Es zeichnet sich immer deutlicher ab, in welche Welten uns Innovationen rund um Künstliche Intelligenz und Digitalisierung führen werden. Die Hoffnungen, die damit verbunden sind, spiegeln die derzeitigen Investitionen: Technologieriesen wie Apple, Google, Microsoft oder Intel pumpen Milliardenbeträge in die Technologien der Zukunft – auch und gerade in Europa und Deutschland. Das Problem dabei: Sie treffen auf eine Infrastruktur, die noch nicht immer mithalten kann mit den Hoffnungen in die Technologien.
In Europa, insbesondere in Deutschland, besteht trotz aller messbarer Erfolge weiterhin Aufholbedarf beim Netzausbau. „Die jetzige digitale Infrastruktur ist nicht fit für die Zukunft“, erklärte EU-Digitalkommissar Thierry Breton kürzlich. Rund 200 Milliarden Euro werden bis 2030 benötigt, um ausreichend Glasfaser- und 5G-Netze über Europa auszurollen. Die EU will deshalb Konnektivität ganz oben auf die Prioritätenliste setzen.
Noch in diesem Frühjahr haben deutsche Politiker und Regulierer die Chance, für das Land entscheidende Weichen zu stellen – für schnellen Netzausbau und die Digitalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft. Der Beirat der Bundesnetzagentur, prominent besetzt mit Mitgliedern von Bundes- und Landespolitik, diskutiert mit der Behörde darüber, wie er sich die weitere Zuteilung wichtiger, tief in den Netzen der bundesweiten Betreiber verankerten Mobilfunkfrequenzen vorstellt. Bei der zunehmend öffentlich geführten Debatte darüber standen zuletzt allerdings vor allem Wettbewerbsaspekte im Vordergrund.
Der Wettbewerb funktioniert
Dabei ist längst mehrfach erwiesen: Der Wettbewerb im Mobilfunk ist nicht die Hürde, er funktioniert. In Deutschland haben die Diensteanbieter, also Mobilfunkanbieter ohne eigene Netzinfrastruktur, laut einer OECD-Erhebung so viel Marktanteil wie nirgends sonst in Europa. Deutsche Nutzerinnen und Nutzer telefonieren und surfen seit zehn Jahren immer günstiger, während die übrigen Verbraucherpreise steigen.
In kaum einem anderen EU-Land geben sie im Durchschnitt so wenig für den Mobilfunk aus. Keine elf Euro investierte ein durchschnittlicher deutscher Mobilfunkkunde im letzten Quartal 2023 pro Monat in die Mobilfunknutzung. Der EU-Durchschnitt lag Ende 2022 laut dem europäischen Branchenverband Etno bei 15 Euro, US-Anbieter erzielen gar ein Dreifaches je Nutzer. Die Menschen haben in Deutschland die Auswahl aus etwa 1000 Tarifmodellen von rund 50 verschiedenen Mobilfunkmarken – von A wie Aldi Talk oder Ay Yildiz über F wie Freenet bis O wie O2 oder W wie Win Sim.
Dass der Wettbewerb in Deutschland floriert, ist sogar wissenschaftlich belegt. In der jüngsten Studie zum Thema urteilen das Wissenschaftliche Institut für Infrastruktur und Kommunikationsdienste (WIK) sowie die Beratungsgesellschaft EY Ende Januar, „dass sowohl auf dem Endkunden- als auch auf dem Vorleistungsmarkt im Bereich des öffentlichen Mobilfunks wirksamer Wettbewerb herrscht und keine Anzeichen für eine zukünftige Verschlechterung der Wettbewerbsverhältnisse zulasten der Endkunden vorliegen.“ Obwohl die Studie den bestehenden Wettbewerb tendenziell sogar unterschätzt und einige der letzten Vertragsschlüsse unter den Anbietern noch gar nicht berücksichtigt, gibt es teils lautstarke Kritik – mit klaren ökonomischen Einzelinteressen dahinter. Diese Grabenkämpfe sind die falsche Debatte für unser Land.
Milliarden-Summen aus Auktionen wären besser in Netzausbau investiert
Wir sollten uns in Deutschland, wo die Wirtschaft mit schwachem Wachstum kämpft, besser mit der Frage befassen, wie wir die Zukunft des Mobilfunks so gestalten, dass er als Motor der Digitalisierung die Wettbewerbsfähigkeit vorantreibt. In der Vergangenheit mussten Mobilfunkfrequenzen von Unternehmen für Milliarden-Summen ersteigert werden. Insgesamt hat der Staat so seit dem Jahr 2000 über 66 Milliarden Euro eingenommen. Diese Summen wären gerade heute besser im Netzausbau investiert. Nur eine Verlängerung der Bestandsfrequenzen, in die bereits Milliarden investiert wurden, lässt die Netze noch schneller noch besser werden und verhindert massive Qualitäts- und Versorgungseinbrüche für Millionen Menschen.
Auch die EU-Kommission mahnt, die Frequenzspektrumsvergabe nicht als „Cash Cow“ zum Füllen des Staatshaushaltes zu missbrauchen. Andere EU-Staaten können hier als Vorbild dienen. Eines von vielen Beispielen für die Verlängerung von Frequenzspektrum: Schweden, das in internationalen Netztests regelmäßig Topplatzierungen belegt, hatte bereits im Jahr 2010 Lizenzen für die Betreiber umfassend verlängert.
Es gibt in Europa einen guten Bestand von innovationsstarken und investitionsbereiten Telekommunikationsanbietern. Wenn diese Unternehmen durch eine zukunftsweisende Regulierung unterstützt werden, können sie die Netze der Zukunft errichten und die Innovationslücke schließen. Sie sind bereit, ihren Beitrag für eine schnelle Digitalisierung zu leisten. Telekommunikationsunternehmen, die zumindest ihre Kapitalkosten verdienen und ihr Geschäft skalieren können, sind die beste Voraussetzung für digitale Souveränität und eine erfolgreiche digitale Transformation der Wirtschaft. All dies wird unser aller Wohlstand sichern. Ohne starke Netze und gestärkte Netzanbieter scheitert die notwendige digitale Aufholjagd der deutschen Wirtschaft.
Markus Haas ist seit 2017 Vorstandsvorsitzender des Telekommunikationsunternehmens O2 Telefónica.