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Digitalisierung & KI

Standpunkte Digitaler Fortschritt braucht Weltoffenheit

Nikolas Becker, Leiter des Teams Politik und Wissenschaft bei der Gesellschaft für Informatik
Nikolas Becker, Leiter des Teams Politik und Wissenschaft bei der Gesellschaft für Informatik Foto: Mike Auerbach

Internationaler Austausch und Zuwanderung sind das Fundament für Spitzenforschung und wettbewerbsfähige IT-Unternehmen, findet Nikolas Becker von der Gesellschaft für Informatik. Doch eine zunehmend ausländerfeindliche Debatte über Zuwanderung gefährde diese Säulen. Deutschland müsse sich als offenes, attraktives Einwanderungsland für Fachkräfte positionieren – sonst drohten langfristige Nachteile für Wissenschaft und Wirtschaft, schreibt Becker im Standpunkt.

von Nikolas Becker

veröffentlicht am 18.02.2025

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Informatikspitzenforschung und konkurrenzfähige IT-Unternehmen leben vom weltoffenen, internationalen Austausch. Die großen Herausforderungen unserer Zeit können nur mit internationaler Zusammenarbeit und vielfältigen Teams gelöst werden. Die ausländerfeindlichen und rassistischen Vorzeichen, unter denen Zuwanderung derzeit diskutiert wird, stehen dem diametral entgegen und werden verheerende Folgen für den Wissenschafts- und Wirtschaftsstandort Deutschland haben. Deutschland muss durch Weltoffenheit Anziehungspunkt und Heimat für internationale wissenschaftliche Talente sowie hochqualifizierte Fachkräfte bleiben.

Die Geschichte der Informatik in Deutschland wäre ohne internationale Forschende nicht vorstellbar. Sie waren und sind eine tragende Säule unseres Wissenschaftssystems, das von Internationalität, Diversität, Vielfalt und Respekt lebt. Die neue Bundesregierung tut gut daran, den rauen Ton des Wahlkampfes hinter sich zu lassen und Deutschland zu einem attraktiven Einwanderungsland für Informatiktalente aus aller Welt zu machen. Nur auf Basis dieser Werte können wir eine gemeinwohlorientierte, nachhaltige und sichere Wissenschafts- und Digitalpolitik aufbauen. Wie diese aussehen kann, hat die Gesellschaft für Informatik anlässlich der Bundestagswahl 2025 in zehn Impulsen festgehalten.

Vorsprung durch ganzheitliche Innovationspolitik

Ja, die politische und kulturelle Neuausrichtung der amerikanischen Tech-Giganten seit Beginn der Präsidentschaft Trumps verunsichert nicht nur, sondern macht auf nie dagewesene Weise bewusst, wie problematisch unsere Abhängigkeiten von ihren Software-Produkten, bestimmten Unternehmen sowie einzelnen Lieferketten sind. Technologische Souveränität ist daher ein Gebot der Stunde.

Gleichzeitig sind in Zeiten globaler Unsicherheiten – Kriege, aufziehende Handelskonflikte, Klimawandel – Kooperation und gegenseitiges Lernen so wichtig wie nie. Technologische Souveränität, gedacht als vollständige Abschottung, ist keine aussichtsreiche Strategie. Denn die technologischen Entwicklungen sind im ständigen Fluss und das Aufrechterhalten der Souveränität ist eine fortwährende und vor allem eine langfristige Aufgabe: „The technology pipeline must be filled continuously“, wie es Schieferdecker und March (2023) zusammenfassen.

Technologische Souveränität muss daher als eine gesellschaftliche Kompetenz verstanden werden, die wir durch eine ganzheitliche Innovationspolitik herausbilden können. Ihre Instrumente reichen von der öffentlichen Forschungsförderung über den Forschungstransfer bis hin zur Bildungspolitik. Sie erfordert hohe Investitionen in Open-Source-Technologien, in IT-Infrastrukturen und Schlüsseltechnologien wie Mikroelektronik, KI und IT-Sicherheit. Sie erfordert aber auch, der Forschung regulatorische Hürden aus dem Weg zu nehmen. Ein Beispiel: In der laufenden Legislatur ist es trotz vorhandenen politischen Willens nicht gelungen, Forschenden aus der IT-Sicherheit vollumfängliche Rechtssicherheit beim Melden, Schließen und Erforschen von Sicherheitslücken zu gewähren. Die Reform des „Hackerparagrafen“ (Paragraf 202c Strafgesetzbuch) ist überfällig.

Aber nicht nur in der Informatik werden neue Erkenntnisse zunehmend durch softwaregestützte Forschung gewonnen. Effizienz- und Qualitätssteigerungen solcher Forschungssoftware bergen deshalb großes Potential für entsprechende Souveränitätssteigerungen. Deutschland braucht eine institutionelle Unterstützung bei der Entwicklung von Forschungssoftware nach dem Vorbild der Niederlande, um die Entwicklung eines qualitativ hochwertigen „Research Software Engineering“ zu beschleunigen.

