Erweiterte Suche

Digitalisierung & KI

Standpunkte Der Bund muss Digitales und Nachhaltigkeit besser verzahnen

Gerhard Hammerschmid (Hertie School) und David Wichmann (Cassini Consulting)
Gerhard Hammerschmid (Hertie School) und David Wichmann (Cassini Consulting) Foto: Hertie School/Cassini Consulting

Der Bund muss die Potenziale der Digitalisierung für Nachhaltigkeitsbestrebungen noch besser verstehen und nutzen. Nur so kann die Verwaltung ihre Klimaziele erreichen, glauben Gerhard Hammerschmid von der Hertie School und David Wichmann von Cassini Consulting.

von Gerhard Hammerschmid und David Wichmann

veröffentlicht am 22.02.2023

Lernen Sie den Tagesspiegel Background kennen

Sie lesen einen kostenfreien Artikel vom Tagesspiegel Background. Testen Sie jetzt unser werktägliches Entscheider-Briefing und erhalten Sie exklusive und aktuelle Hintergrundinformationen für 30 Tage kostenfrei.

Jetzt kostenfrei testen
Sie sind bereits Background-Kunde? Hier einloggen

Digitalisierung und Nachhaltigkeit gemeinsam zu denken, ist die Herausforderung unserer Zeit. Es gilt, die Potenziale der Digitalisierung zur Förderung von Nachhaltigkeit einzusetzen. Die Bundesverwaltung als Taktgeber für Politik, Wirtschaft und Gesellschaft nimmt in der Bewältigung dieser Herausforderung eine Vorreiterrolle ein.

In unserer aktuellen Studie beleuchten wir die Frage, wie die Bundesverwaltung ihre Vorreiterrolle aktuell wahrnimmt und welche Anregungen der Blick ins Ausland liefern kann.

Bisher nur vereinzelte Initiativen

Erfahrungsberichte aus der Bundesverwaltung legen nahe, dass der Bund die Relevanz des Zusammenspiels von Nachhaltigkeitsvorhaben und Digitalisierung erkannt hat. Es besteht kein Mangel an rahmengebenden Dokumenten mit Digitalisierungs- und Nachhaltigkeitskomponenten. Und es gibt erste Vorhaben, die beide Themenbereiche miteinander verknüpfen.

Beispielsweise wurde mit der umweltpolitischen Digitalagenda des Bundesministeriums für Umwelt und Verbraucherschutz (BMUV) eine Grundlage geschaffen, um Digitalisierung und Nachhaltigkeit zu verbinden und mit Maßnahmen zu unterlegen. Einschränkend lässt sich leider nicht feststellen, dass die Maßnahmen konsequent verfolgt werden. Das Verteidigungsressort (BMVg) befindet sich wiederum in der Finalisierung einer Nachhaltigkeitsstrategie, welche mehrere Digitalisierungsaspekte umfasst.

Institutionell stellen sich die Ministerien darauf ein, Digitalisierung und Nachhaltigkeit zusammen zu bearbeiten. Das BMUV und das Digitalministerium (BMDV) schaffen dafür bereits Organisationsstrukturen und etablieren die Themenverknüpfung in Referatsneugründungen. So hat etwa das BMDV in dieser Legislatur ein Referat „Digitalisierung und Nachhaltigkeit“ gegründet. Dadurch werden die Themen zur Fachaufgabe und stärker in der Organisation verankert.

Darüber hinaus zeigen vereinzelte Bund-Länder-Initiativen großes Potenzial auf, wie die Plattform „Gemeinschaftswerk Nachhaltigkeit“. Ihre Umsetzung wurde 2019 dem Rat für nachhaltige Entwicklung (RNE) übertragen. Die Plattform bündelt Initiativen zentral und fördert den Austausch und die sektorübergreifende Vernetzung.

Keine Verknüpfung der Digitalisierungs- und Nachhaltigkeitsstrategien

Nichtsdestotrotz bestätigen Erfahrungsberichte und der Blick auf die rahmengebenden Dokumente, dass die politische Gestaltung von Digitalisierung und Nachhaltigkeit in den Ressorts noch hauptsächlich in Silos gedacht wird. Es fehlt im Bund an einer verknüpfenden und verbindlichen Strategie mit Zielen, Maßnahmen und Verantwortlichkeiten. Digitalstrategien und Nachhaltigkeitsstrategien sowie darunter liegende Vorhaben und Zusammenarbeitsmodelle stehen bislang nebeneinander. Eine solche Strategie könnte systematisch zu einer besseren Verzahnung der Themenfelder führen. Für eine konsequente Umsetzung bietet sich ein hoch angesiedeltes Mandat sowie ein transparentes Umsetzungscontrolling an.

Hier lässt sich von Großbritannien lernen: Das britische Verteidigungsministerium hat in seiner Strategie für nachhaltige digitale Technologien und Dienste (Sustainable Digital Technology and Services Strategic Approach) die beiden Themen integriert und mit Zielen und Verantwortlichkeiten hinterlegt. Erforderliche finanzielle und personelle Ressourcen wurden bereitgestellt. Das Controlling verantwortet der Chief Information Officer (CIO). Eine vergleichbare Strategie sucht man im Bund vergeblich.

