„Kulturkiller Mobilfunk?“ so lautete der Titel eines kürzlich im Tagesspiegel Background erschienen Beitrags über die mögliche Freigabe von Niedrigfrequenzen für den Mobilfunk ab 2030. Die These: Der Mobilfunk könne bald das Grab für zahlreiche kulturelle Veranstaltungen schaufeln. Als Mitglied des Vorstandes von O2 Telefónica, einem der drei großen Mobilfunkanbieter in Deutschland, widerspreche ich dem deutlich: Deutschland braucht eine digitale Infrastruktur mit leistungsfähigem Mobilfunk. Dabei wollen wir weder der Kulturszene noch dem Rundfunk den Hahn abdrehen. Wir wollen die digitale Lebensader unseres Landes gestalten. Und dazu muss der steigende Bedarf an Übertragungsrate und Datenvolumen in den Mobilfunknetzen bedient werden. Diese Diskussion dürfen wir nicht auf die Zukunft der Rundfunkfrequenzen reduzieren.
„Die Branche will mehr. Und zwar Frequenzen, die im Moment von anderen Parteien genutzt werden“, hieß es in dem Beitrag. Richtig ist: Die Branche braucht mehr. Allerdings nicht zu Lasten einzelner Parteien, sondern zugunsten aller Lebensbereiche unserer Gesellschaft und zu Gunsten von jedem von uns, der täglich ein Smartphone nutzt. Wir brauchen den Mobilfunk und eine flächendeckende leistungsfähige Netzinfrastruktur, um das Leben aller Menschen besser zu machen. Mit dem Mobilfunk und dem Digitalen erreichen Menschen Klimaziele, gestalten Arbeiten und Leben flexibler, vereinfachen Verwaltungsprozesse und nehmen am sozialen Leben teil. Und mit letzterem meine ich explizit auch die Teilnahme an kulturellen Veranstaltungen.
Deutschland braucht eine vorausschauende Frequenzpolitik
Die Gigabitstrategie der Bunderegierung lässt sich nur mit einer vorausschauenden Frequenzpolitik umsetzen. Dazu gehört der Verzicht auf überteuerte Frequenzauktionen genauso wie eine sogeanannte ko-primäre Nutzung des Frequenzbandes unter 700-Megahertz (MHz) für den Mobilfunk. Neben der bestehenden primären Widmung für den Rundfunk, bedarf es der zusätzlichen primären Widmung für den Mobilfunk, so dass beide Technologien gleichwertig nebeneinanderstehen. Wenn Mobilfunk, Rundfunk und Kulturszene kooperieren, können die Niedrigfrequenzen in Zukunft sehr viel besser genutzt werden, als es heute der Fall ist. Das würde einen enormen Schub für die flächendeckende Digitalisierung auslösen. Die Ausbreitungseigenschaften des Frequenzspektrums unter 700 MHz sind hervorragend geeignet, um weite Distanzen zu überwinden und eine stabile, leistungsstarke Verbindung zu sichern. Daher eignet sich dieses Spektrum besonders gut, Menschen und Unternehmen in ländlichen Regionen mit Mobilfunk zu versorgen.
Im Rahmen der Diskussion um die ko-primäre Nutzung des Bandes unter 700 MHz haben wir bereits mehrfach vorgeschlagen, dass die Duplexlücken für Kulturschaffende zur Verfügung gestellt werden. Duplexlücken sind vom Mobilfunk ungenutzte Frequenzbereiche. Zudem existieren oberhalb von 1 Gigahertz (GHz) weitere zugängliche Frequenzbänder für Funkmikrofone, die wegen der geringen erforderlichen Reichweiten, etwa im Theaterumfeld, technisch gleichwertig sind. Zudem profitiert auch die Kulturbranche von einer leistungsfähigen Mobilfunkinfrastruktur. Denn hybride Formate, Konzertstreams und Liveberichte via Social Media gehören heute selbstverständlich dazu.
Der terrestrische Rundfunk ist ein Auslaufmodell
Größter Nutzer der Niedrigfrequenzen sind nicht die Kultur- und Eventakteure, sondern die Rundfunkanstalten. Sie verwenden das Flächenspektrum, um lineares Fernsehen über DVB-T2-Antennen terrestrisch zu übertragen. Tatsächlich empfangen deutschlandweit lediglich sechs Prozent der Haushalte lineares Fernsehen über Antenne. Das zeigt eine Studie des Fraunhofer ISS im Auftrag der Bundesnetzagentur. Es ist davon auszugehen, dass die Nutzung perspektivisch weiter zurückgehen wird. Das mobile Datenvolumen hingegen wächst. Der Mobility Report 2022 von Ericsson prognostiziert weltweit eine Vervierfachung bis 2028. Um dieses steigende Datenvolumen durch das Mobilfunknetz zu transportieren, bedarf es zusätzlicher Frequenzen. Treiber für das Datenvolumen ist zum Großteil das Video-Streaming. Jeder dritte Bundesbürger streamt täglich. Nicht nur bei Netflix und Co, sondern auch in den Mediatheken des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Abgesehen von Youtube erzielen die Mediatheken von ARD und ZDF mit jeweils 52 Prozent die höchsten Reichweiten. Auch die Rundfunkanstalten würden somit von einer Nutzung des UHF-Bandes durch den Mobilfunk profitieren.
Wir brauchen eine Frequenzpolitik für alle Lebensbereiche
Wir können die digitale Zukunft Deutschlands nur positiv gestalten, wenn die Frequenzpolitik die digitale Grundversorgung der gesamten Gesellschaft unterstützt. Mehr als 66 Milliarden Euro haben die Mobilfunkanbieter seit dem Jahr 2000 für die Ersteigerung von Frequenzen ausgegeben. O2 Telefónica nutzt das 2019 ersteigerte Spektrum, um ein 5G-Netz mit hohen Datenraten auszubauen. Dieses Spektrum wird jedoch bis zum Ende dieses Jahrzehnts physikalisch nicht ausreichen, um die Nachfrage nach mobilen Daten zu bedienen. Derzeit stehen keine weiteren Frequenzbänder bereit, mit denen das erwartete Verkehrswachstum bedient werden könnte.
Für Kulturschaffende und den Rundfunk stellt die ko-primäre Nutzung der Frequenzen keine Einschränkung dar. Kulturschaffenden steht die drahtlose Übertragungstechnik weiterhin zur Verfügung und der Bedarf an terrestrischen Übertragungen wird gegen Null gehen. Für die Mobilfunkanbieter und alle Menschen, die ihr Leben mit dem Digitalen einfacher, produktiver und nachhaltiger machen, ist die Verfügbarkeit neuer Frequenzbänder dagegen von zentraler Bedeutung. Wir müssen jetzt eine Entscheidung für die Zeit ab 2030 treffen. Wir dürfen der Zukunft nicht die Tür verschließen, sondern müssen sie vielmehr öffnen!
Valentina Daiber ist Vorständin Recht und Corporate Affairs von O2 Telefónica.
In dieser Funktion verantwortet sie die Bereiche Recht, Compliance,
Corporate Security und Datenschutz sowie die Regulierungsarbeit des
Unternehmens, die Beziehungen zu Behörden und Regierungsstellen und den
Bereich Corporate Responsibility & Sustainability. Zudem führt sie
die Hauptstadtrepräsentanz von Telefónica und das Basecamp in Berlin.