Inmitten der
globalen Krise stärken deutsche Unternehmen ihre Abwehrkräfte: Die Corona-Krise
hat einen umfassenden Change-Prozess angestoßen, der in wenigen Wochen
leistet, was unter anderen Umständen viele Monate oder gar Jahre gedauert hätte:
Betriebsabläufe werden effizienter, Lieferketten nachhaltiger, wir erleben eine
Digitalisierung im Schnelldurchlauf. Der IT-Branchenverband Bitkom hat vor
kurzem ermittelt, dass knapp drei Viertel aller deutschen Industrieunternehmen ihr Geschäftsmodell transformieren.
Überraschend ist das nicht. Im Gegenteil: Wir erleben in der deutschen Industrie gerade sehr gutes Krisenmanagement. Und während viel über operative Resilienz gesprochen wird, zeigt sich: Technologische Resilienz ist die Voraussetzung dafür. Sie ist überlebenswichtig. Das Büro der Zukunft ist allgegenwärtig und funktioniert überall. Die Fabrik der Zukunft ist eine smarte Fabrik – anders wird die Produktion nicht mehr möglich sein.
Und trotzdem habe
ich mir in den vergangenen Wochen die Frage gestellt: Warum braucht es für
diese Erkenntnis, für diesen Schub erst eine globale Viruskrise? Die Technologien
für eine zukunftsfähige, digitale Wirtschaft und für Industrie 4.0 waren
bereits vor dem Ausbruch der Pandemie vorhanden. Auch die Erkenntnis, dass
Deutschland in Sachen Digitalisierung schleunigst aufholen muss. Es gab ein Knowing-Doing-Gap, ein Problem mit der Umsetzung des
eigentlich vorhandenen Wissens. Der offensichtliche Grund für den eher
zögerlichen Wandel: die fehlende Akzeptanz.
In der Krise zeigt sich plötzlich der Nutzwert
Akzeptanz einer technologischen
Innovation entsteht unter anderem durch den Nachweis ihres Nutzens – wenn also die
neue Technologie drängende Probleme löst. In der Industrie konnte man das gut
beobachten: Die Krise hat die Schwachstellen vieler Wertschöpfungsketten
schonungslos offengelegt, und die Unternehmen mussten handeln. Ständige
Kostenoptimierung hatte vielerorts zu einseitigen Abhängigkeiten
geführt. Gerade zu Beginn der Pandemie haben wir gesehen, was es bedeutet, wenn
90 Prozent aller Antibiotika in einigen wenigen chinesischen Fabriken
produziert werden. Ganz ähnlich war es beim massenhaften Einzug ins Homeoffice
mit all den digitalen Tools, die plötzlich zum Einsatz kamen. Der Nutzen dieser
Programme lag auf der Hand.
Viele Industrieunternehmen in Deutschland haben schnell aus diesen Erfahrungen gelernt, setzen mittlerweile auf eine flexiblere Beschaffungsstrategie. Sie setzen auf digitale Kennzeichnungstechnologien, wodurch sie ihren Produktionsprozess lückenlos nachvollziehen können – und damit die Option haben, Wertströme im Krisenfall umzulenken. Dass dies auf Anhieb funktioniert und keine kostspieligen Testläufe benötigt, ist ebenfalls eine Innovation: „Digitaler Zwilling“ heißt das virtuelle Abbild eines realen Objekts in der Produktionskette und dient unter anderem dazu, Prozesse oder Produkte digital zu simulieren. Eine Innovation mit hohem Nutzen, der vielen Unternehmen gerade das wirtschaftliche Leben rettet.
Mehr Transparenz in der Debatte
Akzeptanz heißt aber
nicht nur Nutzen, sondern auch Verständnis. Innovationen müssen nicht
nur nützlich sein, sie erfordern in demokratischen Gesellschaften auch Transparenz.
Nur wer versteht, kann informierte Entscheidungen treffen. Und verteidigt diese
dann auch gegen Widerstände.
Das gilt in
meinen Augen übrigens nicht nur für die Digitalisierung in der Wirtschaft. Auch
die gerade viel diskutierte Corona-Warn-App ist dafür ein Beispiel. Wir
verlangen Millionen von Bürgern hier viel ab. Und darum brauchen wir auch viel
Aufklärung, Debatte und Transparenz. Nur wer versteht, wie die App funktioniert
und welchen Nutzen sie bringt, wird sie installieren. Die Akzeptanz entscheidet
über ihren Erfolg. SAP und Telekom, die gemeinsam die App entwickeln, dokumentieren ihre Entwicklung deshalb
öffentlich im Netz: Code
und Architektur der Software können von unabhängigen Experten geprüft und
kommentiert werden. Ein demokratischer Audit als Teil des
Programmiervorgangs.
Ich hoffe, dass wir bei allen Schrecken und Sorgen der letzten Wochen etwas vom Digitalisierungsschwung mit in die Zukunft nehmen. Viele Unternehmen haben durch Unterstützung von Bund und EU dazu jetzt die Chance. Aber bleiben wir realistisch: Die Geschwindigkeit der Innovation wird ganz sicher wieder abnehmen. Den Nutzen neuer Technologien müssen wir dann wieder umfassender bewerben. Und wir sollten uns dann auch um mehr Transparenz bemühen. Nicht nur Innovationen entwickeln, sondern auch erläutern und diskutieren. Die deutsche Wirtschaft kann sich schnell erneuern, wenn sie will. Wir müssen sie nur vom Nutzen dieser Transformation überzeugen.
Adel Al-Saleh ist CEO von T-Systems und Mitglied des Vorstands der Deutschen Telekom.