Mehr ressortübergreifende Koordination etablieren

Digitalisierung und Nachhaltigkeit müssen ressortübergreifend koordiniert werden. Mit der Aufteilung der Themen Digitales und Klimaschutz auf die drei Ministerien BMUV, BMWK und BMDV ist es unabdingbar, dass ressortübergreifend zusammengearbeitet und kommuniziert wird. Aktuell fehlt in der Bundesverwaltung ein operativer interministerieller Arbeitsmodus mit etablierten Gremien und Abstimmungsmechanismen. Eine Herausforderung ist, dass Abstimmungsrunden zwischen den Ministerien nicht organisiert werden können, weil Stellen in den neu eingerichteten Referaten noch nicht besetzt oder beantragt sind.

Für den Themenkomplex könnte sich auch ein übergreifendes Programmmanagement anbieten. Wie das gehen kann, zeigt die aus dem BMUV heraus geleitete Projektgruppe Green IT. Diese arbeitet ressortübergreifend und vernetzt entsprechende Akteure in der Verwaltung themen- und anlassbezogen.

Ein Beispiel, wie es ebenfalls aussehen könnte, liefert hier nochmals der Blick nach Großbritannien. Mit dem Sustainable Technology Advice and Reporting Team (STAR-Team) wird in allen Regierungsstellen ein Bewusstsein für die Wichtigkeit der Erreichung der Klimaziele geschaffen. Das Team wird in allen Ressorts der britischen Regierung eingesetzt und unterstützt beim Verfassen von Gesetzen oder Richtlinien mit Fachwissen. Das STAR-Team sorgt dafür, dass Nachhaltigkeitsaspekte bei Digitalvorhaben von Anfang an Beachtung finden, und kontrolliert in der Umsetzung deren Einhaltung. Das führt zu einer übergreifenden Koordination und stärkt die Verfolgung der Klimaziele durch die britische Regierung.

Daten-Governance für Umweltdaten aufsetzen

Auch das Datenmanagement wird im Bund noch nicht ausreichend mitgedacht und organisiert. Die verstärkte Ermittlung und Nutzbarmachung relevanter Daten ist aber ein wesentlicher Erfolgsfaktor für die Erreichung der Klimaziele. Datenbasiertes, mess- und belegbares Handeln sind wesentlich, um zielgerichtete Umsetzungsmaßnahmen abzuleiten und Fortschritt mit einem effektiven Controlling zu bemessen. Der Aufbau der Datenlabore in den Bundesministerien ist ein wichtiger erster Schritt. Doch sollte bereits frühzeitig geklärt werden, wie die Datenlabore der Ressorts in diesem Themenfeld zusammenarbeiten. Hinzu kommt: Daten im Bereich von Umwelt und Nachhaltigkeit sind derzeit noch hoch fragmentiert, wenn sie überhaupt vorliegen. Das Umweltbundesamt (UBA) hat mit seiner Webseite umwelt.info einen Prototypen als erste Anlaufstelle für Umweltdaten geschaffen.

Etwas weiter ist man in Schottland: Mit der Open-Data-Initiative Scotland’s Environment Web and Maps wurde ein einheitliches Zugangstor für Umweltdaten geschaffen. In der Entwicklung wurden bereits früh Nutzungsanforderungen für die Datenvisualisierung erhoben. Die bereitgestellten Daten sind verlässlich durch bestehende Schnittstellen zu den Primärquellen der Daten. Das führt zu einer hohen Nutzungsquote der Plattform in Schottland sowohl in Wirtschaft und Gesellschaft als auch der Politik.

Mit dem Bewusstsein für das Potenzial sowie ihrer Vorbildfunktion für Wirtschaft und Gesellschaft ist die Bundesverwaltung in der Position, den Grundstein für eine digitale Nachhaltigkeitstransformation zu legen. Sie muss es nur tun.  

Gerhard Hammerschmid ist Professor of Public and Financial Management und seit 2019 Direktor des Centre for Digital Governance an der Hertie School. Seine Forschungsschwerpunkte liegen auf den Themen Verwaltungsmanagement und -reform, vergleichende Verwaltungsforschung und Verwaltungsdigitalisierung.

David Wichmann ist Business Lead im Public Sector bei Cassini Consulting. Sein Schwerpunkt liegt auf der Beratung von Bundesministerien bei strategisch-organisatorischen Themen und der Umsetzung von Digitalisierungsprojekten.

Lernen Sie den Tagesspiegel Background kennen

Sie lesen einen kostenfreien Artikel vom Tagesspiegel Background. Testen Sie jetzt unser werktägliches Entscheider-Briefing und erhalten Sie exklusive und aktuelle Hintergrundinformationen für 30 Tage kostenfrei.

Jetzt kostenfrei testen
Sie sind bereits Background-Kunde? Hier einloggen