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Digitalisierung & KI

Standpunkte Deutschland jetzt zur digitalen Umsetzungsrepublik machen

Claudia Nemat, Vorständin für Technologie und Innovation bei der Deutschen Telekom
Claudia Nemat, Vorständin für Technologie und Innovation bei der Deutschen Telekom Foto: Deutsche Telekom

Eine „Pragmatismus-Wende mit Tatendrang“ fordert die Deutsche-Telekom-Vorständing Claudia Nemat im deutschen Umgang mit Innovationen. Sie sieht die internationale Wettbewerbsfähigkeit des Landes dadurch gefährdert, dass neue Technologien verklärt oder verteufelt werden. Was die nächste Bundesregierung dagegen tun sollte, erläutert sie im Standpunkt.

von Claudia Nemat

veröffentlicht am 10.01.2025

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Goethe wäre ein guter Unternehmer gewesen. Es reiche nicht zu wollen, man müsse auch handeln, soll er gesagt haben. Und beschrieb, was Unternehmertum ausmacht: Neugier durch Handeln stillen, Chancen ergreifen, Ideen umsetzen. Eine unserer größten Chancen ist die Digitalisierung. Wir haben Wissen über Zukunftstechnologien wie Künstliche Intelligenz oder Quantenkommunikation. Und wir haben mit sicheren, souveränen Datenräumen längst Alternativen zum Geschäftsmodell der Hyperscaler. Aber: Wir machen zu wenig daraus.

Ein Grund: Wir neigen dazu, Innovationen zu verklären oder zu verteufeln. KI wird als „Wunderpille für alles“ oder als „Untergang der Menschheit“ wahrgenommen – die Folge sind enttäuschte Erwartungen oder angstgetriebene Überregulierung. Überspitzt gesagt: Wir erfinden den Airbag vor dem Auto.

Jetzt droht unsere industrielle Stärke und internationale Wettbewerbsfähigkeit verloren zu gehen. Laut BDI sinkt die reale Wirtschaftsleistung 2024 um 0,1 Prozent. Unsere Wirtschaft schrumpft weiter – unter anderem, weil die Investitionen nach Deutschland schwinden: Sie erreichen nur noch ein Drittel des OECD-Durchschnitts.

Mit Pragmatismus in die Umsetzungsrepublik

Wir brauchen 2025 einen neuen Aufbruch. Eine Pragmatismus-Wende mit Tatendrang, jenseits von Hypes. Wir brauchen eine „Umsetzungsrepublik Deutschland“. KI kann Wettbewerbsvorteile schaffen. Aber laut Bitkom setzt erst jedes fünfte Unternehmen KI ein.

Bei der Telekom nutzen wir KI, um Servicemeldungen zu analysieren und 70 Prozent der Fehler automatisch zu beheben. Mit Hightech-Fahrzeugen erfassen wir Straßen und automatisieren die Trassenplanung für die 2,5 Millionen Glasfaser-Anschlüsse, die wir pro Jahr bauen können.

Mit KI erhöhen wir auch die Cybersicherheit und schützen uns. 50.000 Angriffsversuche registrieren wir durchschnittlich in unseren Netzen – pro Minute. Manuell wären wir dem kaum gewachsen. 2025 bleibt die Cyber-Sicherheitslage angespannt: 148 Milliarden Euro Schaden verursacht Cyberkriminalität jährlich laut Bundeslagebild Cybercrime des BKA. Auch gegen Verwaltung und Politik zielen die Angriffe. Mit unserem Cyber-Abwehrzentrum halten wir weltweit dagegen.

Bürokratie: weniger Mikromanagement

Ich ärgere mich über jedes Funkloch. Aber wenn wir zehn Monate brauchen, um einen Funkmast genehmigt zu bekommen, dann reicht unternehmerischer Wille nicht aus.

