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Standpunkte Der Weg zu nachhaltiger digitaler Souveränität

Frank Karlitschek
Frank Karlitschek, CEO von Nextcloud Foto: Nextcloud GmbH

Um die Abhängigkeit von US-Technologieunternehmen zu unterbrechen, sollte der deutsche Staat auf Open Source setzen, schreibt Frank Karlitschek von Nextcloud. Die passenden Technologien und Anbieter aus Europa gibt es bereits heute, der öffentliche Sektor muss sie nur beschaffen.

von Frank Karlitschek

veröffentlicht am 20.05.2025

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„Digitale Souveränität“ ist in den vergangenen Monaten zum großen Trendthema geworden. Mit der Zunahme der geopolitischen Spannungen sowie durch die großen Verschiebungen in der politischen Landschaft der USA ist das Thema ganz oben auf der Agenda. Mittlerweile wird der Begriff jedoch inflationär genutzt. Selbst große US-Technologieunternehmen behaupten, ihre Angebote für Europa seien „digital souverän“.

Das ist aus zwei Gründen nicht korrekt: US-Unternehmen einschließlich ihrer regionalen Cloudangebote aus Europa unterliegen nach wie vor der US-Gerichtsbarkeit. Zudem benötigt ihre Software nach wie vor Updates und Securitypatches, die allesamt aus den USA kommen. Es ist daher an der Zeit, sich darüber klar zu werden, was digitale Souveränität wirklich bedeutet und wie sie nachhaltig erreicht werden kann.

Digitale Souveränität: Zwischen Extremen

Digitale Souveränität erreichen wir, wenn uns Dritte wie Technologieanbieter oder ausländische Regierungen in unseren digitalen Entscheidungen nicht kontrollieren können. Der Wechsel von einem Cloud- oder Software-Anbieter zu einem anderen sollte einfach sein. Keine ausländische Regierung sollte in der Lage sein, unsere genutzten IT-Dienste zu sanktionieren, um uns oder unsere Regierung unter Druck zu setzen.

Digitale Souveränität ist jedoch kein Entweder-Oder, sondern ein breites Spektrum. Das eine Extrem ist die totale Abhängigkeit von einem einzigen Akteur, bei dem ein Anbieterwechsel kaum möglich oder schlicht zu teuer ist. Die Cloud-Angebote von Microsoft kommen dem sehr nahe. Der Zugang zur IT-Infrastruktur und zu unseren eigenen Daten hängen von der Bezahlung sowie von der Zustimmung zu Bedingungen ab, die von US-amerikanischer Regulatorik geprägt sind. Unabhängig vom Speicherort kontrolliert Microsoft die Daten und erschwert eine Migration. Dieser Lock-in hat es Microsoft ermöglicht, die Preise in den vergangenen Jahren drastisch zu erhöhen.

Am andere Ende der Skala steht die völlige Autonomie. Es gibt einige Regierungen, die diese immense Aufgabe in Angriff genommen haben und ihren eigenen Softwarestack für Kollaborationslösungen entwickeln. Vollständige Souveränität beinhaltet jedoch auch die Entwicklung von Betriebssystemen, die industrielle Fertigung von Chips und Speichermedien sowie die Gewinnung von Rohstoffen, einschließlich seltener Erden.

Open Source steht für nachhaltige Souveränität

Der öffentliche Sektor kann langfristig angelegte Projekte nur schwer finanzieren. Hinzu kommt, dass es ihm an qualifizierten Fachkräften mangelt und er auf dem Arbeitsmarkt mit der freien Wirtschaft konkurriert. Das führt dazu, dass die Verwaltung oft externe Auftragnehmer mit der Entwicklung von Softwareprojekten beauftragt, denen jedoch die intrinsische Motivation fehlt. Dies führt oft zu kurzfristig gedachten und nicht skalierbaren Lösungen, die nach ihrer Fertigstellung schon bald veraltet sind.

