Standpunkte Mit der E-Rechnung zu Mehreinnahmen für den Haushalt

Die EU hat im März ein Gesamtpaket zur Digitalisierung der Steuerverwaltung verabschiedet. In Deutschland ist die E-Rechnung seit Anfang des Jahres zwar schon verpflichtend, Karl Heinz Krug sieht in den EU-Regeln einen letzten wichtigen Impuls für die vollständige Digitalisierung des Steuerwesens. Für Deutschland bietet das Paket bei erfolgreicher Umsetzung ein Milliarden-Potenzial an jährlichen Mehreinnahmen für den Bundeshaushalt.
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Jetzt kostenfrei testenWenngleich der Bundestagswahlkampf und die Koalitionsverhandlungen von Migration sowie Wirtschafts- und Sozialpolitik dominiert wurden, könnte mit dem baldigen Regierungshandeln ein Thema in den Blick geraten, das bislang eher als Randnotiz eine Rolle spielte: die weitere Digitalisierung der Steuerverwaltung durch eine Umsatzsteuerreform der Europäischen Union.
Bereits mit dem Wachstumschancengesetz ist die elektronische Rechnung, kurz E-Rechnung, in den Fokus gerückt. Seit Anfang 2025 müssen Unternehmen E-Rechnungen im Geschäftsverkehr annehmen. Diese Maßnahme hat als Beitrag zur Digitalisierung der Volkswirtschaft einiges an Widerspruch hervorgerufen, da sie als zusätzliche Bürokratie und weitere Belastung für Unternehmen gesehen wird. Dabei wird übersehen, dass die E-Rechnung bereits in vielen B2B-Geschäftsbereichen fest etabliert ist und es nur noch einen letzten Impuls braucht, um eine vollständige Digitalisierung eines Wirtschaftsbereichs zu ermöglichen. In der kaufmännischen Software ist sie ohnehin implementiert. Es heißt also Abschied nehmen von Fax und Papier.
EU bekämpft die Umsatzsteuerlücke
Die Europäische Kommission hat mit „ViDA“ (VAT in the Digital Age) ein Umsatzsteuerpaket auf den Weg gebracht, das mit der elektronischen Meldepflicht ab Mitte 2030 die Informationen der E-Rechnung in Echtzeit nutzen wird, um Umsatzsteuerbetrug und -hinterziehung zu bekämpfen. EU-weit wird die jährliche Umsatzsteuerlücke auf fast 90 Milliarden Euro (2022) geschätzt, in Deutschland immerhin auf fast 13 Milliarden Euro (4,3 Prozent der Umsatzsteuerpflicht).
Durch den zunehmenden Druck auf die Haushalte im Zuge der Finanzkrise 2008 und 2009 wurden Länder wie Italien, Griechenland und Portugal zu Vorreitern bei der Einführung von E-Rechnungen – eine Maßnahme, die signifikant zur Konsolidierung der Haushalte beigetragen hat. In Griechenland konnte zuletzt Finanzminister Kostis Hatzidakis einen unerwarteten Haushaltsüberschuss vermelden, der auf die weitere Digitalisierung der Steuerverwaltung und die Einführung der E-Rechnung zurückzuführen ist. Letztlich sind es diese Erfahrungen, die dazu beigetragen haben, dass sich der Finanzministerrat Ecofin, das Europäische Parlament und die Europäische Kommission einigen konnten und am 11. März das Gesamtpaket zu Vida ratifiziert haben.
Die E-Rechnung – ein Weg zu Mehreinnahmen für den Bundeshaushalt?
Während sich die EU mit Vida auf die Bekämpfung von Umsatzsteuerbetrug und -karusellen – sowohl grenzüberschreitend als auch national – fokussiert, haben die Mitgliedsstaaten ein Interesse, auch den nationalen Handel mit Waren und Dienstleistungen zu betrachten. Dies führt durch die Vereinheitlichung der Prozesse nicht nur zu einer Optimierung für die Wirtschaft, sondern ermöglicht auch einen ganzheitlichen Blick auf die Rechnungsprozesse und die Umsatzsteuer. Die lückenlose Umsetzung, das zeigen die Beispiele der Vorreiter in Europa, ergibt ein Potenzial von weiteren Milliarden Euro an jährlichen Mehreinnahmen für den Bundeshaushalt, ohne dass an der Steuerschraube gedreht werden müsste. Gleichzeitig wäre dies ein wesentlicher Hebel zur Entbürokratisierung, wenn die Daten digital und in Echtzeit an die Steuerverwaltung übermittelt werden und so der Aufwand für die Außenprüfung auf ein Minimum reduziert werden kann.
Dies erfordert einiges an technischen Voraussetzungen und einen entsprechenden Implementierungsaufwand. Hinsichtlich der Umsetzungsoptionen werden in Europa unterschiedliche Szenarien verfolgt. Ausgangspunkt sind zentrale Lösungen mit einer Plattform bei der Steuerverwaltung wie zum Beispiel in Italien bis hin zu einem eher dezentralen Ansatz mit privaten Plattformen und einer Echtzeitmeldung von dort in die Steuerverwaltung wie etwa das „Y-Modell“ in Frankreich. In den Diskussionen der EU mit den Mitgliedstaaten wurde zuletzt auch die Echtzeit-Erfordernis etwas aufgeweicht, so dass eine Meldung der Transaktionen nun innerhalb von 10 Tagen möglich ist. Die Wege mögen unterschiedlich sein, vereinheitlicht werden Formate und das Ziel: eine höhere Steuercompliance bei gleichzeitiger Digitalisierung der Umsatzsteuer.
Mit der digitalisierten Steuerverwaltung zur Echtzeit-Volkswirtschaft
Die nordischen Länder Finnland, Norwegen, Schweden und Dänemark sind bei der Digitalisierung der Steuerverwaltung bereits Vorbilder. Auch die OECD verfolgt mit „Tax Administration 3.0“ einen Ansatz hin zu einem Echtzeit-Meldewesen in der Steuerverwaltung. Diese digitale Integration in Echtzeit ermöglicht nicht nur eine Vereinfachung der Umsatzsteuererklärung, sondern insbesondere auch eine Volkswirtschaft in Echtzeit. Denn diese Informationen ermöglichen eine deutlich präzisere Steuerschätzung, und vor allem auch einen „Pulsmesser“ und Frühwarnindikator der wirtschaftlichen Aktivität nach Sektoren und Regionen oder auch eine Lieferkettenanalyse. Es ist daneben ein weiterer Beitrag zur digitalen Integration Europas, zu der neben dem Single Digital Gateway und dem Once-Only-Technical System (OOTS) in der Steuerverwaltung auch der weitere Aufbau von Informationsaustauschverfahren und Vida gehören.
Das digitale Meldewesen (Digital Reporting) und die E-Rechnung sind damit für Deutschland nicht nur ein Hebel für höhere Steuereinnahmen, sondern auch ein Beitrag zur Entbürokratisierung und zum Einstieg in eine „Real-Time Economy“. Das sind doch gute Aussichten für die neue Regierung in Deutschland!
Karl Heinz Krug ist Vizepräsident und Leiter Public Finance Europe bei Capgemini. Er verfügt über langjährige Erfahrung im Geschäft mit Finanzministerien aus der Technologieberatung sowie aus der Technologiebranche. Als Bürgermeister und Stadtkämmerer in Bad Homburg war er selbst operativ im Bereich der öffentlichen Finanzen tätig.
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