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Standpunkte Für eine bessere öffentliche Beschaffung in Europa

Amelia Andersdotter und Daniel Melin von Safespring AB
Amelia Andersdotter und Daniel Melin von Safespring AB Foto: Safespring AB

In öffentlichen Ausschreibungen wird selten Wert auf Technologieoffenheit gelegt, auch maximieren sie den Nutzen für Steuerzahler:innen kaum, finden Amelia Andersdotter und Daniel Melin. Sie fordern eine neue, verantwortungsvolle Form der Auftragsvergabe. Dafür sollten Behörden, ähnlich wie bei Forschungsprojekten, auf ein Konsortiumsmodell setzen, schlagen die beiden im Standpunkt vor.

von Amelia Andersdotter und Daniel Melin

veröffentlicht am 22.07.2024

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Öffentliche Ausschreibungen respektieren momentan selten die Technologieoffenheit oder maximieren den Nutzen von Steuergeld. Was wir brauchen, ist eine Beschaffung, die anerkennt, dass es öffentliche Kerninteressen im Bereich Informationsinfrastrukturen gibt. Dazu gehört es unbedingt, sogenannte Lock-in-Effekte (also die einseitige Bindung an einen Anbieter) zu vermeiden, ebenso wie es wichtig ist, technologieoffene und austauschbare Komponenten mit offenen Schnittstellen zu verwenden.

Genauso wichtig ist es aber auch, den Mut zu haben, diese Anforderungen dann gegenüber marktbeherrschenden Anbietern tatsächlich zu stellen und zu verteidigen.

Werden Richtlinien auch umgesetzt?

Europa muss seine Behörden dafür mobilisieren, Lösungen zu beschaffen, die auf dem Markt Anreize für Sicherheit, Widerstandsfähigkeit, Souveränität und Flexibilität ohne Lock-In-Effekte schaffen. Mittel- bis langfristig wird nur dieser Weg zu besseren Verwaltungsleistungen führen, ohne dass Sicherheit oder Souveränität geopfert werden müssen.

Außerdem vermeiden wir so das Problem, dass wir uns auf Lösungen festlegen, nur weil sie „bei mir hergestellt werden“ oder weil „Anbieter X so dominant ist, dass wir nichts anderes beschaffen können“.

Während einige europäische Mitgliedsstaaten bereits Schritte in Richtung einer solchen kompetenten Beschaffung unternommen haben, ist nicht klar, ob die Richtlinien auch umgesetzt werden. Das deutsche Beispiel der SAGA-Richtlinien sticht hervor. Behörden scheinen geistig, finanziell und organisatorisch in der Abhängigkeit bei einem Anbieter gefangen zu sein (Vendor-lock-in), und jede neue Softwaregeneration scheint diesen Lock-in noch zu verschlimmern.

Und während die Behörden sich scheuen, die Anforderungen zu erstellen, die es für die Freiheit unseres Kontinents bräuchte, können sie sich als einziges alternatives Auswahlkriterium in den Ausschreibungen den geografischen Standort eines Dienstleisters vorstellen.

Eine gewaltige Kompetenzlücke

In einigen EU-Mitgliedstaaten, etwa Schweden, sitzt der Lock-In so tief, dass die Regierung nicht einmal in der Lage ist, für lokale Behörden klare Leitlinien für eine offene und freie Auftragsvergabe zu formulieren. Die Diskussionen laufen fieberhaft immer wieder für oder gegen den dominierenden Anbieter aktueller Informationsinfrastruktur.

Dabei braucht es nicht nur Leitlinien, sondern auch deren wirksame Umsetzung. Wir müssen Behörden dabei helfen, Fähigkeiten für diese kompetente Beschaffung zu entwickeln. Dazu gehört zum Beispiel die Fähigkeit, zu erkennen, wann und wie sie Informationen verwenden und wiederverwenden wollen; wie sie schon vorhande Bausteine benutzen können, die im europäischen gemeinfreien Raum als Lösungen für den öffentlichen Sektor bereits existieren; und wann es eine Anpassung von bestehenden Bausteinen braucht.

Wir stehen vor einer zentralen Kompetenzlücke, die es zu schließen gilt – nicht nur auf EU-Ebene, sondern auch in jedem Mitgliedstaat.

