Ziele der deutschen G7-Präsidentschaft sind unter anderem die stärkere internationale Koordinierung digitaler Standards und Normen, die Förderung des freien Datenflusses sowie die Entwicklung einer globalen digitalen Ordnung. Kurzum: Beim Treffen der G7-Digitalminister in Düsseldorf am 10. und 11. Mai geht es um die Zukunft des Internets.
Bislang ist der digitale Wandel von extremen Ungleichheiten geprägt. Über 70 Prozent der Marktanteile digitaler Plattformen entfallen auf nur sieben Konzerne aus den USA und China. Fast die Hälfte der Menschheit hat immer noch keinen Zugang zum Internet.
Die Weltbank fördert Informations- und Kommunikationstechnologie im globalen Süden, musste in ihrem Bericht „Digital Dividends“ aber trotzdem selbstkritisch feststellen, dass die Vorteile digitaler Technologien bisher nur den (wenigen) gut ausgebildeten und gut vernetzten Bevölkerungsgruppen zugutekämen und zudem die bereits etablierten Eliten stärkten.
Der Bericht ist von 2016, die Lage heute ist noch schlechter. Während der Pandemie haben sich Daten, Profit und Macht weiter konzentriert. Die Börsenwerte von Alphabet, Amazon, Apple, Microsoft und Tesla haben sich mehr als verdoppelt.
In Anbetracht dieser Fehlentwicklungen stellen sich einige Fragen: Sollen die G7-Länder allein über eine globale digitale Ordnung entscheiden? Droht hier nicht eine weitere Spaltung zwischen dem globalen Norden und dem Süden? Und wie steht es um die Forderung der deutschen G7-Präsidentschaft, den freien Datenfluss sicherzustellen?
Anti-Regulierungsagenda der USA soll zur globalen Blaupause werden
Beginnen wir mit der Datenfrage. Die Forderung nach „freiem Datenfluss“ ist nicht neu, sondern bildete bereits den Mittelpunkt der von Bill Clinton 2002 verabschiedeten Digitalen Agenda. Nach erfolgreicher Lobbyarbeit durch Amazon, Google & Co. richtete der damalige US-Präsident seine Digitalpolitik darauf aus, Digitalkonzerne nicht zu regulieren. Das internationale Handelsrecht sollte ihm dabei helfen. Jenes Recht also, dessen Ziel es ist, Wirtschaftsbeziehungen zu liberalisieren, Regulierungen abzubauen oder – wie im Falle der Digitalwirtschaft – gar nicht erst zuzulassen. Zu den Eckpfeilern dieser Anti-Regulierungsagenda gehören etwa das Verbot, im Ausland erhobene Daten auch dort speichern zu müssen. Die Daten sollen also fließen, wohin die Konzerne sie lenken. In den Folgejahren verabschiedeten die USA eine Reihe bilateraler Handelsabkommen, mit denen die Regeln des E-Commerce immer verbindlicher wurden und den großen Digitalkonzernen immer größeren Nutzen versprachen.
In naher Zukunft könnten diese Regeln zu globalen Standards werden. Seit 2019 verhandelt ein Teil der Mitgliedstaaten der Welthandelsorganisation (WTO) – angeführt von den USA, der EU, Japan und China – über einen umfassenden Vertrag zum E-Commerce. Wie Recherchen von netzpolitik.org im vergangenen Jahr zeigen, steht der freie Datenfluss auch bei den WTO-Verhandlungen im Mittelpunkt des Interesses der Digitalkonzerne. Diese wollen, dass die Daten weiterhin auf ihren Servern gespeichert werden – damit die Profite ausschließlich in ihren Taschen landen.
Daten sind keine einfachen Waren oder Dienstleistungen
Diese Forderung wird von den G7-Staaten und der EU mitgetragen. Sie richtet sich direkt gegen Schwellenländer, die ihre Daten inzwischen als kollektives Gut betrachten. Indien und Nigeria etwa haben politische Vorhaben angestoßen, um die Abhängigkeit von den großen digitalen Plattformen zu verringern, damit sie überhaupt die Chance haben, eine eigene Digitalwirtschaft aufzubauen. Nigeria fordert daher von ausländischen Dienstleistern, Kundendaten aus Nigeria auch auf Servern im Land zu speichern. Sowohl Berlin wie auch Washington betrachten solche Vorgaben bislang als schwerwiegenden Eingriff in den freien Datenfluss.
