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Standpunkte Danke, Trump

Rafael Laguna de la Vera
Rafael Laguna de la Vera
Thomas Ramge
Thomas Ramge
Rafael Laguna de la Vera, Direktor der Bundesagentur für Sprunginnovationen und Thomas Ramge, Sachbuchautor und Podcast-Host Foto: Sprind, Sprind

Trumps erratische Politik ist ein Geschenk an Europa. Danke für den Schocker. Der hilft bei der Selbstfindung. Ein Standpunkt von Rafael Laguna de La Vera und Sachbuchautor Thomas Ramge.

von Rafael Laguna de la Vera & Thomas Ramge

veröffentlicht am 22.05.2025

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Treffen sich Trump, Putin und Xi zum Abendessen. Was gibt es zum Nachtisch? Richtig, Europa.

Nur langsam wird uns bewusst, wie schlecht unsere geopolitische Lage im Zeitalter des russischen Neokriegsimperialismus und chinesischer Weltmachtambitionen im Allgemeinen und chinesischer Invasionspläne in Taiwan im Speziellen ist. Unter US-Präsident Joe Biden konnten wir uns an die Hoffnung klammern, dass zumindest die NATO unsere physische Sicherheit garantiert, auch wenn wir Europäer vielleicht etwas mehr dafür tun müssten. Seit Januar schauen wir nun fassungslos auf jede neue Volte der amerikanischen Handels-, Außen- und Sicherheitspolitik. Die regelbasierte Weltordnung mit den USA als Garant und Europa als Nutznießer und Vasall der (halbwegs) geordneten Globalisierung ist Geschichte. In welchem Fall die USA ihre Beistandspflicht gemäß der NATO-Statuten erfüllen, kann niemand wissen. US-Tech-Oligarchen unterminieren nicht nur die Demokratie zuhause, sondern auch bei uns.

In Brüssel macht der Begriff „De-Risking“ gerade eine zweite Karriere. Bis letztes Jahr war damit gemeint, die wirtschaftliche Abhängigkeit von China zu reduzieren. Jetzt müssen wir lernen, die Risiken US-amerikanischer Politik einzuhegen. Das ist bitter, nicht nur für Transatlantiker mit Hang zu Nostalgie. Aber es ist vor allem auch eine Chance, europäische Lethargie und Sklerose endlich zu überwinden.

Vielleicht werden europäische Historiker in ein paar Jahrzehnten auf 2025 zurückblicken und Donald Trump dann zu Europas Mitarbeiter des Jahres erklären, mit der Begründung: Trump ließ Europa keine Wahl, als endlich das eigene Schicksal wieder in Hand zu nehmen. Wenn nicht jetzt, wann dann? Und warum tun wir oft so, als ob Europas schleichender Niedergang das einzige plausible Szenario ist?

Sieben Schritte für ein starkes Europa

Es gibt keine Zwangsläufigkeit des Abstiegs. Wir haben die Köpfe, das Kapital und die Strukturen, um Europa wieder zu einem Motor von Fortschritt und Wohlstand zu machen. Wir müssen uns doch nur auf unsere Stärken besinnen und diese zeitgemäß weiterentwickeln. Diese Schritte sind mindestens nötig. Und möglich:

  1. Unsere Kultur, unser Weltbild und unsere politische Ordnung sind tief verwurzelt im Humanismus. Unser alter Kontinent ist so divers wie kaum eine andere Weltregion. Wenn es jemandem schlecht geht, springen funktionierende soziale Sicherungssysteme an. Die rechtsstaatliche Ordnung in Europa ist stabil. Die Kriminalität ist vergleichsweise niedrig. Man fühlt sich gut hier. Dies im Duktus moralischer Überlegenheit in die Welt zu tragen, ist dumm. Aus ihnen Selbstbewusstsein zu schöpfen und sie als Wettbewerbsvorteile weltweit zu vermarkten ist smart, auch um die schlausten Köpfe der Welt nach Europa zu locken, für die bislang die USA der Leuchtturm waren. Frankreich testet mit seinen Programmen zur Anwerbung von Wissenschaftlern von US-Universitäten ein Methodenset hierfür aus. Europäische Staaten und EU sollten hier alsbald nachlegen.
  2. Wir waren viele Jahrhunderte der innovativste Kontinent der Welt. Das können wir heute leider nicht mehr von uns behaupten. Die Weichen für eine intelligentere Innovationspolitik wurden in Brüssel und in vielen EU-Ländern in die richtige Richtung gestellt. Die Chancen auf europäische Sprunginnovationen steigen, besonders in der Energie und in der Biomedizin. Zudem können wir dafür sorgen, dass neue Technologie möglichst vielen Menschen möglichst viel nützt und idealerweise keinem einzigen Menschen schadet. Das hört sich selbstverständlich an? Die US-Tech Bros schlagen gerade mit „Dark Maga“ einen anderen Weg zu ihrem kurzfristigen Vorteil ein. In Europa müssen wir Nerds mit Mission fördern, die Wohlfahrt und Wohlstand für alle schafft.
  3. In der Maslowschen Pyramide menschlicher Bedürfnisse gehört Sicherheit zur unteren Basis. Europäische Sicherheitspolitik hat das leider zu lange verdrängt und nicht einmal die Frühwarnsignale richtig gedeutet. Seit der Rückkehr von Trump ins Weiße Haus ist klar: Europa kann Sicherheit an niemanden delegieren. Schlagkräftige, gut kooperierende europäische Armeen sind auf mittlere Sicht der einzige Garant für ein freies, demokratisches und wohlhabendes Europa. Dazu gehört die Fähigkeit, innovative Waffensysteme selbst zu entwickeln und zu produzieren. Innovation ist die beste Verteidigung. Das wird ein Kraftakt, aber auch hier zeigt sich: Es tut sich was in Politik, klassischer Rüstungsindustrie und schnell wachsenden Defense-Start-ups wie Helsing.
  4. Wir reden seit Jahren und Jahrzehnten über die Einführung einer Kapitalmarktunion, einer europäischen Tech-Börse und einer einheitlichen europäischen Rechtsform für Unternehmen („Europe Inc.“). Ökonomen sind sich einig, dass dieses Europa einen großen wirtschaftlichen Schub geben werden und auch endlich das fußlahme Produktivitätswachstum auf Trab bringen. Warum wurden sie nicht politisch längst entschieden? Siehe oben. Wenn dies gelingt, werden wir europäische Stagnation bei der Wurzel packen und die toxische Mischung aus Unterinvestitionen und Überregulierung überwinden.
  5. Wenn Europa wieder führend werden möchte, muss es Führung neu lernen. Eine unserer größten kulturellen Schwächen in Gesellschaft, Wirtschaft und Politik ist die Unfähigkeit, Verantwortung zu übernehmen und Entscheidungen zu treffen und andere mitzureißen. Wir lähmen uns durch exzessive Konsenskultur, verharren in Analyse-Paralyse und stagnieren durch nahezu pathologische Risikoaversion. In Zeiten radikalen Wandels gehört zu den größten Risiken, keine Risiken einzugehen. Zum europäischen Unwesen unserer Zeit gehört, Risiken durch Mikromanagement minimieren zu wollen. Das ist die Formel für das Scheitern in vielen kleinen Schritten. Mut zum Risiko wiederum ist keine Leerformel. Es ist die Voraussetzung für Erfolg.
  6. Stellen wir uns vor: Europa findet in allen Domänen zu einer Form der Zusammenarbeit, die Innovationsforscher „Coopetition“ nennen. Damit gemeint ist eine intelligente Mischung aus Zusammenarbeit und fairem Wettbewerb, der charakteristisch für besonders innovative Technologiebranchen und Ökosysteme ist. Bei Sprind praktizieren wir flexible und teilweise erzwungene Kooperation unter Wettbewerbsbedingungen bei unseren Challenges. Wenn die besten Wissen teilen müssen und zugleich miteinander ringen, hebt Innovation ab. Das taugt zum Modell für Politik und Verwaltung, Wissenschaft und Bildung, Kultur und Sozialstaat.
  7. „Der ganz formale Wahnsinn“ regiert in unterschiedlicher Ausprägung in Berlin und Paris, Madrid und Rom, Warschau und Athen. Und natürlich in Brüssel. Wer hindert wen durch welche Regeln an der Entbürokratisierung, die doch Konsens ist? Wir werden auch die strukturellen und juristischen Antworten auf diese Frage auf allen Ebenen europäischer Politik und Verwaltung finden. In der Essenz verbindet sie: Überregulierung ist Ausdruck von Angst und Misstrauen, Angst vor der Zukunft und Misstrauen gegenüber Individuen in Verantwortung. Nur wenn wir als Kontinent Angst und Misstrauen als Default-Einstellung überwinden, werden wir wieder innovative Sprünge nach vorne schaffen. Die Grundregeln dabei müssen lauten: Vertraue Menschen und überprüfe die Ergebnisse. Beurteile Ergebnisse nicht Prozesse. Glaube nicht, es besser zu können oder zu wissen als jene, die es machen. Lasse Fehler zu und schaffe Mechanismen, die dazu zwingen, aus den Fehlern zu lernen. Letzteres gilt, als Quintessenz, übrigens auch für Zustand und Zukunft Europas.

Die Antwort auf Europas Herausforderungen lautet Europa. Die passende Vision hierfür müssen wir nicht neu erfinden: ein „Europa vereinigter Länder“. Eine radikal vertiefte Europäische Union hätte alle oben beschriebenen Schritte erfolgreich hinter sich gebracht. Wir wären ein selbstbewusster, optimistischer, in Vielfalt geeinter Kontinent mit mehr als 500 Millionen Bürgerinnen und Bürgern. Wir wären gewiss keine Nachspeise für Diktatoren, Autokraten und solche, die es werden wollen. Wir wären wieder wir selbst.

Rafael Laguna de la Vera ist Direktor der Bundesagentur für Sprunginnovationen. Thomas Ramge ist Sachbuchautor und Host des Podcast „SPRIND“.

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