Europäische Anforderungen für Basisprodukte

Der Weg vorwärts sollte auf gesundem Wettbewerb und grenzüberschreitendem Handel beruhen, ohne die digitale Souveränität Europas zu opfern. Um das zu erreichen, brauchen wir klare Anforderungen, an die sich der öffentliche Sektor halten kann.

Man kann nicht davon ausgehen, dass jede europäische Behörde über Lock-in-Effekte, digitale Souveränität oder offene Standards Bescheid weiß. Wir brauchen deshalb einen Wandel auf politischer Ebene, der eine Vision für ein interoperables, offenes, wettbewerbsfähiges und souveränes Europa durchsetzt.

Ein erster Ansatzpunkt könnte sein, auf europäischer Ebene klare Anforderungen für einige wenige Dienste zu formulieren, die jeder braucht und benutzt und sowohl intern als auch grenzüberschreitend: Das sind zum Beispiel Tools für Videokonferenzen und Instant Messaging. Wir müssen also die Anforderungskataloge für solche Tools formulieren, damit diese bequem und verantwortungsbewusst sind. Nur dann lohnt es sich, dafür kurz-, mittel- und langfristig Steuergelder auszugeben.

Die technischen Anforderungen sollten nicht in einem Vakuum entstehen, sondern in enger Zusammenarbeit mit den Anbietern, die in der Lage und willens sind, technologieoffene Lösungen mit offenen Schnittstellen bereitzustellen.

Zusammenarbeit in Konsortien

Wir müssen in Lösungen investieren, die auf lokaler und globaler Ebene funktionieren. Diese Dienste sollten Behörden ermöglichen, das Maß an juristischer und technischer Kontrolle über die Daten zu behalten, die durch diese Anwendungen generiert und gespeichert werden.

Um die Anpassungsfähigkeit der Lösungen an die spezifische Situation in jedem Mitgliedstaat zu gewährleisten, brauchen wir transparente Codes und Funktionen. Solche Transparenz wird auch jeder Behörde helfen, ihre Lösungen mit anderen öffentlichen Einrichtungen zu teilen.

Der Aufbau von Konsortien ist ein Bereich, in dem die europäischen Institutionen über viel Erfahrung verfügen. 30 Jahre Erfahrung mit europäischen Forschungsprojekten verschaffen Routine dabei, eine ausgewogene Anzahl von Teilnehmern aus verschiedenen Teilen der Union zu finden und dabei unterschiedliche Fachkenntnisse zu kombinieren.

Das macht das Konsortiumsmodell für den Bereich der Ausschreibungsformulierung institutionell und wirtschaftlich machbar. Wir können dafür einen existierenden, organisatorischen Block umfunktionieren, um die Funktion zu erreichen, die wir haben wollen. Die Frage ist, wie Mitgliedstaaten mit diesem Modell interagieren und es unterstützen sollen.

Kommission setzt eigene Forderungen nicht um

Die derzeitigen Probleme sind allgemein bekannt. Europa ist völlig abhängig von Hardware aus Asien und Software aus Amerika, obwohl die EU-Kommission viele mutige Schritte unternommen hat, das zu ändern.

Aber: Noch nicht einmal die europäische Kommission beschafft bisher Lösungen, die Europa von Lock-In-Effekten befreien oder die europäische Souveränität erhöhen. Wenn der Wandel also nicht an der Spitze anfängt, muss er vielleicht von unten kommen?

Wenn wir Verwalter wie die schwedische Rentenagentur, den slowenischen staatlichen Cloud-Dienstleister und Frankreichs CLIPOS-Teams finden, die lokalen Behörden mit der Implementierung und Umsetzung von europäischen Leitlinien helfen – dann ist das vielleicht der Weg für eine wirksame und wagemutigere Formulierung von Anforderungskatalogen, die für den ganzen europäischen öffentlichen Bereich funktionieren.

Amelia Andersdotter ist gerade Risk and Compliance Officer beim schwedischen Cloud-Dienstleister Safespring AB. Von 2011 bis 2014 war sie Abgeordnete im Europaparlament für die schwedische Piratenpartei.

Daniel Melin hat mehr als 25 Jahre Erfahrung in der öffentlichen Beschaffung von Informationsinfrastrukturen. Er hat seine Karriere technologieneutralen und zugänglichen Infrastrukturen im öffentlichen Interesse gewidmet.

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