Digitalisierung-KI icon Digitalisierung & KI

Standpunkte Warum die europäische Souveränität auch vom Ausbau eigener digitaler Kompetenzen abhängt

Sebastiano Tofaletti
Sebastiano Tofaletti
Kai Zenner
Kai Zenner
Francesco Bonfiglio
Francesco Bonfiglio
Sebastiano Toffaletti (European DIGITAL SME Alliance), Kai Zenner (Berater beim Europaabgeordneten Axel Voss), Francesco Bonfiglio (Dynamo) Foto: privat, Kai Zenner, privat

Die Fähigkeit Europas, die Kontrolle der auf dem Kontinent angebotenen und genutzten digitalen Produkte, Dienstleistungen und Infrastrukturen wiederzuerlangen, setzt auch voraus, dass die massive Abhängigkeit von ausländischen Anbietern beim Aufbau und der Vermittlung digitaler Kompetenzen beendet wird, schreiben Sebastiano Toffaletti, Kai Zenner und Francesco Bonfiglio.

von Sebastiano Tofaletti, Kai Zenner & Francesco Bonfiglio

veröffentlicht am 17.06.2025

Lernen Sie den Tagesspiegel Background kennen

Sie lesen einen kostenfreien Artikel vom Tagesspiegel Background. Testen Sie jetzt unser werktägliches Entscheider-Briefing und erhalten Sie exklusive und aktuelle Hintergrundinformationen für 30 Tage kostenfrei.

Jetzt kostenfrei testen
Sie sind bereits Background-Kunde? Hier einloggen

Die Abhängigkeit des Kontinents von digitalen Technologien und damit verbundenen digitalen Infrastrukturen, die sich vollständig im Besitz privater ausländischer Unternehmen befinden, ist nicht mehr nur ein wirtschaftliches Problem – sie ist existenziell für das Fortbestehen der EU. Aufgrund der geopolitischen Veränderungen weltweit kann es sich die EU nicht länger leisten, einseitig von privaten Unternehmen aus dem Ausland abhängig zu sein.

Was dabei allerdings oft übersehen wird, ist eine spezielle Abhängigkeit Europas, welche über den Kauf US-amerikanischer und chinesischer digitaler Produkte und Dienstleistungen hinausgeht. Diese ist tief verwurzelt unter der heutigen und kommenden Generation von Arbeitskräften im europäischen Digitalsektor. Ausländische Technologieunternehmen, vor allem solche aus den USA, üben nämlich einen immensen Einfluss auf die nationalen Bildungssysteme und Ausbildungsprogramme in der EU aus. Die Definition und der Erwerb von digitalen Kompetenzen der Bürger und Arbeitskräfte wird häufig an Programme, Zertifizierungen und Schulungen delegiert, die von US-Technologieunternehmen angeboten werden. In Zeiten wachsender Haushaltsdefizite haben die nationalen Regierungen – von der Grundschule bis zur Hochschul- und Berufsausbildung – häufig Partnerschaften mit Technologieunternehmen geschlossen oder diese vollständig mit der Aufgabe betraut, eine digital qualifizierte Bevölkerung und Belegschaft zu schaffen.

Die Fähigkeit, mit marktbeherrschender Software, Plattformen und Cloud-Infrastrukturen zu arbeiten, wird durch die Einhaltung privater, von ausländischen IT-Anbietern kontrollierter Zertifizierungssysteme bestimmt. Dies führt zu einem Teufelskreis der Abhängigkeit, in dem die Europäer entweder als Verbraucher oder als Fachleute darin geschult werden, nur mit proprietären Systemen zu arbeiten. Die erhalten den Einfluss außereuropäischer Technologien auf die digitale Landschaft des Kontinents weiter aufrecht.

Andere führende Volkswirtschaften auf der ganzen Welt haben digitale Autonomiestrategien umgesetzt und Programme für die Aus- und Weiterbildung von digitalen Fachkräften als nationales Interesse eingestuft. Ganz vorne dabei sind Länder wie China oder Russland. Doch selbst US-Verbündete wie Korea und Japan haben die Kontrolle über die Aus- und Weiterbildungsprogramme für IKT-Fachleute zurückerlangt. Japans Abschlussprüfung für IT-Ingenieure ist eine obligatorische, von der Regierung umgesetzte Zertifizierung, die den Zugang zu einer breiten Palette von Jobs für Technikspezialisten ermöglicht. Allein im Jahr 2017 haben über 500.000 Personen diese Prüfung abgelegt.

In ähnlicher Weise sollte auch für die EU das Ziel einer strategischen Autonomie auch auf dem massiven Ausbau souveräner digitaler Fähigkeiten beruhen. Um es noch deutlicher zu sagen: Die EU braucht eine kopernikanische Revolution, bei der die Ausbildung und Schulung digitaler Kompetenzen nicht um einige wenige ausländische Technologieanbieter kreist, sondern auf den strategischen Interessen des Kontinents beruht. Das bedeutet, dass die nationalen Regierungen und die EU-Institutionen die Kontrolle über die Qualifizierungsagenda zurückgewinnen müssen, und zwar in Partnerschaft mit dem europäischen privaten Technologiesektor.

