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Standpunkte Wettbewerbsförderung im Mobilfunk? Bislang Fehlanzeige.

Jacques Bonifay und Benjamin Grimm von MVNO Europe
Jacques Bonifay und Benjamin Grimm von MVNO Europe Foto: Transatel (Jacques Bonifay) | freenet (Benjamin Grimm)

Die vier Mobilfunknetzbetreiber, die den deutschen 5G-Markt unter sich aufteilen und netzunabhängigen Anbietern den Zugang verwehren, verhindern laut Jacques Bonifay und Benjamin Grimm von MVNO Europe einen Preis- und Innovationswettbewerb. Daher fordern sie von der Bundesnetzagentur eine generelle Zugangsverpflichtung.

von Jacques Bonifay | Benjamin Grimm

veröffentlicht am 28.10.2022

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Netzmärkte können Goldgruben sein. Zumindest für die dort dominierenden Infrastrukturbetreiber, die sich ohne wirksame Regulierung häufig in Oligopol-Strukturen zusammenfinden. Hohe Preise, ausbleibende Innovationen und Profitmaximierung der Infrastrukturbetreiber zu Lasten der Verbraucher sind die Folge. Qua Gesetz soll deshalb die Bundesnetzagentur derartigen Entwicklungen entgegentreten und Verbraucherinteressen stärken.

Unter den Netzmärkten ist der Mobilfunkmarkt ein ganz spezieller. Für wettbewerbsfördernde Weichenstellungen öffnet sich der Bundesnetzagentur in der Regel lediglich alle fünf bis sieben Jahre ein Zeitfenster. Der Grund dieser Starrheit liegt im Zuteilungsprozess der für den Mobilfunk nutzbaren Frequenzen. Diese knappe Ressource wird vom Staat auf Zeit und mit vordefinierten Nutzungsauflagen vergeben. So haben die deutschen Mobilfunknetzbetreiber beispielsweise seit 2010 zeitlich begrenzte Frequenznutzungsrechte erworben, die noch bis Ende der Jahre 2025, 2033 und 2040 laufen.

Ende 2025 scheint zwar weit weg, aber gerade jetzt werden die Weichen für die Frequenznutzung ab 2026 gestellt. Und das führt zu kontroversen Debatten. Zum einen, weil mittlerweile mit der Deutschen Telekom, Vodafone, Telefónica und der 1&1 vier Netzbetreiber um die knappen Frequenzen buhlen. Und zum anderen und das ist für die wettbewerbliche Marktentwicklung viel wichtiger: Weil die Bundesnetzagentur mit der Neuvergabe eine wirksame Wettbewerbsförderung einführen kann.

Problem erkannt, aber nicht gebannt

Die vergangene Frequenzvergabe in den Jahren 2018/2019 war primär darauf ausgerichtet, den vier Netzbetreibern konkrete Ausbauauflagen für die Frequenznutzung aufzuerlegen. Die Vernachlässigung wettbewerbsfördernder Maßnahmen schwächte nicht nur den bestehenden Markt, sondern verhinderte auch Markteintritte neuer Anbieter. Die Bundesnetzagentur adressiert mit dem am 22. September 2022 veröffentlichten Positionspapier dieses Problem: Sie will mit den zur Diskussion gestellten Positionen den „Spagat zwischen Wettbewerb und Versorgung schaffen.“

Das ist auch bitter nötig, denn die vergangenen Jahre waren aus Verbrauchersicht unbefriedigend und teuer. Lebendiger Wettbewerb, Produktinnovationen und attraktive Mobilfunkangebote sind schwer zu finden. Während die Einhaltung der 2018/2019 vorgeschriebenen Ausbauauflagen ungewiss ist, ist 5G in Deutschland auch mehr als drei Jahre nach dem Vermarktungsstart nur ein Produkt für Gutverdiener. Innovationen und Use Cases fehlen in Deutschland komplett.

Doch warum hinkt Deutschland im Mobilfunk derart hinterher, während 5G in Österreich bereits als Festnetzersatz vermarktet wird? Die Antwort ist einfach: Es reicht nicht, ein Netz zu bauen. Es muss auch Zugang dazu ermöglicht werden, um Preis- und Innovationswettbewerb zu entfachen. Auch über drei Jahre nach der ersten 5G-Frequenzvergabe teilen sich die oligopolistisch agierenden Mobilfunk-Netzbetreiber den 5G-Markt untereinander auf und verwehren netzunabhängigen Anbietern technisch und preislich den diskriminierungsfreien 5G-Zugang.

