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Standpunkte Digitale Bildung als Schlüssel zur Fachkräftesicherung

Mike Friedrichsen
Professor Mike Friedrichsen, German University of Digital Science Foto: German University of Digital Science

Deutschland braucht eine Kehrtwende in der digitalen Bildung – und zwar jetzt. Während andere Nationen ihre Bildungssysteme strategisch auf die digitale Zukunft ausrichten, droht Deutschland im globalen Wettbewerb, um die besten Köpfe zurückzufallen. Die Lösung liegt in einer radikalen Neuausrichtung unserer Bildungslandschaft.

von Mike Friedrichsen

veröffentlicht am 01.07.2025

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Die bittere Wahrheit: Europa und insbesondere Deutschland haben sich in eine gefährliche Abhängigkeit von ausländischen Technologieanbietern manövriert – nicht nur beim Kauf digitaler Produkte, sondern vor allem bei der Ausbildung digitaler Kompetenzen. Diese Abhängigkeit ist existenziell für unsere Zukunftsfähigkeit als Wirtschaftsstandort.

Der globale Kampf um Talente hat längst begonnen

Während wir noch über die richtige Strategie diskutieren, handeln andere Nationen bereits. Länder wie Singapur, Estland oder auch China haben längst erkannt: Wer die besten digitalen Talente ausbildet und anzieht, gewinnt den Wettbewerb um Innovation und Wohlstand. Deutschland hingegen verliert jährlich Tausende hochqualifizierte Fachkräfte an andere Länder – nicht nur wegen besserer Gehälter, sondern auch wegen modernerer Bildungs- und Arbeitsstrukturen.

Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Deutschland liegt bei der Digitalisierung der Bildung im europäischen Vergleich auf den hinteren Plätzen. Gleichzeitig fehlen uns bis 2030 voraussichtlich 780.000 IT-Fachkräfte. Dieser Mangel wird sich nicht durch klassische Rekrutierung aus dem Inland lösen lassen – wir müssen global denken und handeln.

Was Deutschland jetzt konkret tun muss

  • Wir brauchen eine nationale Digitalisierungsstrategie für Bildung, die über Laptops für Schulen hinausgeht. Andere Länder haben verstanden, dass digitale Bildung ein Standortfaktor ist. Japan hat eine obligatorische IT-Zertifizierung eingeführt, die 2017 von über 500.000 Menschen absolviert wurde. Deutschland braucht ähnliche Standards.
  • Wir müssen unsere Hochschullandschaft internationaler und flexibler gestalten. Die Zukunft gehört hybriden Formaten, die physische und digitale Elemente intelligent verknüpfen. Micro-Degrees, berufsbegleitende Online-Programme und internationale Kooperationen sind keine überflüssige Spielerei, sondern überlebenswichtig.
  • Deutschland muss endlich verstehen, dass Bildung ein Exportprodukt ist. Länder wie Australien und das Vereinigte Königreich verdienen Milliarden mit der Ausbildung internationaler Studierender. Wir verschenken dieses Potenzial, obwohl „Made in Germany“ im Universitätsbereich noch ein Qualitätssiegel ist.
  • Wir brauchen eine grundlegende Reform der Arbeitsmarktintegration für internationale Talente. Deutschland ist berüchtigt für seine bürokratischen Hürden – von der Visa-Erteilung bis zur Anerkennung ausländischer Abschlüsse. Während Kanada mit seinem Express Entry System binnen sechs Monaten hochqualifizierte Zuwanderer integriert, dauern vergleichbare Prozesse in Deutschland oft Jahre.
  • Gleichzeitig müssen wir die Willkommenskultur in unseren Unternehmen und Universitäten stärken. Viele internationale Talente verlassen Deutschland nicht wegen der Gehälter, sondern wegen kultureller Barrieren und mangelnder Aufstiegschancen. Eine digitale, mehrsprachige Service-Plattform für internationale Fachkräfte wäre ein erster wichtiger Schritt.

Von der Abhängigkeit zur Führungsrolle

Der Vorschlag von Sebastiano Toffaletti (European Digital SME Alliance), Kai Zenner (Berater beim Europaabgeordneten Axel Voss) und Francesco Bonfiglio (Dynamo) für eine „kopernikanische Revolution“ in der europäischen Digitalbildung ist richtig – aber er greift zu kurz. Deutschland kann und muss eine Führungsrolle übernehmen. Wir haben die technologische Expertise, die Forschungsexzellenz und – nicht zuletzt – das internationale Vertrauen in deutsche Bildungsqualität.

Die German University of Digital Science zeigt, dass dies möglich ist. Seit April 2025 können bei uns Menschen aus Ländern rund um den Globus studieren. Sie alle können einen deutschen Universitätsabschluss erhalten, ohne Deutschland je betreten zu haben.

Deutschland steht an einem Scheideweg. Wir können weiter über die Probleme der digitalen Abhängigkeit diskutieren – oder wir können handeln. Die Instrumente dafür sind vorhanden: exzellente Forschungseinrichtungen, innovative Unternehmen und eine starke Tradition in der Ingenieurausbildung. Was fehlt, ist der politische Wille zur Transformation. Während andere Länder Milliarden in die digitale Bildung investieren, behandeln wir das Thema immer noch als Randnotiz. Das muss sich ändern – und zwar schnell.

Die digitale Zukunft wartet nicht auf uns. Aber wenn wir jetzt handeln, können wir aus der Krise der Abhängigkeit das Ergreifen einer Führungsrolle machen. Deutschland hat das Potenzial, zum globalen Zentrum für digitale Bildungsexzellenz zu werden. Nutzen wir es.

Professor Dr. Mike Friedrichsen hat gemeinsam mit Prof. Dr. Christoph Meinel die German University Of Digital Science in Potsdam gegründet. Zuvor war er 25 Jahre Professor an der Stuttgart Media University.

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