Uns bremst Bürokratie, die ursprünglich Effizienz schaffen sollte – in ihrer heutigen Form jedoch oft nur eine Scheinsicherheit verspricht. Bei der Nutzung digitaler Verwaltungsservices für Bürgerinnen und Bürger liegt Deutschland auf Platz 25 von 27 im EU-Vergleich. 146 Milliarden Euro kosten die Verwaltungsverfahren die Wirtschaft, wie das ifo-Institut errechnet. Wir müssen Vorschriften verschlanken.

Wie? Aus meiner Sicht braucht es nicht nur ein stark aufgestelltes Digitalministerium mit klaren Geschwindigkeits- und Digitalisierungszielen. Sondern Bund, Länder und Kommunen können noch besser an einem Strang ziehen. Weniger Mikromanagement, mehr Mut zur Lücke.

Produktionsdaten als Standortvorteil

Um digitale Technologien auch in Europa mitgestalten zu können, brauchen wir Interoperabilität und offene Systeme wie etwa „Open RAN“ im Mobilfunk, aus Komponenten verschiedener Hersteller im Antennenzugangsnetz, die kombinierbar sind. Damit reduzieren wir Abhängigkeiten und erhöhen die Anbietervielfalt.

Souveränität steigern wir auch durch EU-weite Cloud- und Edge-Infrastrukturen, Basistechnologien für KI. Und mit der produzierenden Industrie sitzen wir auf einem enormen Datenschatz. Durch Datenräume könnten wir diese nutzen für Innovationen bei industrieller Automatisierung und Robotik.

Mensch-zentrierte Wirtschaftstransformation

Ich bin überzeugt, dass es schon lange keine spannendere Zeit gab, sich mit Technologie zu beschäftigen. Aber technologischer Wandel kann auch verunsichern. Weltweit machen sich Menschen Sorgen über die Folgen von KI, wie wir in einer internationalen Studie herausgefunden haben. 68 Prozent der Menschen fordern zum Beispiel mehr Transparenz bei KI. Bei der Telekom haben wir uns bereits 2018 Leitlinien für einen ethischen Umgang gegeben – und diese kürzlich um Prinzipien grüner KI ergänzt. Wenn wir Technologie menschzentriert entwickeln, heißt das: Wir finden Lösungen für praktische Probleme, die keinen Schaden anrichten. Und wir sind sparsam im Umgang mit Ressourcen – eine Ingenieurstugend. Durch digitale Lösungen gelingt uns das, zum Beispiel im Mobilfunk. Dort setzen wir einzelne Frequenzbänder in den Schlafmodus, wenn sie wenig genutzt werden. Das hilft dem Klimaschutz.

Der Staat als Ankerkunde

Klar ist: Wachstum braucht Investitionen. Die Telekom hat in den vergangenen zehn Jahren 173 Milliarden Euro in Netze, IT, KI und in Start-ups investiert. Mehr als 950 davon fördern wir. McKinsey hat ausgerechnet: Bis 2035 bräuchten wir in Deutschland zusätzliche Investitionen von 330 Milliarden Euro – pro Jahr! Dann wäre Deutschland auf Wachstumskurs. 70 Prozent davon müssen aus privaten Quellen kommen, 30 Prozent aus öffentlichen Mitteln. Es bedarf einer gemeinsamen Anstrengung, mit der Investitionsbereitschaft der Wirtschaft und des Staates als Ankerkunden.

Deutschland muss vom Land der vielen guten Ideen und genauso vielen Bedenken zur Umsetzungsrepublik werden. Wir sind das Land der Dichter, Denkerinnen, Erfinder und Ingenieurinnen. Jetzt kommt es noch mehr auf die Macherinnen und Macher an! Wie Goethe treffend formulierte: „Und keinen Tag soll man verpassen, das Mögliche soll der Entschluss beherzt sogleich beim Schopfe fassen“.

Claudia Nemat ist Vorstandsmitglied Technologie und Innovation bei der Deutschen Telekom.

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