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Standpunkte Geimpft? Wie ein „Datum“ über unsere Freiheit entscheiden könnte

Stefan Brink, LfDI in Baden-Württemberg
Stefan Brink, LfDI in Baden-Württemberg Foto: Kristina Schäfer

Mitten im „Light-Lockdown“ und mit Perspektive auf ein nicht ganz unbeschwertes Weihnachtsfest hoffen wir aufatmen zu können: Bald könnten wir unsere Freiheiten wiedererlangen. Selbstverständliches wie Reisen, Konzerte und die Kaffeerunde mit den Kolleg*innen rückt in greifbare Nähe. Aber: Für wen genau? Für alle? Wohl kaum, schreiben Stefan Brink und Clarissa Henning.

von Stefan Brink

veröffentlicht am 08.12.2020

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Die bedingte Zulassung des Covid-19-Impfstoffs der Firmen BioNtech und Pfizer in Großbritannien rückt die sehnlich erwartete Möglichkeit einer Immunisierung gegen das Virus auch in Deutschland in greifbare Nähe. Mit Hochdruck arbeiten die Behörden nun daran, die nötige Infrastruktur in Form von Impfzentren aufzubauen, um so schnell wie möglich impfen zu können – jedenfalls (und nur!) diejenigen, die sich impfen lassen möchten. Teil der Infrastruktur wird ein sogenanntes Impfregister sein, in dem festgehalten wird, wem wann wo welcher Impfstoff injiziert wurde. Dies ist nötig, um die dauerhafte Wirksamkeit des Impfstoffs nachverfolgen zu können, wichtige Erkenntnisse für eine unbedingte Zulassung des Impfstoffes zu sammeln, Nebenwirkungen und Wechselwirkungen mit anderen Arzneimitteln zu erkennen und mögliche Spätfolgen der Impfung zu identifizieren. Hierbei haben die Bundes- und die Landesdatenschutzbehörden ein wachsames Auge darauf, dass die für das Impfregister nötigen personenbezogenen und besonders sensiblen Daten der Geimpften nur für eben diese Zwecke genutzt werden – und der Zugriff auf diese Daten dezidiert begrenzt wird auf einen engen Kreis von Gesundheitsbehörden und Forschungseinrichtungen. Nur diese.

Allerdings planen schon die ersten Unternehmen, diese Freiwilligkeit der Impfung zu unterlaufen. So will die Fluggesellschaft Qantas nur Fluggäste befördern, die einen Corona-Impfschutz nachweisen können. Und bei uns Datenschützern häufen sich die Anfragen von Arbeitgebern, ob sie den Impfstatus ihrer Beschäftigten erfragen und Nicht-Geimpfte zurückweisen dürfen. Wir gehen also auf eine gespaltene Gesellschaft zu: hier die Geimpften, dort die nicht oder noch nicht Geimpften. Gesamtgesellschaftliche Güter und Freiheitsrechte werden zu Privilegien Weniger – das ist nicht die Rückkehr zum „Normalzustand“. Solche Vorstöße unterminieren zudem das Vertrauen in die Zusagen des Staates, keinen zur Impfung zu zwingen. Jenes Staates, der angesichts eines misslingenden Lockdowns mit einer gravierenden Erosion gesellschaftlicher Solidarität zu kämpfen.

Freie Entscheidung geht nur ohne Diskriminierung

Es wird in dieser Pandemie keine Impfpflicht geben.“ Dieses Versprechen hat Gesundheitsminister Jens Spahn den Bürgerinnen und Bürgerinnen erst jüngst wieder gegeben. Frei kann die Entscheidung für eine Impfung jedoch nur sein, wenn sie nicht durch die Gefahr von Diskriminierung überlagert wird. Eine Diskriminierung stellt es nämlich dar, wenn mein Zugang zu Freizeitaktivitäten, Beförderungsmitteln oder sogar dem eigenen Arbeitsplatz davon abhängt, ob ich bereit bin, mich impfen zu lassen und meine ganz private Impf-Entscheidung dann auch öffentlich zu machen. Das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung – selbst zu entscheiden, wem ich meine persönlichen Gesundheitsdaten offenbare – wird also wesentlich beschnitten und gegen das „Sicherheits-Mantra“ der modernen Gesellschaft, die „Volksgesundheit“ und die Freiheitsrechte der Geimpften ausgespielt. Einer sozialen Spaltung der Gesellschaft wird so Vorschub geleistet, der soziale Druck auf den Einzelnen unerträglich erhöht.

