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Digitalisierung & KI

Standpunkte Die Kultur der Zusammenarbeit ändern – nicht nur das Vertragswerk

Christian Knebel, Gründer und Geschäftsführer der Publicplan GmbH
Christian Knebel, Gründer und Geschäftsführer der Publicplan GmbH Foto: Promo

Wie lässt sich die öffentliche Verwaltung beim Beschaffen von digitalen Lösungen besser und risikofreudiger organisieren? Mit einer Änderung des Vertragswerks allein jedenfalls nicht, schreibt Publicplan-Gründer Christian Knebel als Replik auf Anja Theurer vom Digital Service des Bundes. Warum eine Umstellung von Werk- auf Dienstverträge das Problem nicht lösen, sondern eher neue Konflikte und Probleme schaffen würde, erläutert er im Standpunkt.

von Christian Knebel

veröffentlicht am 30.10.2024

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Die Umsetzung von Softwareprojekten hat für die öffentliche Hand einige Fallstricke. Wie die Verwaltung es auch anstellt, Anlass zur Kritik gibt es immer. Denn die Ansprüche sind hoch. Die Bürgerinnen und Bürger fordern mehr und vor allem bessere Digitalisierung ein. Das hat zuletzt der E-Government-Monitor der Initiative D21 (erneut) mit klaren Zahlen unterstrichen, die keine Diskussion mehr zulassen: Deutschland muss digitaler werden. 70 Prozent der Deutschen erwarten von digitalen Diensten der öffentlichen Verwaltung, endlich so bequem und einfach wie die in der Privatwirtschaft zu werden.

Anja Theurer, CFO des Digital Service des Bundes, hatte an dieser Stelle zuletzt einen Vorschlag unterbreitet, wie das schneller und effizienter passieren kann: Die öffentliche Hand sollte in der Beauftragung von Softwareentwicklung zukünftig nicht mehr auf Werkverträge mit vorab definiertem Ergebnis-, Zeit- und Budgetrahmen setzen, sondern Software als Dienstleistung beschaffen, um moderne Methoden der Entwicklung besser zu ermöglichen. Diese stützen sich, wie Frau Theurer ausführte, auf kurze Entwicklungszyklen, Iteration und ständiges Feedback. Der Diagnose stimme ich zu: In der Art, wie öffentliche Auftraggeber Softwareprojekte verstehen und wie die Zusammenarbeit zwischen IT-Dienstleistern und der Verwaltung läuft, muss sich grundlegend etwas ändern, wenn wir mit bürgerzentrierten und modernen digitalen Services das Vertrauen in die Leistungsfähigkeit des Staates stärken wollen.

Bei der Wahl der passenden Lösung bin ich anderer Meinung: Meine Erfahrung aus 15 Jahren Softwareentwicklung für die öffentliche Verwaltung sagt mir, dass ein einfaches Umschwenken auf Dienst- statt Werkverträge das Problem nicht lösen wird, sondern vielmehr weitere Kommunikationsprobleme, Zielkonflikte, Dissens, Diskussion und Bremsen in die Zusammenarbeit bringen kann, statt sie zu beschleunigen.

Warum es nicht ausreicht „Time & Material“ zu beauftragen

Mein Eindruck ist: Es geht meist nicht ums „nicht anders wollen“, sondern ums „nicht anders können“, wenn es mit Digitalisierungsprojekten der öffentlichen Hand mal wieder nicht vorangeht. Ja, den rechtlichen Rahmen für neue Formen der Zusammenarbeit nach agilen Methoden kann und muss man sich erschließen, wie Frau Theurer sagt. Aber: Den handelnden Personen in der Verwaltung sind oftmals enge Grenzen gesetzt, die den Spielraum gerade in der Beschaffung stark einschränken und eine vollständig flexible Projektgestaltung quasi unmöglich machen.

Eines der wichtigsten Probleme, das vordergründig in die Kategorie „muss man halt nur wollen“ fällt: Der Einkauf von Dienstleistungen (oder: „Time & Material“) und ein agiler Projektrahmen erfordern zwingend die Mitwirkung des Auftraggebers. Die zuverlässige Teilnahme an sogenannten agilen Ritualen, also regelmäßigen Feedback- und Review-Runden, und vor allem: regelmäßige Entscheidungen! Dazu muss man als Auftraggeber willens, entscheidungsberechtigt und vor allem qualifiziert sein. Das soll bitte keineswegs als Schmähkritik an der Verwaltung missverstanden werden – ich habe in der Zusammenarbeit mit der öffentlichen Hand hochkompetente Menschen kennengelernt. Vielmehr geht es um ein Ressourcenproblem: Die Verwaltung hat zu wenige dieser hochqualifizierten Kräfte und teils sind sie mit zu wenig Entscheidungsbefugnis ausgestattet. Auch wenn öffentliche Auftraggeber gerne Teil des Entwicklungsteams wären – ihnen fehlt die Zeit und der Verwaltung fehlt das Geld, mehr Menschen mit der entsprechenden Qualifikation für die Beteiligung an Sprint-Meetings einzustellen.

Auch ein beliebter Trick, das zu umgehen, funktioniert erfahrungsgemäß nicht gut: Auftraggeber kommen auf die Idee, ihre Mitwirkung durch externe Product-Owner, etwa von zusätzlich beauftragten Beratungen, erledigen zu lassen, die an den Meetings teilnehmen und die Interessen des Auftraggebers vertreten sollen. Das erzeugt Zusatzkosten, „Stille-Post“-Kommunikation und als Bindeglied zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer ist das oft untauglich.