Für die UN-Organisation für Handel und Entwicklung (UNCTAD) ist die Forderung der Schwellenländer hingegen legitim. Die Länder des globalen Südens könnten damit einen Grundstein zur Datensouveränität legen. Die UNCTAD geht sogar einen Schritt weiter: Datenregeln sollten gar nicht Bestandteil von Handelsabkommen sein. Denn Daten seien ein multidimensionales Gut, das etwa menschenrechtlich und sicherheitspolitisch relevante Aspekte beinhalte und deswegen nicht wie Waren oder Dienstleistungen behandelt werden dürfe (Digital EconomyReport, UNCTAD, 2021).
Digitale Souveränität statt Interessenpolitik
Vor dem G7-Digitalministertreffen argumentieren Gewerkschafts- und NGO-Vertreter aus den G7-Staaten in einer gemeinsamenErklärung an die sieben Staats- und Regierungschefs in eine ähnliche Richtung: Die WTO sei nicht das geeignete Forum, um Regeln für die digitale Wirtschaft zu schaffen, da sie keine Zuständigkeit für Arbeits- und Sozialstandards habe und weder Gewerkschaften noch Zivilgesellschaft in ihre Entscheidungsfindung einbezogen würden.
Statt im kleinen Kreis eine globale digitale Ordnung zu entwickeln, die wieder nur wenigen Konzernen nützt, sollten sich die führenden Industrienationen gemeinsam mit der internationalen Staatengemeinschaft für digitale Souveränität einsetzen – und zwar auf globaler Ebene. Bekannt ist der bisherige WTO-Verhandlungstext zu E-Commerce im Übrigen nur aufgrund des Leaks einer niederländischen NGO. Die Zivilgesellschaft fordert seit langem, dass der Prozess transparent gemacht wird.
Die Grünen müssen Farbe bekennen
Für die neue Bundesregierung und insbesondere den für Handelspolitik zuständigen grünen Wirtschaftsminister Robert Habeck stellen die gegenwärtigen E-Commerce-Verhandlungen eine Herausforderung dar. Seine Fraktion hatte im vergangenen Jahr, noch in der Opposition, die Intransparenz des Verhandlungsprozesses kritisiert und seine Legitimität in Zweifel gezogen. Wird sich der Wirtschaftsminister in Brüssel also für ein Ende der WTO-Verhandlungen einsetzen? Oder zumindest dafür, dass sie transparenter geführt werden?
Handelspolitik fällt zwar in die Kompetenz der Europäischen Union. Trotzdem können ihre Mitgliedstaaten und insbesondere die Bundesregierung Einfluss ausüben: Während der Verhandlungen zum Handelsabkommen TTIP vor einigen Jahren führte ein Vorschlag des damaligen Bundeswirtschaftsministers Sigmar Gabriel (SPD) etwa dazu, dass die EU-Kommission sich im bereits laufenden Verhandlungsprozess für eine Reform des umstrittenen Investitionsschutzes einsetzte. Die Verhandlungen scheiterten, der Reformvorschlag wird von der EU aber auf multilateraler Ebene weiter verfolgt. Vielleicht gelingt Habeck bei den E-Commerce-Verhandlungen ein ähnlicher Coup. Sein Name würde künftig untrennbar mit der Weiterentwicklung einer Globalen Internet Governance auf UN-Ebene verbunden sein.
Sven Hilbig ist Jurist und arbeitet als Referent für Handelspolitik und Digitalisierung bei der evangelischen Entwicklungsorganisation Brot für die Welt. Zuvor war er bei der Heinrich-Böll-Stiftung zu verschiedenen Themen an der Schnittstelle von Ökonomie und Ökologie tätig. Von 2001 bis 2006 arbeitete er als Researcher und Rechtsberater für die Menschenrechtsorganisation Global Justice in Brasilien.