (taz).

Nichts als fairen Wettbewerb gefordert

Die Biometriedienstleister fordern von der Politik nicht mehr und nicht weniger als fairen Wettbewerb. Definierte Schnittstellen und Standards für alle Anbieter, statt Privilegierung eines Staatsunternehmens per Ordre de Mufti Seehofer. Die Privaten bekämen durch den aktuellen Gesetzentwurf, würde er so verabschiedet, praktisch Berufsverbot und die Gemeinden verlören viel Geld. Das Gesetz liefe außerdem den Grundsätzen zuwider, die der neue IT-Stratege der Bundesregierung, Bundes-CIO Markus Richter, vor wenigen Tagen vorgelegt hat. Er betont, er wolle „Herstellerunabhängigkeit durch Modularität und Standardisierung, insbesondere auch Open Source Software sicherstellen“ so Punkt acht seiner Neun-Punkte-IT-Strategie. Richter ist immerhin Staatssekretär im Bundesinneministerium und Chef genau der Abteilung, aus der der Gesetzentwurf stammt – allerdings vor seinem Amtsantritt. Weiß da vielleicht die eine Hand nicht, was die andere ins Gesetz schreibt? Die Biometriedienstleister hoffen nun auf selbstbewusste Parlamentarier aller Parteien, suchen Unterstützung bei Oppositions- und Regierungsfraktionen. Zu hoffen bleibt, dass sich letztlich die Vernunft durchsetzt.

Roland Appel ist als Unternehmensberater, Publizist und externer Datenschutzbeauftragter für verschiedene mittelständische Unternehmen tätig. Zu seinen Kunden gehören unter anderem Firmen aus der Biometriebranche. Appel studierte Politikwissenschaft und Jura und begann seine politische Laufbahn bei den Jungdemokraten und der FDP, trat später den Grünen bei und arbeitete als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bundestag. Er war von 1990-2000 Landtagsabgeordneter in NRW und Fraktionsvorsitzender der Grünen.

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