Professor Karthik Ramanna von der Universität Oxford argumentiert in einer seiner Veröffentlichungen, dass es für Regierungen am effizientesten und mit dem geringsten Risiko verbunden ist, ihre Ressourcen dafür einzusetzen, marktwirtschaftliche Aktivitäten und Innovationen zu fördern anstatt mit ihnen in den Wettbewerb zu treten. Vollständige Eigenständigkeit ist also nicht der beste Weg, um digitale Souveränität zu erreichen.

Die bessere und nachhaltigere Lösung ist es, auf bestehende, erfolgreiche Open-Source-Softwareprojekte zu setzen. Sie schützen vor Vendor-Lock-in, da Open-Source-Lizenzen darauf ausgelegt sind, den Nutzer der Software zu schützen, nicht den Anbieter. Open-Source-Software kann nicht nur transparent überprüft, sondern bei Bedarf auch geändert und unabhängig vom ursprünglichen Entwickler betrieben werden.

Zudem ist die Datenmigration sehr einfach. Erfolgreiche Open-Source-Projekte werden oft von Open-Source-Unternehmen oder -Stiftungen geleitet und umfassen eine breite Community. Die Beschaffung der Software über ein langfristig angelegtes Nutzungspaket wäre also ein Anreiz für diese Unternehmen, die Anforderungen der Regierung in ihre Produktentwicklung zu integrieren.

Außerdem garantiert dieses Modell auch höchstmögliche Sicherheit dank eines nachhaltigen Supports und die Kontrolle über die Lieferkette. Solche Software bewährt sich in der Regel zusätzlich auf dem freien Markt und profitiert von einem breiteren Kundenstamm aus dem öffentlichen und privatwirtschaftlichen Sektor. Das macht sie innovativer und effizienter als ein reines Produkt aus der Verwaltung.

Im Grunde bietet sie dem öffentlichen Sektor alle Vorteile eines Produkts der Privatwirtschaft und profitiert gleichzeitig von einer globalen Open Source Community und lokaler Kontrolle, ohne dass ein Lock-in entsteht. Digitale Souveränität wird somit nachhaltig.

Der Weg zu nachhaltiger digitaler Souveränität: Open Source Governance

Open Source ist die Lösung für das Problem der Abhängigkeit. Die passenden Technologien und Anbieter aus Europa gibt es bereits heute. Der Schlüssel zum Erfolg heißt Zusammenarbeit. Der öffentliche Sektor muss Lösungen aus bestehenden, gut geführten Open-Source-Projekten beschaffen. Damit verhindert er eine Fragmentierung des Open-Source-Ökosystems einerseits sowie andererseits eine nur kurzfristig gedachte, taktische Souveränität, die durch selbst entwickelte Softwarelösungen entsteht.

Wenn der öffentliche Sektor nur einen Bruchteil der millardenschweren Ausgaben, die er für Software-Lizenzen an Big Tech bezahlt, zu Open-Source-Lösungen verschiebt, würde das Innovationen anstoßen und Entwicklungen aus der Privatwirtschaft an die Bedürfnisse des öffentlichen Sektors koppeln. Weder die Zusammenarbeit mit einigen wenigen proprietären Hyperscalern noch das Selbermachen sind gangbare Wege zu einer nachhaltigen digitalen Souveränität. Durch die Wahl der richtigen Open-Source-Lösungen schafft die Verwaltung gesunde Ökosysteme, in denen öffentliche und private Akteure zusammenarbeiten. Das stellt den effizientesten und nachhaltigsten Weg zu digitaler Souveränität für Europa dar.

Frank Karlitschek ist Gründer und CEO der Nextcloud GmbH, Fellow des Open Forum Europe und Berater für die Vereinten Nationen. Sein Standpunkt ist ein offener Brief der acht Unternehmen, die für das Zentrum für Digitale Souveränität in der Verwaltung (Zendis) die Open-Desk-Software bauen. Dazu gehören Xwiki Sas, Open Project GmbH, Collabora Productivity Ltd, Nordeck IT + Consulting GmbH, Univention GmbH, Open-Xchange AG, Element / New Vector Ltd und Nextcloud.

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