Und nicht zuletzt fängt die Bildung digitaler Kompetenzen in der Schule an. Informatische Konzepte und Systeme sind allgegenwärtig. Um die auf ihnen basierende Welt zu verstehen, zu reflektieren und mitzugestalten, ist der Erwerb grundlegender Informatikkompetenzen unerlässlich. Dennoch ist es in Teilen Deutschlands möglich, die Schule abzuschließen, ohne je eine einzige Stunde Informatikunterricht erfahren zu haben. Informatische Bildung ist in Deutschland ein Flickenteppich. Die GI setzt sich daher für eine flächendeckende und nachhaltige Verankerung von Informatik als Pflichtfach in der Sekundarstufe I ein, um unseren Kindern die Möglichkeit zu geben, die digitale Welt aktiv zu gestalten.

Klimaschutz im Code verankern

Im Wahlkampf mag der Klimawandel eine untergeordnete Rolle spielen. Angesichts der rasanten technologischen Entwicklung lässt sich die Bedeutung des Themas jedoch nicht übersehen: So wird für die nächsten fünf Jahre eine Verdoppelung der Rechenzentrumskapazitäten prognostiziert, welche die Materialität der wachsenden digitalen Ökonomie abbilden. Neben dem Energieverbrauch stecken in der Digitalisierung auch massive Rohstoffverbräuche: Nach OECD-Berechnungen wird sich der weltweite Materialbedarf bis 2060 nahezu verdoppeln. Massive Auswirkungen auf das Weltklima sind zu erwarten. Hinzu kommen wachsende geopolitische Abhängigkeiten – ein weiterer Pfeiler der Souveränitätsdebatte.

Unsere Technologien müssen ressourcenschonender werden, länger halten und zu reparieren sein. Damit Wissenschaft und Wirtschaft Maßnahmen ergreifen können, ist die Politik gefordert, eine verbindliche transparente Offenlegung von direkten und indirekten Energie- und Ressourcenverbräuchen digitaler Technologien festzulegen. Über Kennzeichnungen (Label) von effizienter Software und Anforderungen an die öffentliche Beschaffung können zusätzliche Anreize geschaffen werden.

Starke Verschlüsselung für die Wissensgesellschaft

Nicht nur die Wirtschaft, sondern auch Hochschulen werden regelmäßig Ziel von Cyberattacken und Spionage. Diese Angriffe lähmen die Wissenschaft und technologische Souveränität Deutschlands. Ein unverzichtbarer Baustein für sichere IT ist eine starke, kompromisslose Verschlüsselung der Kommunikation. Die GI fordert daher, dass sich eine neue Bundesregierung weiterhin gegen die EU-Chatkontrolle und jegliche Versuche, Verschlüsselung aufzuweichen, einsetzt. Neben dem Recht auf Verschlüsselung ist auch ein konsequenter Datenschutz wichtig für den freien Austausch im Internet. Um der Kommerzialisierung von Nutzungsdaten im Internet Einhalt zu gebieten, ist es wichtig, dass dieser nicht nur gefördert, sondern auch von staatlicher Seite aus gelebt wird.

Eine Digitalstrategie, die diesen Namen verdient

Unsere Welt ist durch die veränderte Sicherheitslage, den Klimawandel, die demografische Entwicklungen und nicht zuletzt die Digitalisierung selbst eine andere geworden. Der Weg, um unsere Freiheit, unsere Demokratie und unseren Wohlstand zu sichern, führt aber nicht über Abschottung und reaktionäre Politik, sondern über ambitionierte Ziele wie die hier dargelegten. Diese Ziele müssen ihrerseits in überzeugende Leitbilder eingerahmt und mit passenden Maßnahmen hinterlegt werden. Kurz: eine Digitalstrategie, die diesen Namen verdient und Wirkungsorientierung in den Mittelpunkt rückt. Immer neue Leuchttürme machen uns nicht digitaler, wenn sie regelmäßig abgeschaltet werden. Der Fokus muss sich von isolierten Digitalisierungsprojekten hin zu einer ganzheitlichen Innovationspolitik mit einem lebenszyklusorientierten Produktmanagement verschieben. Allein werden wir das nicht hinbekommen.

Nikolas Becker leitet das Team Politik und Wissenschaft bei der Gesellschaft für Informatik (GI). Die Gesellschaft für Informatik ist mit mehr als 17.000 Mitgliedern die größte und wichtigste Fachgesellschaft für Informatik im deutschsprachigen Raum und vertritt seit 1969 die Interessen der Informatiker:innen.

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