Den – wohl ausschließlichen – Gründungs-„Vätern“ von Deutschland sicher im Netz im IT-Gipfelprozess der Bundesregierung 2006 ist eine gewisse Visionskraft nicht abzusprechen: Die Förderung von Digitalkompetenzen für Sicherheit und Vertrauen in der Informationstechnik – so die knappe Zusammenfassung des satzungsmäßigen Anliegens, zu dem sich seinerzeit Telekom-Chef Kai-Uwe Ricke und Steve Balmer von Microsoft mit dem Segen von Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble und zwölf weiteren Partnern im Verein DsiN zusammenschlossen.
Ein Blick in die Lageberichte deutscher Sicherheitsbehörden dieser Tage reicht aus, um einzusehen, dass der Handlungsdruck gegen Cyberbedrohungen über die Jahre nicht abgenommen hat, im Gegenteil. In fast allen Kategorien der Angriffsmethoden und -schäden gibt es regelmäßige neue Superlative – die Einschätzung von Ex-BSI-Chef Arne Schönbohm aus dem Jahre 2021 schallt noch in den Ohren: „Alarmstufe rot!“ Nach dem Überfall auf die Ukraine dürfte sich diese zwischenzeitlich ins dunkelrot verfärbt haben.
Die Bürger:innen sind verunsichert
Wer sich das Schauspiel mit etwas Distanz anschauen darf – wie der Autor und die mutmaßlich meisten Onliner dieser Republik, reibt sich über die jährliche Eskalation verwundert die Augen: Während ein Teil der Wirtschaft, Politik und Wissenschaft routiniert die Chancen neuer Geschäftsmodelle durch digitalen Fortschritt an die Wand wirft oder noch besser: über Social Media teilt, warnen die anderen – ebenfalls zu Recht – vor Millionen neuer Viren und Angriffe, Milliardenschäden für Wirtschaft und Gesellschaft. Und mittendrin: der verunsicherte Mensch (und Kunde).
Der eindrucksvollste Lagebericht ist dabei noch gar nicht erwähnt: das Lauschen der Erfahrungen Millionen Jugendlicher, Erwachsener und Senioren, Mitarbeitenden und Führungskräfte in Unternehmen, die morgens in der U-Bahn, mittags beim Lunch und abends mit den Nachbarn ihren Unmut über fehlende IT-Sicherheit ihres Home-Office, sinnlose AGB-Einwilligungen und fehlendem Datenschutz Luft machen und sich über die Zunahme halbwahrer Posts auf ihrem TikTok-Account wundern – dazu noch so kurz vor den Wahlen…
Diese Gemengelage aus Lageberichten, kombiniert mit dem täglichen Rauschen verunsicherter Bürger:innen lässt die Frage nach Konzepten und Strategien lauter werden, die nicht nur gut durchgedacht und gemacht sind, sondern wirkungsvoll umgesetzt und kommuniziert werden. Und hier schließt sich der Kreis zu den Gründungsvätern von DsiN – und seinen zahlreichen, männlichen und weiblichen Nachkommen. Auf der Grundlage überzeugender Visionen braucht es mehr als zuvor nachvollziehbare Vorgaben, wie eine vertrauensvolle Digitalisierung erreicht werden kann – in Zielen, Zeitachsen und Zuständigkeiten.
Nicht nur Symptome, auch Ursachen müssen bekämpft werden
So wird es künftig nicht mehr ausreichen, digitale Kompetenzförderung als wichtige Sache in Cybersicherheitsstrategien zu deklarieren – und zu übersehen, wie diese außerhalb des Bildungssystem eigentlich nachhaltig finanziert werden soll. Der erfolgreich gestartete Digitalführerschein, gepriesen als neuer Standard für Digitalkompetenzen, ist dafür ein Beispiel, wenn er nach Ablauf der Förderzeit von drei Jahren nun „ausgefördert“ sein soll. Der DsiN-Jahreskongress heute wird dazu möglicherweise neuen Schwung in die Debatte bringen.
Es darf am Ende aber auch nicht unterschätzt werden, dass die besten Strategien und Technologien wenig nützen, wenn Sicherheit und Datenschutz nicht zur Grundüberzeugung der Unternehmer: innen gehören. Wo nicht schon beim Design und Inverkehrbringen von Diensten und Produkten auf Datenschutz, Integrität und Vertrauenswürdigkeit geachtet wird, bleiben Awareness und Regulierung der erfolglose Versuch, Symptome der Un-Sicherheit zu bekämpfen, nicht aber ihre Ursachen. Die Tradition hoher Qualität und Sicherheitsstandards war in Europa einmal Trumpf – und könnte es im Digitalen wieder werden. Die Verantwortung dafür liegt nicht allein in der Politik, sondern ebenso bei klugen und weitsichtigen Unternehmer: innen in diesem Land.
Michael Littger wirkte seit 2013 unter der Leitung von drei Vorstandsvorsitzenden als Geschäftsführer von Deutschland sicher im Netz e.V. bis Sommer 2024 und wendet sich künftig neuen Aufgaben zu, um Sicherheit und Vertrauen mit zukunftsfähigen Geschäftsmodellen zu verbinden.