Und das ist auch noch aus anderen Gründen unfair: Es wird einige Zeit dauern, bis alle Impfwilligen geimpft werden können. Auch hier wird es klarer Richtlinien bedürfen, damit nicht der Eindruck einer Mehr-Klassen-Gesellschaft entsteht. Undenkbar, wenn die Reihenfolge der Impfung dann auch noch ausschlaggebend dafür wäre, wann Einzelne wieder in den Urlaub fliegen dürfen, während andere noch nicht mal in das Restaurant um die Ecke gehen dürfen. Auch mit Blick auf die weltweit sehr ungleiche Verteilung an Impfstoffdosen würde nicht nur eine nationale, sondern auch die globale Spaltung befeuert. So gehen laut Berechnungen zwei Drittel des Impfstoffes an die 50 reichsten Länder, ein Drittel an den Rest der Welt.

Und schließlich: Nicht geimpft bedeutet ja keineswegs: infiziert. Die weit überwiegende Mehrheit der Bevölkerung hatte keinen Kontakt mit dem Virus und wird ihn auch nicht haben. Es geht also mal wieder um Risikobewertung – und um Risikoverhalten. Und um eine moderne Gesellschaft, die selbst mit begrenzten, selbst mit sinkenden Risiken nicht umgehen möchte.

Der Gesetzgeber ist einmal mehr gefragt

Wenn wir es dulden, dass einzelne Unternehmen Menschen aufgrund ihrer Gesundheitsentscheidungen diskriminieren und ausschließen, werden viele nachziehen. Und das mit durchaus plausiblen Argumenten: Spricht nicht die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers gerade für eine Diskriminierung nicht impfwilliger Kolleg*Innen? Und wenn wir schon dabei sind: Warum sollte man dann nicht auch den Nachweis weiterer Gesundheitsmaßnahmen fordern? Es ist leicht zu erkennen, dass von „Freiwilligkeit“ der Impfung bald nicht mehr gesprochen werden kann – und auch nicht mehr von informationeller Selbstbestimmung. Die Gesellschaft wird so in zwei Klassen geteilt: Geimpft oder Nicht-Geimpft.

Dieser Zustand wäre schon gänzlich unannehmbar, wenn wir davon ausgingen, dass eine Impfung zu 100 Prozent sicherstellt, dass Geimpfte nicht nur immun gegen eine Corona-Ansteckung sind, sondern auch andere nicht mehr anstecken können. Dies ist zum jetzigen Zeitpunkt jedoch noch völlig unklar. Auch nach Zulassung des ersten Impfstoffes werden wir weiterhin mit Ungewissheit umgehen müssen und geeignete Vorsichtsmaßnahmen wie Maskenschutz treffen.

Hier ist also der Gesetzgeber gefordert, sich klar zu positionieren, was nur mit einem Antidiskriminierungsgesetz möglich ist, das klare Verbote formuliert. Es muss gesetzlich garantiert werden, dass private Unternehmen und Arbeitgeber die Vorlage eines Impfpasses nicht verlangen dürfen. Der Zugang zu Dienstleistungen, Waren oder zur Arbeitsstelle darf nicht über die Abfrage des Impfstatus reguliert werden. Folglich sollte das Gesetz festlegen, dass der Impfstatus nur im Impfregister, begleitet von datenschutzrechtlichen Maßnahmen, dokumentiert werden darf. Der Zugang zu diesen Daten muss begrenzt und kontrolliert sein, sodass sie nur für medizinische Zwecke genutzt werden. Andernfalls wird die Abfrage eines einzelnen Datums einen Erdrutsch lostreten, der uns den Rückweg in die freiheitliche und gleiche (!) Gesellschaft verbaut. Geimpft oder nicht geimpft? Das darf nicht die Frage sein!

Dr. Stefan Brink ist seit dem 1. Januar 2017 Landesbeauftragter für den Datenschutz und die Informationsfreiheit in Baden-Württemberg. Von 2008 bis 2016 war er Leiter Privater Datenschutz beim Landesbeauftragten für den Datenschutz Rheinland-Pfalz, seit 2012 zugleich stellvertretender Landesbeauftragter für die Informationsfreiheit Rheinland-Pfalz.

Clarissa Henning ist seit Februar 2020 Referentin für digitale Datenkompetenz und Datenethik beim Landesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit Baden-Württemberg. Zuvor hat sie zehn Jahre als Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Hochschule der Medien in Stuttgart gearbeitet, zuletzt als Geschäftsführerin am Institut für Digitale Ethik (IDE). Sie promoviert an der Universität Passau.

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