Im Zentrum der zweiten UN-Open-Source-Konferenz steht die Frage, wie sich mithilfe von Open Source Program Offices (OSPO) neue Formen der (internationalen) Zusammenarbeit realisieren lassen. Sie knüpft damit an eine Resolution des UN-Wirtschafts- und Sozialrats (ECOSOC) an, in der das Potenzial von Open Source und der damit verbundene freie Zugang zu Technologien für das Erreichen der UN-Nachhaltigkeitsziele anerkannt wurden.
Neben KI und der Rolle von Open Source innerhalb der UN setzt die diesjährige Agenda einen Schwerpunkt auf „Open Source and Governments“. In diesem Kontext wurden Zendis und Sovereign Tech Fund eingeladen, Einblicke in ihre Arbeit für mehr digitale Souveränität zu gewähren und Best Practices zu teilen.
Dem voraus ging ein intensiver Austausch zwischen Zendis und den UN. Die UN haben eine eigene „OSS Community of Practice“, die derzeit eine OS-Strategie für alle UN-Institutionen entwickelt. Ihre Handlungsempfehlungen umfassen unter anderem ein Softwareverzeichnis, OS-Guidelines und eine Software-Plattform – also Themen, die das Zendis heute schon praktisch umsetzt und im Mai auf einem von den UN organisierten Vorbereitungstreffen teilen durfte.
Die Rolle der OSPOs
Die Konferenz in New York steht ganz im Zeichen der OSPOs. Das sind Organisationseinheiten, die sich um alle Fragen quelloffener Software kümmern. Ihr Ziel ist, das Innovationspotenzial von Open Source zu erschließen und Rechtssicherheit beim Einsatz von OS-Lösungen zu schaffen. Der Fokus vieler OSPOs liegt auf Strategie und Governance, konkret auf Policy, Lizenzmanagement, Geschäftsmodellen und der Interaktion mit der Community.
OSPOS haben ihren Ursprung in der IT-Industrie, sind heute jedoch weit darüber hinaus etabliert. Laut Bitkom Open Source Monitor hatte 2023 bereits mehr als ein Viertel der Unternehmen in Deutschland mit über 2.000 Mitarbeitenden ein OSPO eingerichtet. Bei weiteren 43 Prozent war ein OSPO in Planung oder Diskussion. Auch die Vereinten Nationen betreiben ein OSPO – konkret bei der WHO –, ebenso wie die EU- Kommission und viele weitere Akteure und Institutionen im Umfeld von Regierungen und der öffentlichen Verwaltung. Für die deutsche Verwaltung soll das Zendis diese Rolle übernehmen.
Beyond Governance – Deutschland als Vorreiter
Während sich der Auftrag der meisten OSPOs auf Fragen der Governance beschränkt, geht Deutschland mit dem Zendis einen entscheidenden Schritt weiter. Das Zendis nutzt Open Source als Hebel für ein größeres Ziel: die Stärkung der digitalen Souveränität der öffentlichen Verwaltung. Fester Teil der Strategie: Der Verwaltung über die Zusammenarbeit mit der OS-Community konkrete Software-Produkte zur Verfügung zu stellen, die geeignet sind, kritische Abhängigkeiten von einzelnen Anbietern proprietärer Lösungen zu reduzieren.
Dazu arbeitet das Zendis als Brückenbauer zwischen Verwaltung und OS-Ökosystem mit einer Vielzahl professioneller Open-Source-Anbieter in einem co-kreativen Prozess zusammen und trägt dafür Sorge, dass die Produkte die Bedarfe der öffentlichen Hand erfüllen.
Derzeit entsteht so mit Open Desk eine Open-Source-basierte Office- und Collaboration-Suite und mit Open Code eine Plattform, auf der Software-Projekte der Öffentlichen Verwaltung offen entwickelt und nachgenutzt werden können. Auf der Zendis-Roadmap befindet sich außerdem eine OS-basierte Videokonferenzlösung, die eine sichere, vertrauliche Kommunikation ermöglicht. Dieser Praxisansatz ist neu und stößt auf immenses Interesse.