Und täglich grüßt das Risiko

Frau Theurer merkte es in ihrem Beitrag mehrfach an: Die Verwaltung ist auf Risikovermeidung getrimmt. Dass Software-Projekte immer mit Risiken verbunden sind, ändert sich auch nicht durch agile Zusammenarbeit und Dienstverträge als Vertragsbasis. Vielmehr habe ich die Erfahrung gemacht, dass hier fatale Missverständnisse entstehen können, die zu Unwucht in der Zusammenarbeit und Stocken in den Projekten führen können: Bei Werkverträgen trägt der Auftragnehmer viele Risiken, die er gegebenenfalls mit einem Preispuffer berücksichtigt, zum Beispiel einem kalkulatorischen Aufschlag bei unklaren Anforderungen oder absehbar schwierigen Abstimmungen. Beim Dienstvertrag arbeitet man nach Zeit, das Risiko für Verzögerungen, Mehraufwände – und ja: auch Fehler, denn diese passieren – liegt so beim Auftraggeber. Vorteile hat das nur, wenn es gelingt, wirklich effizient Ziele zu messen und den Prozess zu begleiten. Dann kann es durch einen Dienstvertrag billiger werden, Voraussetzung für solche Effizienz- und Kostenvorteile sind aber zusätzliche Ressourcen beim Auftraggeber (siehe oben) und eine eingespielte Zusammenarbeit.

In der Praxis führt dies oft zu Missverständnissen und Problemen. In der Verwaltung ist man gewohnt, dass bei Werkverträgen der Auftragnehmer haftet und eine Gewährleistung für seine Leistung bietet. Man kann sich auf einen gewissen, gelegentlich auch strittigen Spielraum verlassen. Manche Auftraggeber glauben, wie gewohnt Gewährleistung und Haftung einfordern zu können. Dienstverträge beinhalten jedoch in der Regel keine Nachbesserungspflicht für nicht grob fahrlässige Fehler – denn diese geschehen im Arbeitsleben eben und wären in Werkverträgen mit zusätzlichem Aufwand für Tests und Nachbesserungen bereits eingepreist. Dies bedeutet, dass Auftraggeber auch hier ein höheres Risiko tragen, was ihnen oft nicht bewusst ist. Eine klare Kommunikation über die jeweiligen Verantwortlichkeiten und Risiken ist daher entscheidend – und leider manches Mal nicht gegeben.

Frommer Wunsch trifft harte Realität: Der institutionelle Rahmen der Verwaltung

Spätestens, wenn es ums liebe Geld geht, hört also überall der Spaß auf. Das gilt mindestens doppelt in der öffentlichen Verwaltung. Immerhin geht es ums Geld der Steuerzahlerinnen und -zahler – dafür gelten zu Recht strenge Regeln. Diese Regeln sind mit Dienstverträgen tatsächlich aufwändiger einzuhalten. Dienstverträge werden oft monatlich abgerechnet statt mit Abgabe des geschuldeten Ergebnisses, was den Verwaltungsaufwand (und das Diskussionspotenzial) erhöht. Zudem erfordert die Budgetierung im öffentlichen Sektor häufig eine Preisobergrenze. Budgettöpfe sind endlich. Eine Erhöhung kann oftmals nicht freihändig genehmigt werden, auch wenn sie faktisch zwingend nötig ist, denn sie hängt an Haushaltsentscheidungen, die, wir sehen es aktuell, meist hart erstritten und schwierig bis unmöglich zu revidieren sind. Am Ende sitzt man wahrscheinlich wieder mit einer Art „verstecktem Werkvertrag“ da: Der Vertragstext sagt agil, das Preisschild sagt fix, der Unmut auf allen Seiten ist vorprogrammiert, weil es eben nicht „best of both worlds“ ist, sondern oft „worst of both worlds“.

Wir brauchen eine Debatte über die Zusammenarbeit(skultur)

Nun, wie kommen wir denn vielleicht doch zum erstrebenswerten „best of both worlds“ – der Gestaltung der Zusammenarbeit nach Prinzipien der agilen Softwareentwicklung, um bessere, zeitgemäße Ergebnisse zu erzielen und dabei den institutionellen Rahmen der Verwaltung und ihre rechtlichen und budgetären Leitplanken zu beachten? Eine Änderung des Vertragswerks allein wird nicht reichen, ebenso wenig ein Aufschlauen darüber, wie das mit Haushalts- und Vergaberecht möglichst elegant in Einklang gebracht werden kann. Erforderlich sind Flexibilität und Verständnis füreinander auf beiden Seiten, Verwaltung und IT-Dienstleister. Dieses Verständnis entsteht durch enge Zusammenarbeit und laufenden fachlichen Austausch. Das erfordert mittel- bis langfristige Veränderungen in der Verwaltung, die politisch mit entsprechenden Budgets und Planstellen ermöglicht werden müssen: Mehr Kapazitäten und Fachwissen innerhalb der Verwaltung, um sich aktiv in agilen Entwicklungsprozessen einbringen zu können.

Und am Ende trifft man sich hoffentlich beim agilen Werkvertrag oder beim Dienstvertrag mit Maximalpreis, der den Anforderungen beider Seiten gerecht wird. Denn im Grunde wollen doch alle dasselbe: Dass Bürgerinnen und Bürger ihre digitalen Kontakte mit der Verwaltung als positiv, einfach und modern wahrnehmen und ihre Anliegen schnell klären können.

Christian Knebel ist Gründer und Geschäftsführer der Publicplan GmbH. Mit seinen 350 Kolleginnen und Kollegen in Düsseldorf, Berlin und Málaga setzt er dort seit 15 Jahren Softwareprojekte für die öffentliche Verwaltung um und nutzt dabei ausschließlich Open Source Technologien.

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