Lässt sich Mut verhandeln? Was klingt wie eine Folge des „philosophischen Quartetts“, beschreibt den Versuch der politischen Quadratur des Kreises, an der EU-Kommission, Europäisches Parlament und EU-Mitgliedsstaaten gerade arbeiten: das vielleicht wichtigste politische Dossier seit der Datenschutzgrundverordnung – die KI-Verordnung der EU.
Digitalminister Volker Wissing (FDP) hat vor wenigen Wochen seine Haltung hierzu zum Ausdruck gebracht: „Was Europa braucht, ist Mut. Mut, sich darauf einzulassen, Innovationen in ihrer Entwicklung nicht einzuschränken, sondern ihnen lediglich Leitplanken vorzugeben.“
Wissings Perspektive spiegelt die sich politisch durchsetzende Erkenntnis wider, dass Künstliche Intelligenz mehr ist als „just another buzz word“. KI hat das Potenzial, Politik, Wirtschaft und Gesellschaft tiefgreifend zu verändern – von grundlegenden Fragen wie der Rolle des Menschen in einer von KI geprägten Welt über Verbesserungen in der Gesundheitsversorgung bis zu Durchbrüchen in Wissenschaft und Bildung. Und in der Wirtschaft kristallisiert sich KI als maßgeblicher Produktivitätsfaktor der nächsten Dekaden heraus. Beispiele?
- Auf der Hannover Messe haben Siemens und Microsoft präsentiert, wie generative KI die Automatisierung und den Betrieb von Fabriken durch KI-gestützte Softwareentwicklung, Problemberichterstattung und visuelle Qualitätsprüfung verbessern kann. Damit können Entwicklungsteams ihren Zeitaufwand und die Wahrscheinlichkeit von Fehlern erheblich reduzieren und so kostspielige Produktionsanpassungen vorbeugen.
- Bis zu 46 Prozent aller Codezeilen, die von Entwickler:innen, die GitHub Copilot nutzen, geschrieben werden, sind vollständig KI-generiert. 75 Prozent der Entwickler:innen, die GitHub Copilot nutzen, geben an, dass sie sich jetzt auf eine befriedigendere Arbeit konzentrieren können. Mit anderen Worten: KI schafft nicht die Programmierer:innen ab, sie macht sie effizienter und zufriedener.
- Gartner schätzt, dass bis 2025 mehr als 30 Prozent der neuen Medikamente und Materialien systematisch mit generativen AI-Techniken entdeckt werden.
Zum politischen „Mutanfall“ in Sachen KI gehört eine weitere Erkenntnis: Die (notwendige!) Regulierung von KI wird ein bedeutsamer Wettbewerbsfaktor auf globaler Ebene. Gesetzgeber:innen weltweit stehen vor einem grundsätzlichen Dilemma: Die unbestrittenen Risiken müssen regulatorisch sinnvoll und schnell adressiert werden. Gleichzeitig darf dies weder zu einem regulatorischen Über- noch zu einem Unterbietungswettbewerb führen. Und eine weitere Herausforderung: Wie kann eine Technologie reguliert werden, die in der Breite als auch Tiefe noch nicht vollständig verstanden ist?
KI-Entwicklung profitiert von Feedback-Schleifen
Gute Regulierung aus Sicht der Anbieter und der industriellen Nutzer:innen von KI-Lösungen sollte sich auf die praktisch relevanten Risiken konzentrieren. Dagegen sollte sie risikofreie oder risikoärmere Anwendungen möglichst wenig einschränken. Sie muss die verschiedenen Technologie-Ebenen widerspiegeln – von Rechenzentren als grundlegender Infrastruktur über die besonders leistungsfähigen Modelle bis zu konkreten Anwendungen. Und sie muss flexibel bleiben für künftige Entwicklungen. KI-Entwicklung profitiert von Feedback-Schleifen; für KI-Regulierung gilt das auch.
Gleichzeitig gilt: Regulierung nimmt KI-Anbieter nicht aus der eigenen Verantwortung, Künstliche Intelligenz von Beginn an sicher und vertrauenswürdig zu entwickeln. Es kann nicht darum gehen, auf Brüssel, London, Washington oder Neu-Dehli zu warten. Microsoft hat bereits 2018 „Responsible AI Principles“ veröffentlicht, die unsere Anforderungen an einen verantwortungsvollen Umgang mit KI darlegen. Sicherheit und Vertrauenswürdigkeit sind kein Add-on, sondern essenzieller Teil der Produkterfahrung.
Ein Beispiel hierfür ist unser „Microsoft Copilot Copyright Commitment“: Microsoft steht dafür ein, wenn ein Dritter einen unserer Unternehmenskunden auf der Grundlage verklagt, dass dieser eine Urheberrechtsverletzung durch von unseren Copilot-Diensten generierte Ausgabeinhalte begangen habe.
KI: Chance auf globale Regulierungsharmonisierung
Sichere und vertrauenswürdige KI wird aus einem Zusammenspiel zwischen Regulierung und kreativen Lösungen hervorgehen. Deshalb braucht es einen engen Austausch zwischen Regierung und Industrie, um die besten Köpfe aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft zusammenzubringen. Ein fruchtbarer Dialog zwischen allen Beteiligten aus Politik und Industrie ist entscheidend, um sicherzustellen, dass die Gesetzgebung mit der Geschwindigkeit, mit der KI entwickelt wird, Schritt hält. Dieser Dialog muss auch international geführt werden, denn KI ist ein globaler Produktivitäts- und Wettbewerbsfaktor.
Das Fundament für diesen internationalen Dialog ist bereits gelegt: Der G7 „Hiroshima Prozess“ hat das Ziel, vereinheitlichte Sicherheitsprinzipien für Künstliche Intelligenz zu definieren. Gelingt dies, könnte Künstliche Intelligenz zum ersten Beispiel einer von Beginn an international abgestimmten Technologie-Basisregulierung werden. Dies wäre nicht nur ein Quantensprung für die Grundsatzfrage globaler Regulierungsharmonisierung, sondern auch für die Rolle der G7 insgesamt. Ein solcher Ansatz macht nationale und regionale Ansätze wie die KI-Verordnung nicht obsolet. Aber er ist eine Antwort auf die globale Wettbewerbsdimension der Regulierung. Kann man Mut also verhandeln? Über das „Wie“ mit Sicherheit. Über das „Ob“ besser nicht.
Wolfgang Dierker
ist der General Manager Corporate, External & Legal
Affairs bei Microsoft Deutschland.