Souverän über Grenzen hinweg
Am Beispiel der deutsch-französischen Zusammenarbeit an Open Desk und „La Suite“ – dem französischen Pendant unseres souveränen Arbeitsplatzes – lässt sich wunderbar aufzeigen, wie der vom Zendis verfolgte Ansatz in der Praxis funktioniert. Gemeinsam mit unseren Partnern vom Dinum aus Paris und dem europäischen OS-Ökosystem entwickeln wir einzelne Module unserer Office- und Collaboration-Suites weiter. Die Vorteile: höheres Tempo, mehr Innovation, geteilte Kosten.
Wie kann es funktionieren, dass zwei EU-Länder gemeinsam Software für ihre Verwaltungen entwickeln? Neben einem geeinten Willen und einer gemeinsamen Absichtserklärung ist die Antwort so einleuchtend, wie es auch die UN-Konferenz nahelegt: Open Source. Quelloffene Software unter einer geeigneten Open-Source-Lizenz macht es möglich, selbst über Grenzen hinweg rechtlich sauber und ohne Fallstricke auf bestehende Lösungen aufzubauen und gemeinsam Software (weiter)zu entwickeln.
National, international – Who cares?
Was international funktioniert, geht natürlich auch „im Kleinen“ in unserem nationalen Verwaltungsdigitalisierungsökosystem. Durch die Arbeit mit Open Source gelingt es uns, die Grenzen des Föderalismus zu überwinden. Bedarfe an die Weiterentwicklung von Open Desk können von allen Ebenen der Verwaltung – Bund, Ländern, Kommunen – einfließen. Erste Pilotprojekte laufen, die Anfragen nehmen stetig zu, und die Breitenverfügbarkeit von Open Desk unter anderem als „Software-as-a-Service“-Angebot ist für Oktober geplant.
Auf Open Code wiederum wird die aktive Zusammenarbeit unterschiedlichster Akteure aus der öffentlichen Verwaltung an Software-Projekten möglich und greifbar. Mehr als 1.400 OS-Projekte vom Bund bis zu Kommunen sind dort bereits angelegt, über 4.500 Nutzende sind aktiv. Zentrales Anliegen der Plattform: die Nachnutzung zu steigern und kostenintensive und zeitaufwändige – und eben wenig nachhaltige – Doppelentwicklungen zu verhindern.
Apropos Nachnutzung: Nicht nur Frankreich strebt wie Deutschland nach mehr digitaler Souveränität und ist interessiert am „Modell Zendis“ und einer Zusammenarbeit. Zwischenzeitlich haben auch die Schweiz, Österreich, Dänemark, Italien und die Slowakei konkretes Interesse an einer Nachnutzung von Open Desk als souveräne Arbeitsplatzalternative bekundet. Die EU wiederum entwickelt eine ähnliche Plattform wie Open Code und setzt auf Teile unserer Arbeit auf. Interoperabilität selbstverständlich inbegriffen.
Lohn für einen ungewöhnlichen Schritt
Es kommt selten vor, dass Deutschland in puncto Verwaltungsdigitalisierung als Vorreiter wahrgenommen wird. Umso bemerkenswerter ist das nationale – die ersten Bundesländer haben die rechtlichen Voraussetzungen geschaffen, sich am Zendis zu beteiligen – wie auch internationale Interesse. Es belegt eindrücklich, wie groß der Bedarf an einem praxisorientierten Ansatz zur Stärkung der digitalen Souveränität ist.
Es zeigt ebenso, dass der IT-Planungsrat und das Bundesinnenministerium mit ihrem Entschluss genau richtig lagen, für die Stärkung der digitalen Souveränität der öffentlichen Verwaltung mit dem Zendis einen neuen, zentralen Akteur zu schaffen. Einen Akteur, der föderal übergreifend und im engen Schulterschluss mit dem hoch innovativen Open-Source-Ökosystem arbeiten kann. Beste Voraussetzungen, um nach Jahren der Diskussion darüber, wie wir die Handlungsfähigkeit unseres Staates nachhaltig absichern können, endlich greifbare Fortschritte bei der digitalen Souveränität zu erzielen.
Andreas Reckert-Lodde ist Interimsgeschäftsführer des Zentrums für digitale Souveränität.