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Standpunkte Medienkompetenz statt Social-Media-Verbot

Tabea Rößner (Grüne), Vorsitzende des Digitalausschusses
Tabea Rößner (Grüne), Vorsitzende des Digitalausschusses Foto: Stefan Kaminski

Ein Social-Media-Verbot für Jugendliche löst das Problem nicht, sondern verlagert es nur, schreibt Digitalpolitikerin Tabea Rößner (Grüne). Stattdessen sollte der Fokus auf Medienkompetenz und einer strengeren Plattformregulierung liegen.

von Tabea Rößner

veröffentlicht am 09.12.2024

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Kontrovers wird derzeit das Social-Media-Verbot in Australien für Kinder- und Jugendliche unter 16 Jahren diskutiert. Themen wie Cybermobbing, Cybergrooming, sinkende Aufmerksamkeitsspanne oder Abhängigkeitssymptome sind nur einige der Herausforderungen, vor denen wir aktuell stehen. Doch ein reines Verbot wird diese Probleme nicht beheben.

Ein Grundproblem sind die Designs vieler Plattformen, die darauf abzielen, Nutzende möglichst lange zu binden. Ein häufig von Eltern, aber auch Lehrkräften, genanntes Beispiel sind die sogenannten „Flammen“ bei Snapchat: Flammen (=Punkte) werden nur gesammelt, wenn täglich Bilder zwischen Freund:innen ausgetauscht werden, andernfalls verfallen alle Punkte und sie fangen wieder bei 0 an. Solche Mechanismen fördern ungesundes Verhalten und setzen junge Menschen unter Druck. Diese, aber auch viele weitere Praktiken müssen meines Erachtens verboten werden, denn suchterzeugende Designs sind für Kinder und Jugendliche absolut schädlich. Daher begrüße ich es sehr, dass die Europäische Kommission sich diesem Thema annimmt.

Kompetenzen fördern statt Probleme verschieben

Die Gefahren von Social Media für Kinder und Jugendliche sind mittlerweile erkannt worden. Die Debatte sollte sich daher nicht auf die Frage, ob“ wir handeln müssen konzentrieren, sondern auf das wie. Dabei bin ich überzeugt, dass wir die Probleme an der Wurzel angehen müssen. Ein pauschales Verbot der Nutzung unter 16 Jahren, wie es das australische Gesetz vorsieht, ist meines Erachtens nicht die Lösung, sondern verschiebt die Probleme bestenfalls in der Altersspanne nach hinten.

Nicht nur als Medien- und Digitalpolitikerin, sondern auch als Mutter weiß ich, wie wichtig es ist, dass Kinder und Jugendliche den bewussten und kritischen Umgang mit sozialen Medien erlernen. Dies ist sowohl eine Aufgabe der Eltern als auch der Schule. Schulen müssen digitale Bildung stärker in Lehrpläne integrieren und Medienkompetenz fördern. Eltern sollten gezielt unterstützt und geschult werden, Verantwortung zu übernehmen, ihre Kinder sicher durch die digitale Welt zu begleiten.

Die Sorgepflicht, die ihnen analog zukommt, gilt auch digital. So wenig wie Eltern ihre Kinder allein in ein Fußballstadion schicken würden, dürfen Kinder auch nicht ohne Aufsicht online unterwegs sein. Digitale Tools wie zum Beispiel Zeitbegrenzung für Apps sollten bekannter gemacht und effektiv genutzt werden.

Rahmenbedingungen für ein sicheres Onlineumfeld schaffen

Ein Verbot bis 16 Jahre wie in Australien – zumal nur für bestimmte Plattformen, wie Tiktok, Snapchat & Co – halte ich daher für nicht zielführend. Jugendliche finden zudem oft Wege, solche Regeln zu umgehen, oder weichen auf alternative Plattformen aus.

Auch die Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz (BzKJ) kritisiert die australische Initiative, da sie gegen das Recht auf digitale Teilhabe verstoße (Art. 17 UN-Kinderrechtskonvention). Ich stimme dem zu, denn neben den vielen Gefahren und Problemen, bringt Social Media auch Vorteile mit sich.

Aber: Wir müssen Plattformen strenger in die Verantwortung nehmen. Als Gesetzgeber ist es unsere Aufgabe, Rahmenbedingungen für ein sicheres Onlineumfeld zu schaffen. Für Tiktok, Instagram oder Snapchat gilt bereits heute die Altersgrenze ab 13 Jahren. Die Altersüberprüfung wird in der Praxis zwar abgefragt, aber kaum kontrolliert. Hier müssen wir ansetzen: Eine datensparsame Altersverifikation auf EU-Ebene ist meines Erachtens erforderlich. Auch das hat sich die neue Europäische Kommission auf die Fahne geschrieben. Nationale Alleingänge bringen wenig: Wir müssen geschlossen und einheitlich europäisch agieren.

Ich habe mich stets für eine konsequente Regulierung der Plattformen eingesetzt. Inzwischen haben wir Instrumente wie den Digital Services Act, der die Plattformen stärker in die Pflicht nimmt. Dieses Gesetz fordert von den Plattformen, Risiken zu minimieren, insbesondere den Jugendschutz zu gewährleisten und Transparenz herzustellen. Verstöße können mit empfindlichen Strafen von bis zu 6 Prozent des weltweiten Jahresumsatzes geahndet werden. In verschiedenen Verfahren geht die EU-Kommission bereits gegen Plattformen vor. Entscheidend wird sein, dass diese Regeln auch konsequent durchgesetzt werden.

Abschließend denke ich, dass der Kinder- und Jugendmedienschutz nur im Dreiklang funktioniert:

  • mit der Verantwortung von Eltern, den Medienkonsum achtsam zu begleiten,
  • Schulen müssen Medienkompetenz als festen Bestandteil in den Lehrplänen verankern, und
  • Plattformen müssen streng beaufsichtigt und bei Verstößen hart sanktioniert werden.

Die Netzpolitikerin Tabea Rößner (Grüne) ist Vorsitzende des Digitalausschusses im Bundestag und Mitglied im Beirat der Bundesnetzagentur. Sie tritt bei der nächsten Wahl nicht erneut an.

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