Ein gemeinsamer Aktionsplan, der vom öffentlichen und privaten Sektor der EU gemeinsam beschlossen werden muss, sollte harmonisierte Anforderungen an die Kompetenzen der europäischen IKT-Fachleute festlegen. Auch wenn den nationalen Bildungsrahmen und den privaten Ausbildungsinitiativen im Bereich der digitalen Kompetenzen ein gewisses Maß an Autonomie eingeräumt werden muss, sollten sich in Zukunft alle an das gemeinsame EU-Ausbildungsschema halten. So kann die nächsten Generationen von europäischen Tech-Arbeitskräften souveräner und diverser ausgebildet werden.

Wie die EuroStack-Initiative aufgezeigt hat, gibt es schon viele kommerzielle europäische Alternativen, die ausländische Technologien ersetzen und das Streben des Kontinents nach mehr digitaler Souveränität unterstützen können. Diese Alternativen müssen jedoch effektiv skaliert und vollumfassend integriert werden. Es ist daher von entscheidender Bedeutung, dass die europäischen Arbeitskräfte auch vollumfassend darauf vorbereitet sind, mit diesen bestehenden Alternativen zu arbeiten und diese technisch weiterzuentwickeln. Die Lösung? Eine öffentlich-private Partnerschaft für souveräne digitale Fertigkeiten, welche gemeinsame Anforderungen der EU an digitale Fertigkeiten vorschreibt. Ebenso müssen die künftigen IKT-Fachleute in der EU aber mit spezifischen Kompetenzen ausgestattet werden, welche es ihnen ermöglichen, eine Abschottung durch ausländische Anbieter zu verhindern, offene Standards einzuführen und ein interoperables Gesamtsystem aufzubauen, dass gleichzeitig die Cybersicherheit und die technologische Widerstandsfähigkeit Europas stärkt.

Die rasche Einführung eines EU-weiten Systems für digitale Kompetenzen kann durch die Schaffung von Anforderungen für Fachkräfte im öffentlichen Sektor und durch steuerliche Anreize für den privaten Sektor sichergestellt werden. Europäische Technologieanbieter, die zur Definition der digitalen Souveränitätskompetenzen beitragen, hätten ihrerseits einen Anreiz, ihre Lösungen durch die Annahme von Interoperabilitätsstandards und APIs, die auf die neuen EU-Kompetenzen abgestimmt sind, zusammenzuführen. Auf diese Weise würde man eine kohärente Agenda für souveräne digitale Kompetenzen zu einer industriepolitischen Gesamtstrategie ausweiten, die einen positiven Kreislauf von Nachfrage und Anreizen für die Zusammenführung in der gesamten Digitalbranche in Gang setzt.

In diesem Zusammenhang bietet die jüngste Initiative „Union of Skills“ der Europäischen Kommission eine wichtige Gelegenheit für die Einführung einer neuen Strategie für souveräne digitale Kompetenzen, die dem ganzen europäischen Technologiesektor nützt. Im Rahmen der Initiative wird die Kommission langfristige Partnerschaften mit in der EU ansässigen Edtech-Unternehmen und unabhängig entwickelten europäischen Lösungen aufbauen. Innerhalb dieses Rahmens kann die europäische Technologiebranche, insbesondere unsere KMUs, die Entwicklung sowohl grundlegender als auch fortgeschrittener digitaler Fähigkeiten vorantreiben, die so wiederum Europas eigenes digitales Ökosystem fördern. Das EdTech-Programm kann eine wichtige Blaupause werden, die auf alle wesentlichen Ebenen der europäischen Technologiebranche ausgedehnt werden sollte, wie wir es kürzlich mit über 30 Autoren auch in unserem Positionspapier „European Way“ vorgeschlagen haben.

Sebastiano Toffaletti, Generalsekretär der European DIGITAL SME Alliance. Er ist stellvertretender Vorsitzender von ETSI - dem Europäischen Institut für Telekommunikationsnormen - und stellvertretender Vorsitzender der Europäischen Organisation für Cybersicherheit.

Kai Zenner, Büroleiter und Berater für Digitalpolitik des Europaabgeordneten Axel Voss. Er ist Fellow of Practice beim TUM Think Tank und Mitglied des OECD.AI Netzwerks und der AI Governance Alliance beim WEF. Alle geäußerten Ansichten sind persönlich und geben weder die Position des Europäischen Parlaments noch die der EVP-Fraktion wieder.

Francesco Bonfiglio, Mitbegründer und CEO von Dynamo | The European Cloud Alternative und ehemaliger CEO von GaiaX, Mitbegründer des Startup-Studios FoolFarm.com, Inhaber von Diagrammatica.it, Start-up-Mentor, Angel Investor, Dozent und Unternehmer.

Lernen Sie den Tagesspiegel Background kennen

Sie lesen einen kostenfreien Artikel vom Tagesspiegel Background. Testen Sie jetzt unser werktägliches Entscheider-Briefing und erhalten Sie exklusive und aktuelle Hintergrundinformationen für 30 Tage kostenfrei.

Jetzt kostenfrei testen
Sie sind bereits Background-Kunde? Hier einloggen