Wer erinnert sich an Klapp-Handys? Diese „Clamshells“ waren Anfang der 2000er-Jahre der Renner. Spätestens nach zwei Jahren funktionierte der Klapp-Mechanismus nicht mehr. Und wer damals sein Gerät auf einer Reise in die USA mitnahm, wurde schnell enttäuscht: Sie konnten sich – Klappe hin oder her – aufgrund unterschiedlicher Mobilfunkstandards nicht mit dem Netz verbinden. Unvorstellbar für die heutige Jugend – aber vielleicht nicht mehr lange. Denn 5G könnte der letzte weltweit einheitliche Mobilfunkstandard gewesen sein. Der Grund dafür ist nicht die Technik, sondern die Geopolitik.
Aber der Reihe nach: Ein einheitlicher globaler Mobilfunkstandard ist eigentlich ein relativ neues Phänomen. Bis 2009 existieren in den USA, Europa und China unterschiedliche Mobilfunkstandards. GSM/UMTS war der von europäischen Unternehmen (unter anderem von Ericsson, Nokia, Vodafone und Telefónica) geförderte Standard, während US-amerikanische Technologieunternehmen wie Qualcomm und Verizon den CDMA-Standard implementierten. China hatte ebenfalls seinen eigenen Standard namens TD-SCDMA. Die unterschiedlichen Standards waren vor allem lästig und für die Endgerätehersteller teuer. Erst mit 4G, das 2009 eingeführt wurde, gab es ein global einheitliches Netz. Für die Smartphone-Revolution ab Einführung des ersten iPhones 2007 ein echter Schub. Es gab aber neben den Handy-Herstellern noch einen anderen Gewinner: Huawei. 4G war das „Window of Opportunity” für Huawei, um zu einem globalen Tech-Giganten zu werden. Bei der Entwicklung des 3G-Standards war die Firma noch nicht einmal mit am Tisch, bei 4G steuerte das Unternehmen schon fast ein Viertel aller 4G-Patente bei und wurde anschließend zum Technologieführer bei 5G.
Geopolitisierung des Standards
Warnungen, dass diese Dominanz ein Risiko für die nationale Sicherheit darstelle, werden ironischerweise vor allem nach der Snowden-Affäre 2013 lauter: Wer könne ausschließen, dass Huawei auf Gesuchen der chinesischen Regierung Hintertüren ins Netz einbaue? Zwar wurden solche Hintertüren bei ausführlichen Gerätetests nicht gefunden, aber – so die Kritiker – wer könne schon ausschließen, dass das nächste Softwareupdate nicht kompromittiert sei? Spätestens seit dem Amtsantritt Donald Trumps 2017 gehört die Tech-Gretchen-Frage „Wie hältst Du es mit Huawei?“ zur geopolitischen Debatte. Die US-Regierung nutzt verschiedene Politikinstrumente wie unternehmensspezifische Exportkontrollen und Zulassungsverweigerungen für die Verwendung von Huawei-Produkten in US-Netzwerken, um dessen Marktdominanz einzuschränken.
Das Problem ist: Das Entfernen von Huawei-Komponenten aus existierenden Netzen ist extrem teuer. Für Deutschland werden die Kosten von der Investmentbank Barclays auf 2,5 Milliarden geschätzt. Deswegen ist es zur Priorität der US-Regierung geworden, die nächste Generation der Telko-Infrastruktur – 6G – von Anfang an Huawei-frei zu halten und so das erwähnte „window of opportunity“ zu schließen.
Und damit sind wir bei der Frage, wie sich diese Geopolitisierung der Telko-Infrastrukturen auf den 6G-Standard auswirkt. Industrie-Manager merken, dass sich die Spielregeln der Standardsetzung geändert haben. Magnus Fordigh, Leiter der Forschungsabteilung von Ericsson, sagte gegenüber Politico: „[Die aktuelle geopolitische Landschaft ist] viel heißer, es geht jetzt um nationale Sicherheit, (...) den geopolitischen Wettbewerb.“
Mike Koziol, Mit-Herausgeber der Zeitschrift IEEE Spectrum, stimmt dem zu: „Die anhaltenden Spannungen im geopolitischen Wettbewerb zwischen den USA und China werden sich in einem neuen Telekommunikationsstandard niederschlagen – und zwar schon bei der Entwicklung. (...) Geopolitik und Technik sind im Bereich 6G untrennbar miteinander verbunden.”
6G-Planspiele
Wie die geopolitisierten 6G-Netze genau aussehen würden, ist noch offen. Noch befindet sich die 6G-Entwicklung in der Frühphase. So richtig losgehen dürfte es am Ende der Dekade. Klar ist, dass die 6G-Standards neben der Huawei-Frage jede Menge geopolitischen Sprengstoff bergen. Erstens geht es um die Frage, welche Rolle offene Standards und die Entbündelung von Hard- und Software spielen werden. Disaggregierte RAN-Modelle wie O-RAN könnten den existierenden Technologie-Stack fundamental verändern, zum Leidwesen von Komponenten-Anbietern. So ein 6G-Netz sähe dann aus wie das Internet. Weniger Kontrolle über das Kernnetz, eine größere Vielfalt von Akteuren. Zweitens geht es um die Frage, welche Kontrollpunkte staatliche Institutionen haben werden. Ein kontrollzentrisches 6G würde wahrscheinlich einen „tiefen Eingriff“ in mit dem Netzwerk verbundene Geräte für staatliche Institutionen ermöglichen.
Klar dürfte sein, dass die Etablierung eines westlichen Standards jede Menge diplomatischer Finesse bedarf. US-Konzerne decken nur einen kleinen Teil der benötigten Technologien ab. Hier wird die Abstimmung mit Europa und den europäischen Technologie-Lieferanten wie Nokia und Ericsson eine zentrale Rolle spielen. Ganz ohne Widerspruch dürften auch westliche TK-Komponenten-Anbieter die Spaltung des 6G-Standards nicht hinnehmen. Immerhin droht hier eine erhebliche Verkleinerung des Gesamtmarktes, wenn China einen separaten Standard etablieren würde.
Tough New World
Was wären die Konsequenzen eines gespaletenen 6G-Standards? Für den normalen Urlauber dürfte es eine kleine Unannehmlichkeit bleiben. Für global agierende Unternehmen, deren Produkte sich immer mehr durch Konnektivität auszeichnen, wird es allerdings richtig kompliziert. Denn ein doppelter Standard würde deutlich erhöhte Entwicklungs- und Betreiberkosten nach sich ziehen. Wie bei allen Versuchen der „Geopolitisierung von Technologie“ bleibt es am Ende dabei: Technologie wird teurer werden – und bezahlen wird es letztendlich der Konsument.
Ansgar Baums ist Co-Autor des kürzlich erschienen Buches „Tech Cold War. The Geopolitics of Technology“ und Senior Fellow beim Stimson Center.