Letzte Chance für fairen Wettbewerb

Was für lebendigen Wettbewerb fehlt, ist eine klare Zugangsverpflichtung für die Mobilfunknetzbetreiber. Damit müssten sie gegen ein diskriminierungsfreies Entgelt Zugang zu ihren Netzen für geeignete netzunabhängige Mobilfunkanbieter ermöglichen. Diese allgemeine Zugangsverpflichtung kann als sofort wirksamer Schutzschirm für mehr Wettbewerb im Rahmen der 5G-Frequenzvergabe auferlegt werden. Damit wird das 5G-Oligopol aufgebrochen, was dem Markt eine unverzügliche Wettbewerbsintensivierung mit Produktinnovationen beschert und für sinkende Mobilfunkpreise sorgt.

Die Mitgliedsunternehmen des MVNO Europe sind sich einig, dass der deutsche Mobilfunkmarkt im internationalen Vergleich höchst problematisch und überteuert ist. Unsere Erfahrungen decken sich dabei mit den Erkenntnissen aus dem letzten Sektorengutachten Telekommunikation der Monopolkommission. Das zur Wettbewerbsförderung 2018 erdachte „Verhandlungsgebot“ bietet keinen wirksamen Ansatz, um diskriminierungsfreien Zugang zu 5G-Vorleistungen zu ermöglichen. Es verpflichtet die Mobilfunk-Netzbetreiber lediglich, mit Diensteanbietern über Netzzugang zu verhandeln. Eine Abschlusspflicht ist ausdrücklich nicht vorgesehen und findet in der Praxis auch nicht statt. Damit kommt dieses angeblich wettbewerbsfördernde Regulierungsinstrument einem Kreisverkehr ohne Ausfahrt gleich.

Daran könnte auch die von der Bundesnetzagentur in ihrem Positionspapier diskutierte Konkretisierung des „Verhandlungsgebotes“ nichts verändern. Das Instrument des „Verhandlungsgebotes“ ist gescheitert und wird mit einer bürokratisierenden Überarbeitung nicht besser. Darüber hinaus werden auch freiwillige Selbstverpflichtungen keinen Ausweg bieten. Ihre Einhaltung ist nur schwer zu überwachen und würde einzelnen Mobilfunknetzbetreibern die Möglichkeit zum Wegducken bieten.

Für den Mobilfunkwettbewerb ist eine durchsetzbare und generelle Zugangsverpflichtung maßgeblich. Sie ist in Deutschland langjährig erprobt, die Grundlage für faire Preise und würde die Verbraucherinteressen in den Mittelpunkt rücken.

Aus dem europäischen Ausland lernen

Zu dieser Erkenntnis sind in jüngster Vergangenheit auch die Regulierungsbehörden in Portugal, der Tschechischen Republik und Frankreich gekommen, die ihren Netzbetreibern bei den letzten Frequenzvergaben einen generellen Zugang für netzunabhängige Mobilfunkanbieter vorgeschrieben haben. Nach Auffassung des MVNO Europe sollte auch die Bundesnetzagentur die Frequenzvergabe nutzen, um mit einer generellen Zugangsverpflichtung intensiven Mobilfunkwettbewerb zu erzeugen und netzunabhängigen Mobilfunkanbietern diskriminierungsfreien 5G-Zugang zu ermöglichen. Dafür braucht es ein unbürokratisches und schnell durchsetzbares Instrument, das über wirksame Sanktionsmechanismen verfügt. Die bewährte Diensteanbieterverpflichtung – anwendbar auf alle MVNO-Geschäftsmodelle, ob Diensteanbieter oder Light und Full MVNO – ist die wirksamste und chancengerechteste Regulierung, um Innovationen, faire Mobilfunkpreise und eine schnelle 5G-Marktdurchdringung herbeizuführen.

Jacques Bonifay ist Präsident des MVNO Europe. Zuvor war er Präsident des französischen Verbandes Alternative Télécom (Verband der alternativen Festnetz- und Mobilfunkbetreiber in Frankreich). Bonifay ist Gründer und CEO des französischen Telekommunikationsanbieters Transatel. Vor der Gründung von Transatel war er in den Bereichen Strategie, Beratung und Development für McKinsey sowie für Matra Marconi Space (jetzt Airbus Space & Defence) und Alcatel tätig.

Benjamin Grimm ist Vizepräsident des MVNO Europe. Er verfügt über mehr als 20 Jahre Erfah­rung in der Tele­kom­muni­kati­ons­branche und ist seit mehr als einem Jahrzehnt in der freenet Group tätig. Seit 2015 verant­wortet er den Bereich Netze und damit die Zusam­men­arbeit mit den Netz­betrei­bern.

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