Am Abend der Europawahl 2019 überraschte
NRW-Ministerpräsident Laschet mit der Aussage „aus irgendeinem Grund ist das
Klimathema plötzlich ein weltweites Thema geworden“. So wenig überraschend die
Klimakrise ganz oben auf der politischen Agenda steht, so wenig hat sie vor dem
Hintergrund der Corona-Krise an Dringlichkeit verloren.
Es wäre falsch, die Klimaschutz-Bemühungen für erledigt zu erklären, nur weil die Emissionen wegen der Corona-Einschränkungen zeitweise zurückgegangen sind. Denn Klimaschutz ist nicht eine zufällige Emissionssenkung durch eine globale Rezession. Klimaschutz gelingt nur mit einer geplanten und gerecht gestalteten Transformation von Wirtschaft, Wissenschaft sowie Energieversorgung – und mit der Digitalisierung.
Die wichtigsten Stellschrauben zur Bekämpfung der Klimakrise
können nur digital bewegt werden. Zugleich wird ein Investitionsprogramm in die
Digitalisierung nur dann Erfolg haben, wenn es die ökologische Dimension von
Anfang an in den Mittelpunkt stellt. Schon heute liegen die
Treibhausgasemissionen, die durch den Einsatz digitaler Technologien bedingt
werden, vor denen des privaten Flugverkehrs. Sie sollen sich laut Daten des
Think Tanks „The Shift Project“ bis 2025 sogar noch verdoppeln.
Darüber hinaus belastet der Rohstoffverbrauch durch digitale Geräte und deren zunehmend kurze Lebenszyklen unseren Planeten. Der Abbau von Rohstoffen erfolgt in vielen Ländern des Globalen Südens zudem unter inakzeptablen Menschenrechts- und Umweltbedingungen. Wenn Datenzuwachs und Ressourcenverbrauch ungebremst miteinander einhergehen, könnte die Digitalisierung zum Brandbeschleuniger der Klimakrise werden. Es wäre dann unmöglich, die Pariser Klimaziele einzuhalten.
Dieses Szenario ist jedoch keine zwingende Notwendigkeit.
Im Gegenteil: Wir retten das Klima digital – oder eben nicht. Der Umstieg auf
100 Prozent Erneuerbare Energien gelingt nur mit einem digitalen Netz. Neue
industrielle Fertigungsverfahren sparen Ressourcen und Geld. Durch digitale
Heimarbeit lassen sich die pendlerbedingten Verkehrsemissionen um 18 Prozent
senken, wie eine Greenpeace-Studie zeigt. In Deutschland wären das jährlich 5,4
Mio. Tonnen CO2, was fast den jährlichen Emissionen des Kohlekraftwerks
Datteln IV entspricht.
Es ist unser Anspruch an Grüne Politik, für eine
ökologische Digitalisierung zwei entscheidende Voraussetzungen zu schaffen:
Die erste Herausforderung ist, Innovationsbegeisterung
und Vertrauen in technologische Innovation zu stärken. Dabei bietet die
Energiewende das perfekte Beispiel: Hier hat Grüne Politik mit dem
Erneuerbare-Energien-Gesetz im Jahr 2000 das einzige wirklich erfolgreiche
technologie- und industriepolitische Projekt der letzten drei Jahrzehnte angestoßen.
Wenn beispielsweise die FDP um Christian Lindner auf „Innovationen“ warten
will, ist das nur eine Ausrede, um beim Klimaschutz untätig zu bleiben. Das hat
in der Klimaschutzbewegung zu Skepsis geführt, denn die Klimakrise duldet keine
Ausflüchte. Zudem sind die technischen Umsetzungen vielfach bereits vorhanden,
sie müssen nur endlich politische Rahmenbedingungen bekommen, unter denen sie
mit alten Technologien konkurrieren können.
Die zweite Herausforderung ist es, die Digitalisierung –
endlich – politisch zu gestalten. Denn nur durch kluge politische Rahmenbedingungen
können mögliche negative Effekte begrenzt werden und die positiven Effekte dem
Klimaschutz nutzen.
Dafür brauchen wir einen konkreten ökologischen Ordnungsrahmen für Daten- und Energiesparsamkeit sowie finanzielle Komponenten wie eine funktionierende und angemessene CO2-Bepreisung. Die deutsche und europäische Forschung muss die daten- und ressourcensparende Künstliche Intelligenz als unique selling point in den Mittelpunkt stellen.
Wir brauchen gemeinsam mit Mittelstand und Industrie entwickelte Nachhaltigkeits- und Wiederverwendungsstandards und ein Recht auf Reparatur bei digitalen Geräten. Deutschland soll Heimatmarkt und Taktgeber für die Anwendung dieser klima- und umweltschützenden Technologien werden. Schließlich wird es ohne ambitionierte Energieeffizienzstandards nicht gehen. Nur so bekommen wir die Rebound-Effekte in den Griff und können sicherstellen, dass die Einsparpotenziale nicht durch den Zubau an Rechenkapazität und digitaler Infrastruktur aufgefressen werden.
Nicht zuletzt müssen wir auch die Marktstruktur der digitalen Ökonomie in den Blick nehmen: Die derzeitige Konzentration auf wenige Akteure mit enormer Markt- und Datenmacht ist keine gute Basis für transformative Innovationen und ökologische Investitionen. Wir brauchen mehr und faireren Wettbewerb, wenn wir einen zukunftsfähigen und klimaschützenden Ordnungsrahmen schaffen wollen.
Matthi Bolte-Richter ist Sprecher für Digitalisierung der Grünen Landtagsfraktion NRW. Wibke Brems ist Sprecherin für Klimaschutz, Energie, Bergbausicherheit und Anti-Atom-Politik.